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Helga Kühn-Mengel
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Frage von christian k. •

Frage an Helga Kühn-Mengel von christian k. bezüglich Recht

Wie ist das möglich, dass ehemalige Mitarbeiter der DDR Behörden in unserem Land in Sozialbehörden und anderen statlichen Stellen Arbeit bekommen haben. Ich wurde überprüft weil ich in der DDR geboren war. Seht doch mal nach, was diese Leute gemacht haben. Ich bin entsetzt welche Macht diese Gestalten schon wieder haben. Bin bereit nähere Auskünfte zu geben. Ist das unser Land unsere Politik?

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Kudszus,

vielen Dank für Ihr Schreiben auf abgeordnetenwatch.de, in dem Sie die Weiterbe­schäftigung von Mitarbeitern der öffentlichen Verwaltung der Deutschen Demokrati­schen Republik durch die Bundesrepublik Deutschland kritisieren.

Lassen Sie mich darauf in zweierlei Hinsicht antworten. Zum einen besteht die for­male Grundlage der Überführung der Arbeitsverhältnisse von Mitarbeitern der öffent­lichen Verwaltung der Deutschen Demokratischen Republik in den öffentlichen Dienst der Bundesrepublik im "Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands“, dem sog. Einigungsvertrag. In Anlage I zum Einigungsvertrag, Kapitel XIX, Sachgebiet A, sind die Details dieser Rechtsverhältnisse geregelt. Im Besonde­ren ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung insbesondere dann gegeben ist, wenn der Arbeit­nehmer

"1. gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat, insbesondere die im Internationalen Pakt über bürgerliche und politi­sche Rechte vom 19. Dezember 1966 gewährleisteten Menschenrechte oder die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 enthaltenen Grundsätze verletzt hat oder

2. für das frühere Ministerium für Staatssicherheit/Amt für nationale Sicherheit tätig war

und deshalb ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint."

Infolge dieser Regelungen waren die Behörden auf der Ebene des Bundes und der Länder angehalten, entsprechende Überprüfungen ihrer Mitarbeiter vorzunehmen. Grundlage dafür bot das am 20. Dezember 1991 vom Deutschen Bundestag verab­schiedete Stasi-Unterlagen-Gesetz (StUG). Mit diesem Gesetz wird die Einsicht und die Auswertung der von der Beauftragten der Bundesre­gierung für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) verwalteten Akten des Ministeriums für Staatssicherheit geregelt. Diese Akten waren auf Initiative der Bürgerbewegung innerhalb der friedlichen Revolution von 1989 sichergestellt worden. Neben der Einsichtnahme für alle diejenigen, über die die Staatssicherheit Informationen ge­speichert hatte und der Gewährleistung der historischen, politischen und juristischen Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes enthält das StUG auch klare Regelungen für die Mitteilung, Einsichtnahme oder Herausgabe von Akten an und durch öffentliche und nicht-öffentliche Stellen (§§ 19 bis 31 StUG). Auch die Verwendung von Unterlagen zu Zwecken der Strafverfolgung und Gefahrenabwehr (§ 23) ist darin geregelt.

Ohne auf die einzelnen Vorschriften und Regelungen im Detail weiter eingehen zu wollen, möchte ich damit deutlich machen, dass nicht nur die Sicherung der Akten des früheren Ministeriums der Staatssicherheit ein einzigartiger historischer Vorgang, sondern auch die spätere Nutzung und Zugänglichmachung zum Zwecke der allum­fänglichen Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes bisher beispiellos sind. Insofern ist jedoch festzustellen, dass infolge der Überführung der Arbeitsver­hältnisse von Mitarbeitern der öffentlichen Verwaltung der Deutschen Demokrati­schen Republik in den öffentlichen Dienst der Bundesrepublik durchaus Möglichkei­ten bestanden und noch immer bestehen, die frühere Tätigkeit von Mitarbeitern für den Staatssicherheitsdienst oder sonstige Verstöße gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit (siehe oben) festzustellen und zu ahnden. Den jährlichen Berichten der BStU zufolge wurde davon von öffentlichen und nicht-öffentlichen Stellen auch umfänglich Gebrauch gemacht.

Eine pauschale Vorverurteilung aller ehemaliger Mitarbeiter der öffentlichen Verwal­tung der Deutschen Demokratischen Republik lehne ich jedoch ab. Und damit komme ich zur zweiten Ebene der Diskussion über und des Umgangs mit diesem Thema, welche mir ebenfalls sehr wichtig erscheint. Mit der formalen Vereinigung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik wurde in relativ kurzer Zeit ein sehr schwieriger und ebenfalls bisher einzigartiger Vorgang vollzogen. Sie werden mit mir übereinstimmen, dass dieser Vorgang zu der damali­gen Zeit nicht völlig frei von möglichen Risiken war. Unter anderem war es aus mei­ner persönlichen Sicht sehr wohl notwendig, bestehende Strukturen der öffentlichen Verwaltung in der Deutschen Demokratischen Republik schnellstmöglich und in ge­ordneter Weise in die bestehenden Strukturen der Bundesrepublik Deutschland zu integrieren. Nur auf diese Weise war aus meiner Sicht eine soziale und gesellschaft­liche Stabilität zu gewährleisten. Diese Vorgehensweise, über die schon damals, erst recht aber im Nachhinein aus historischer und politischer Sicht gestritten werden kann, brachte es jedoch mit sich, dass die ehemaligen Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung der Deutschen Demokratischen Republik größtenteils erst anschließend auf eine frühere Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst oder sonstige Verstöße ge­gen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit überprüft werden konnten. Dies ist aber meines Wissens geschehen, auch wenn die Er­gebnisse dieser Überprüfungen und die daraus gezogenen Konsequenzen sicherlich im Einzelnen hinterfragt werden könnten.

Als jemand, der die unzureichende Aufarbeitung der Nazi-Diktatur in eindringlicher Weise erfahren und ehemalige Nazis im öffentlichen Dienst, in Schulen, als Richter und Politiker erlebt hat, habe ich mir oft gewünscht, dass diese Phase der deutschen Geschichte ebenso zeitnah und kritisch betrachtet und aufgearbeitet worden wäre, wie bisher die Zeit der DDR-Diktatur.

Auch hinsichtlich einer weiter zu beschreibenden politischen und sozialen Verant­wortung in der öffentlichen Verwaltung der Deutschen Demokratischen Republik bei­spielsweise in Bezug auf Lehrer, die nicht zwingend für das frühere Ministerium für Staatssicherheit oder das Amt für nationale Sicherheit tätig gewesen sein mussten, könnte man nachdenken und diskutieren. Da dies mir an dieser Stelle jedoch nicht angemessen scheint, möchte ich darauf verweisen, dass wir innerhalb des Deut­schen Bundestages und insbesondere des Ausschusses für Kultur und Medien ge­rade sehr intensiv über die Weiterentwicklung der Gedenkstättenförderung des Bun­des diskutieren. Dabei geht es auch ausdrücklich um eine intensivere Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur in der DDR. Im Rahmen dieser Diskussion werden vor allem die hinsichtlich der zweiten Ebene dieser Thematik zu bedenkenden Aspekte diskutiert. Verweisen möchte ich insofern an dieser Stelle auf das "Positionspapier der Arbeitsgruppe Kultur und Medien der SPD-Bundestagsfraktion zur Verantwortung des Bundes für die Erinnerung und Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur in der DDR".

Ich hoffe, ich konnte Ihnen auf Ihre Frage eine angemessene Antwort geben, möchte Ihnen aber versichern, dass es unser aller gemeinsame Aufgabe bleibt, den Umgang mit der kommunistischen Diktatur der DDR zu thematisieren und aufzuarbeiten. Auch deshalb danke ich Ihnen für Ihr Schreiben und verbleibe

mit freundlichen Grüßen

Helga Kühn-Mengel, MdB