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Henning Münnecke
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Frage von Alexander R. •

Frage an Henning Münnecke von Alexander R. bezüglich Energie

Sehr geehrter Herr Münnecke,

laufen die Grünen mit ihren Konzepten der regenerativen Energien nicht in die Sackgasse?
Klar, die Grünen stellen fest: die Rohstoffe werden knapp und der Energiehunger der Welt steigt. Das sehe ich auch so. Aber, stellen Sie sich jetzt bitte einmal beim boomenden China vor:

a) wenn jeder Chinese einmal pro Woche sein Auto volltanken würde, rechnen Sie jetzt nach,
b) wenn bei einer Milliarde neuer Autos jedes Auto - ich überschlage mal - zwei Meter lang ist,

reicht die Schlange 2,5 Mal zum Mond und wieder zurück. Dazu kommt der Energieverbrauch für Heizung, Wirtschaft und so.
Ist es jetzt nicht an der Zeit, dass auch die Grünen endlich der Kernenergie den Vorrang geben und sie nicht immer dogmatisch ablehnen? Könnten regenerative Energien überhaupt jemals so viel Energie erzeugen?
Unvorstellbar für mich, wie viele Windparks und Rapsfelder wir dann bräuchten?
Muß Deutschland bei diesen unfassbaren Vorstellungen nicht dringend neue Atomkraftwerke bauen und bei den alten die Laufzeiten verlängern anstatt Atomkraftwerke wie Stade abzuschalten? Ist bei diesen unvorstellbaren Größen die Kernenergie nicht die billigere Energie und wären wir dann nicht energiepolitisch unabhängiger? Würde der CO2-Ausstoß nicht signifkant verringert?
Auf Ihre Antwort bin ich gespannt und verbleibe

mit freundlichen Grüßen

Alexander Rose

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Alexander Rose,

gerne beantworte ich Ihre Fragen. Mit wenigen Sätzen ist Ihre umfassende Frage jedoch nicht zu beantworten. Daher mußte ich mir etwas Zeit nehmen und komme erst heute dazu, sie an dieser zu veröffentlichen. Sie führen eine interessante Rechnung an. Ich verstehe Sie so, dass Sie mit Ihrer Darstellung den zukünftigen "Energiehunger" deutlich machen möchten. Zu Ihrer ersten Frage muß ich erwiedern: Wir sind mit unseren energiepolitischen Konzepten auf dem richtigen Weg und dieser Weg ist keine Sackgasse. Warum? Eine Vielzahl von Argumenten spricht eindeutig gegen einen erneuten Einstieg in die Atomenergie. Das enorme Risiko von Unfällen aufgrund technischer Mängel oder menschlichen Versagens bleibt nach wie vor ein zentrales Argument für den Ausstieg aus der Atomenergie. Nie auszuschließen werden Reaktorunfälle sein und ihre Folgen können zu unkalkulierbaren Schäden für ganze Regionen führen. Zudem sind Atomanlagen gefährliche Ziele für Terroristen, was besonders für einige deutsche AKWs ohne Kuppelüberbau gilt. Dabei gilt das Umweltrisiko nicht nur für den Betrieb von Reaktoren, sondern für den gesamten Brennstoffzyklus. Dann darf nicht unerwähnt bleiben, dass schon die Uranerzgewinnung ganze Landstriche verseucht. Auch der Transport und die Lagerung radioaktiver Materialien bergen unvertretbare Risiken. Es haben sich mittlerweile insgesamt ca. unfaßbare 250.000 Tonnen Atommüll weltweit angesammelt! Weiteres zentrales Argument ist, dass es kein sicheres Konzept für die Entsorgung gibt. Für die zukünftigen Generationen bilden die Hinterlassenschaften der Atomkraft über Jahrtausende eine strahlende Erblast. Bis heute existiert für die stetig wachsenden radioaktiven verseuchten Rückstände ausgebrannter Elemente kein Endlager. Die Aufgabe, Atommüll dauerhaft sicher zu lagern, ist auch ambitioniert. Nach Berechnungen des Bundesamtes für Strahlenschutz würde eine Laufzeitverlängerung von nur acht Jahren, wie Ihre Frage u.a. impliziert, die Menge an radioaktivem Abfall in Deutschland noch einmal um 3.400 Tonnen anwachsen lassen. Hinzu kommt, dass das Anhäufen waffenfähigen Plutoniums und mittel- sowie hochangereicherten Urans die Proliferationsgefahr erhöht, die Abrüstung behindert und neue Gefahrenpotenziale schafft. Nun wird für Sie sicherlich vorstellbar, warum die GRÜNEN für regenerative Energien eintreten und keine Vorrangpolitik für die Atomenergie befürworten, die Sie in Erwägung ziehen. Nun komme ich zu den erneuerbaren Energien aus Ihrer 2. Frage.Das Potential der erneuerbaren Energien ist unendlich. Mehrfach könnte man technisch den Energiebedarf der Erde mit ihnen decken. Denken sie nur an das große Potenzial der Sonnenenergie und die Menge an Hausdächern. Heute ist es allein eine Frage der Kosten, die kurzfristig gesehen noch höher liegen als bei konventionellen Energieträgern, weil andere Energieträger z.T. hochsubventioniert (Kohle, Atom) sind bzw. deren externe Effekte (Umwelt-, Klimafolgekosten, Gesundheitskosten etc.) sich nicht in deren Preisen widerspiegeln. Wobei sich die Investitionen in erneuerbare Energien langfristig auszahlen: In seinem aktuellen Vierteljahresheft (2/2005) stellt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) zum Beispiel fest, dass die ökonomischen Schäden durch extreme Wetterereignisse in den letzten 30 Jahren um den Faktor 15 zugenommen haben. Auch Versicherungen, wie die Münchner Rück, bekommen dies immer stärker zu spüren. Durch eine schnelle, aktive Klimaschutzpolitik und erneuerbare Energien könnten bis zum Jahr 2050 in Deutschland gesamtwirtschaftliche Schäden in Höhe von bis zu 650 Milliarden Euro (weltweit von bis zu 200 Billionen US$) vermieden werden. Bis 2020 wollen wir in Deutschland einen Anteil der erneuerbaren Energien am gesamten Energiebedarf von 25 % erreichen. (Mehr Informationen finden Sie zum Thema "Weg vom Öl" unter: www.gruene-bundestag.de/cms/energie_klima/dok/79/79610.htm). Das ist realistisch und dafür stehen auch genügend Flächen zur Verfügung. Zum einen werden hohe Anteile von erneuerbaren Energien in den nächsten Jahren vor allem im Windenergiebereich durch neue Offshore-Windanlagen an der Küste sowie durch das Repowering (Ersatz vieler kleiner durch leistungsstärkere, größere Anlagen) möglich. Zum anderen im Bereich der nachwachsenden Rohstoffe für Strom, Wärme und Treibstoffe. Hier werden viele Flächen nach massiven Flächenstilllegungen in der Landwirtschaft für den Anbau von nachwachsenden Rohstoffen frei. Dabei soll es selbstverständlich nicht nur um Raps gehen. Wir wollen die gesamte Palette an Biomasse nutzen, vor allem auch Ganzpflanzen. Damit werden zukünftig deutlich höhere Bioenergieanteile möglich. Ein Blick auf die aktuelle Statistik weist auf die Bedeutung nachwachsender Rohstoffe hin: Auf mehr als 1,4 Millionen Hektar oder umgerechnet 12 Prozent der gesamten Ackerfläche wachsen in diesem Jahr bereits Industrie- und Energiepflanzen. Ob Raps, Energiegetreide, Mais, Kartoffeln oder Sonnenblumen: nachwachsende Industriepflanzen sind zu einem wirtschaftlichen Standbein für die heimischen Landwirte und zur unverzichtbaren Rohstoffquelle für die Industrie geworden. Damit hat sich der Anbau nachwachsender Rohstoffe seit Beginn der 90er Jahre mehr als verfünffacht. Zu Ihrer Frage der energiepolitischen Unabhängigkeit und billige Energie. Es gibt keine unabhängigen Energieträger, außer den regenerativen Energieträgern (Wasser, Wind, Sonne und Biomasse). Letztendlich ist auch der Brennstoff Uran nur noch wenige Jahrzehnte (ca. 50 Jahre bei gleich bleibendem Verbrauch) verfügbar und auch dieser Brennstoff muss eingeführt werden. Die wenigen deutschen Abbaulager wurden 1990 u.a. aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen. Die Milliardeneinsparungen - von denen bei der Laufzeitverlängerung die Rede ist - würden durch neue Kosten zum großen Teil wieder aufgefressen: Durch einen erhöhten Sicherheitsbedarf: Je älter die Anlagen sind, desto unsicherer werden sie. Im weltweiten Durchschnitt laufen AKW ca. 29 Jahre. Daher ist abzusehen, dass eine Laufzeitverlängerung teurere Sicherheitsnachrüstungen erforderlich macht, um ein Minimum an Sicherheit zu gewährleisten. Durch zunehmenden Atommüll: Die Menge des Atommülls steigt und die damit zusammenhängenden Kosten nehmen entsprechend zu. Durch steigende Uranpreise. Auch der Brennstoff Uran ist wie Öl nur noch wenige Jahrzehnte verfügbar. Die Brennstoffkosten haben sich bereits im vergangenen Jahr verdreifacht. Spätestens in 10 - 15 Jahren rechnen Experten aufgrund der Knappheit mit Preissprüngen. Kaum vorstellbar, welche Kosten der Ausbau der Kernenergie verursachen würde. In den vergangenen Jahrzehnten hat der Staat die Atomenergie mit über 100 Milliarden Euro aus Steuergeldern subventioniert. Sie ist bis heute nicht wettbewerbsfähig, denn bis heute genießen die Betreiber Steuerfreiheit für die Entsorgungsrückstellungen und Rabatte bei der Versicherung von möglichen Schäden. Externe Effekte der Atomenergie, also Kosten für Umweltverschmutzungen, radioaktive Verseuchung und Gesundheitsgefährdungen bleiben hier noch unberücksichtigt. Neue Atomkraftwerke rechnen sich für Betreiber nur, wenn der Staat ihnen mit Subventionen kräftig unter die Arme greift oder wenn, wie im Fall Finnland, Festpreise für Kraftwerksbau und Stromabnahme vereinbart werden. Beide Voraussetzungen sind dort nicht vorhanden, wo die Strommärkte vollständig liberalisiert sind. Und der Ruf nach einer Laufzeitverlängerung dokumentiert lediglich den Versuch der Unternehmen mit jahrzehntealten und technisch überholten Investments möglichst lange Geld zu verdienen. Dies trägt jedoch zur Verschleppung notwendiger milliardenschwerer Investitionen in moderne Kraftwerke bei. Zu Strompreissenkungen für die Verbraucher käme es nicht, sondern nur zu einer Erhöhung der Rendite der Energieversorgungsunternehmen, die dies sogar selber zugeben. Die wesentliche Ursache für steigende Strompreise, die Sie in Ihrer Frage auch ansprechen, liegt im brachliegenden Wettbewerb, im Stromvertrieb und einem Strommarkt, der zu 90 % bei der Erzeugung von vier Marktführern beherrscht wird, die den Börsenpreis diktieren und alljährlich Traumrenditen im Stromgeschäft abschöpfen können. Genau dieses Abschöpfen spaltet auch den Bundesverband der Deutschen Industrie (taz vom 20./21. August 2005, Seite 8). Der Vorsitzende des Energieausschusses kündigte kürzlich seinen Rücktritt an. Warum? Werner Marnette ist zugleich Chef der Nordeutschen Affinerie, und sein energieintensives Unternehmen leidet besonders unter den steigenden Stromkosten. Er kritisierte in einem Schreiben an den BDI-Vorsitzenden Thumann erneut die verkrustete Marktstruktur und die Preismacht der vier großen Stromkonzerne, die ebenfalls BDI-Mitglieder sind. Zuguterletzt noch einige Worte zur Laufzeitverlängerung im Hinblick auf den CO2-Ausstoß.Die Laufzeitverlängerung ist eine Investitionsbremse für Investitionen in erneuerbare Energien, in effiziente Technologien und in innovative Energiedienstleistungen, die dafür sorgen, dass Energie intelligenter genutzt und weniger verschwendet wird. Eine solche Investitionsbremse verhindert über Jahre die notwendigen Klimaschutztechnologien und gleichzeitig viele neue Arbeitsplätze: während im Bereich der Atomenergie die Zahl der Beschäftigten für Jahre bei etwa 38.000 bliebe, könnten allein im Bereich der Erneuerbaren Energien nach Berechnungen des BMU bis 2020 etwa 400.000 Arbeitsplätze entstehen. Die Zukunft gehört den Erneuerbaren Energien. Entgegen dem allgemeinen Trend sind in Deutschland in den letzten Jahren tatsächlich 150.000 zusätzlicher Arbeitsplätze geschaffen worden. Davon allein 130.000 in der Windenergieindustrie.
Atomkraft als Mittel gegen den Klimakollaps funktioniert ebenfalls nicht. Auch Atomkraftwerke produzieren über die gesamte Produktions- und Entsorgungskette CO2-Mengen. Selbst wenn ab sofort weltweit alle verfügbaren Mittel in den Ausbau der Atomenergie gelenkt würden, wäre der Effekt auf den globalen Treibhausgas-Ausstoß marginal (Der Anteil der Atomenergie an der Energieversorgung beträgt weltweit lediglich 7 Prozent). Allein in Deutschland müssten für eine solche Ausbau-Strategie nach Berechnungen der Energie-Enquete-Kommission des 14. Bundestages 70 - 90 Atomkraftwerke gebaut werden, weltweit tausende.
In Ihrem Eingangsstatement erwähnten Sie die zukünftig steigende Anzahl von Kraftfahrzeugen in wachstumsstarken Ländern, wie China. Ein Ausbau der Atomenergie, könnte diesen wachsenden Energiebedarf nicht ausgleichen. Die Atomenergie ist nur für den Strombereich relevant. Ich habe Sie bei dieser Rechnung so verstanden, dass Sie mit Ihrer Darstellung lediglich den zukünftigen "Energiehunger" deutlich machen wollten. Ansonsten setzen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Verkehrsbereich auf den Ausbau der öffentlichen Nah- und Fernverkehrssysteme, der Verkehrsvermeidung sowie auf einer zunehmenden Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene. Besonders wichtig ist die Steigerung der Effizienz, die zum Energiesparen beiträgt und die Nutzung alternativer Kraftstoffe, wie sie in unserem Green Car Paper beschrieben wird, dass Sie unter www.gruene-bundestag.de/cms/publikationen/dokbin/64/64732.pdf finden. Herr Rose, ich hoffe, dass ich Ihnen mit meiner ausführlichen Stellungnahme ausreichend Antwort auf Ihre Frage gegeben habe. Wir sind mit unseren energiepolitischen Konzepten auf dem richtigen und zukunftsweisenden Weg.Ich kann mich an dieser Stelle nur wiederholen: Was heute der Chip ist, wird morgen die Solarzelle sein: Schlüsseltechnologie eines neuen, solaren Zeitalters.

Mit freundlichen Grüßen
Henning Münnecke