Frage an Herbert Reul von Simone B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Reul,
anfang der Woche war ich auf einer Podiumsdiskussion zum Thema Europawahl. Ihr Kollege, Herr Dr. Pieper, war auch anwesend. Er sprach ständig davon, das die CDU ein soziales Europa will, nur eben nicht so, wie sich das die anderen Parteien vorstellen. Auf meine Nachfrage, was die CDU denn unter einen sozialen Europa versteht und wie sie es erreichen will, konnte Herr Pieper keine vernünftige Antwort geben. Deswegen stelle ich dieselbe Fragen noch einmal an SIe, in der Hoffnung, das sie die Fragen besser beantworten können.
1. Was verstehen Sie bzw. die CDU unter einen sozialen Europa?
2. Wie wollen Sie dies erreichen?
Mit freundlichen Grüßen
Simone Becker
Sehr geehrte Frau Becker,
Vielen Dank für Ihre Frage zum Begriff des Sozialen Europa.
Ich kenne den Hintergrund Ihrer Frage nicht, weil ich bei der Veranstaltung selbst nicht zugegen war. Herrn Dr. Pieper kenne und schätze ich jedoch als außerordentlich kompetenten Kollegen.
Ich möchte die Frage nun aus meiner Sicht beantworten. Zunächst muss ich voranstellen, dass die EU in der Sozialpolitik nur wenige Kompetenzen besitzt und dieser Bereich zu Recht Domäne der Mitgliedsstaaten ist. Dies gebietet bereits das Subsidiaritätsprinzip.
Es existiert bereits ein Europäisches Sozialmodell, welches die Mitgliedsstaaten selbst ausformulieren. Das soziale Europa wird in verschiedenen Umsetzungsformen in den Mitgliedsstaaten auch weiterhin bestehen.
Welche Ziele und Wege verfolgt diese Politik?
Ein soziales Europa bedeutet für mich und für die CDU eine wirkungsvolle und nachhaltige Strategie zur Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen. Ich unterstütze die beschäftigungspolitischen Leitlinien der Europäischen Union aus dem Jahr 2008, welche unter anderem darauf zielen, vorzeitige Schulabbrüche zu verhindern.
Anhand eines weiteren Beispiels möchte ich die sozialpolitischen Aspekte unserer EU-Politik aufzeigen. Technischer Fortschritt und Globalisierung haben die europäischen Arbeitsmärkte tiefgreifend verändert. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wechseln häufiger ihren Arbeitsplatz, oft auch weil sich Unternehmen umstrukturieren und sich die Anforderungen verändern. Zeitarbeit und befristete Beschäftigungsverhältnisse werden immer häufiger und helfen den Unternehmen sich flexibel und produktiv auf dem Weltmarkt zu positionieren. Doch hatte dies auch Folgen für die Arbeitnehmer. Mit der Richtlinie zur Zeitarbeit der Europäischen Union konnten wir die Gleichbehandlung von Zeitarbeitern mit festangestellten Arbeitnehmern gewährleisten.
Aufgabe moderner Beschäftigungspolitik ist es dabei nicht, jeden Einzelnen ohne Rücksicht auf die sozialen Kosten für die Allgemeinheit so lange wie möglich in einem Beschäftigungsverhältnis zu halten, sondern den Übergang zwischen Beschäftigungsverhältnissen zu vereinfachen und sozial sicherer zu gestalten, sowie für passend qualifizierte Arbeitnehmer zu sorgen.
Ein Soziales Europa muss sich immer auch an den Beschäftigungszahlen messen.
Ziel ist es nach wie vor, befristete Arbeitsverträge in unbefristete zu überführen und Arbeitnehmern durch eine langfristige Karriereplanung soziale Sicherheit zu ermöglichen. Jedoch muss dabei auch Flexibilität auf Seiten der Unternehmen gewährleistet sein: Unternehmen dürfen nicht durch zu viel Regulierung an Investitionen und damit an der Schaffung von Arbeitsplätzen gehindert werden.
Damit soziale Aspekte nicht auf der Strecke bleiben hat das Europäische Parlament eine Vielzahl von Regelungen beschlossen, um die Qualität der Arbeitsplätze zu verbessern, Gleichbehandlung in Arbeits- und Beschäftigungsfragen zu erreichen und Berufseinsteiger besser zu qualifizieren.
Soziales Europa bedeutet für mich und die CDU auch, Armut zu bekämpfen und regionale Unterschiede auszugleichen. Deshalb unterstützen wir den europäischen Sozialfond, der innerhalb von 6 Jahren 75 Milliarden Euro für diese Maßnahmen zur Verfügung stellen wird.
Unter Führung der EVP-ED-Fraktion, der die CDU und die CSU angehören, wurde zudem die Initiative für das Europäische Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung (2010) in erster Lesung vom Europäischen Parlament angenommen.
Ein weiteres Beispiel ist die Regelung zur Portabilität der betrieblichen Altersvorsorge, welche die Mobilität der Arbeitnehmer erleichtert, und soziale Sicherheit schafft.
Auch zahlreiche Regelungen betreffend die Gesundheit und die Sicherheit am Arbeitsplatz wurden in den letzten Jahren von den Abgeordneten der CDU im Europäischen Parlament unterstützt.
Ihre Frage wie die Ziele zu erreichen sind möchte ich damit antworten, dass die Politik eine Balance finden muss zwischen sozialer Sicherheit und Regulierung. Nur so kann ein soziales Europa nachhaltig Wirklichkeit werden. Daran werden wir im Europäischen Parlament auch weiterhin arbeiten.
Mit freundlichen Grüßen,
Herbert Reul