Frage an Helga Kühn-Mengel von Lukas O. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Kühn-Mengel,
Bei der Bundestagsabstimmung über das sogenannte "Zugangserschwerungsgesetz" haben Sie zugestimmt. Dementsprechend habe ich einige Fragen an Sie :
1. Inwiefern haben Sie sich vor der Abstimmung über die Funktionsweise und Wirksamkeit der geplanten Internetsperren informiert ?
2. Wie rechtfertigen Sie vor den Bürgern Ihres Wahlkreises Ihre Zustimmung zu einem Gesetz, das nicht geeinget ist, die ihm zugedachte Funktion zu erfüllen ( eine Umgehung dauert keine 27 Sekunden, und ist ohne know-how möglich : http://www.youtube.com/watch?v=1NNG5I6DBm0 ), das darüberhinaus einen wirksamen TÄTERschutz darstellt ( Täter, die von einer Sperre erfahren, können rechtzeitig mitsamt ihrer Website "untertauchen"), und das zu guter Letzt eine Art "Einkaufsliste" für Freunde von Kinderpornographie einführt (die Listen sind leicht auslesbar, und werden schnell öffentlich im Web zu finden sein : http://leserzeitung.kreuts.net/index.php?page=news&op=readNews&title=Wenn+die+Internetzensur+nach+hinten+losgeht ) ?
3. Wie können Sie die in dem Gesetz verankerte Torpedierung der Gewaltenteilung mit sich vereinbaren ?
4. Haben Sie kein Problem damit, dass die ganze Argumentation des Familienministeriums diesbezüglich vor offensichtlich erfundenen und erlogenen Zahlen nur so wimmelt ? (Nur ein Beispiel : http://netzpolitik.org/2009/laender-zaehlen-mit-zensursula/ , ähnliche Fehltritte finden sich bezüglich angeblicher Erfolge der Sperren im Ausland, erfundener Anzahlen von Seitenaufrufen, und vielen weiteren wichtigen Stützpfeilern der Argumentation von Frau von der Leyen )
5. Wie positionieren Sie sich bezüglich der Ausweitung der Sperren etwa auf Computerspiele, die Unionspolitiker bereits gefordert haben ?
6. Wie stehen Sie zu dem Verbot von Action-Computerspielen, das die Innenministerkonferenz fordert ? (Der Begriff "Killerspiele" ist polemisierend und beleidigend. Ich unterlasse deshalb bewusst seine Verwendung.)
Danke im Voraus für Ihre Antworten.
Sehr geehrter Herr Oppenländer,
anbei sende ich Ihnen eine persönliche Erklärung, die ich zur Abstimmung im Bundestag zum genannten Gesetz abgegeben habe.
Ich habe dem Gesetz zwar zugestimmt, wollte meine Bedenken aber deutlich machen. Denn ich stand und stehe Netzsperren im Allgemeinen sehr kritisch gegenüber.
Nachdem ein mehr als schlechter Gesetzesentwurf aus dem CSU-geführten Wirtschaftsministerium das Telemediengesetz ändern wollte, konnten wir uns als SPD mit allen inhaltlichen Kritikpunkten insofern voll durchsetzen, als dass es jetzt ausschließlich ein Spezialgesetz gibt, das in seinen Inhalten wesentlich geändert und dadurch außerordentlich verbessert wurde. Dieses läuft automatisch nach drei Jahren aus. Dass es so viele Verbesserungen geben konnte, ist auch der überaus großen öffentlichen Kritik und dem damit verbundenen Druck zu verdanken. Trotz dieser Verbesserungen sehe ich die Einführung von Internetsperren generell nach wie vor als problematisch an. Trotzdem war ich dafür, das Gesetz zu verabschieden. Warum? Das möchte ich Ihnen gern erläutern.
Bereits vor der Verabschiedung des Gesetzes haben mehrere CDU-Abgeordnete angekündigt, Internetsperren ausweiten zu wollen. Hinweise darauf finden sich nicht zuletzt im Regierungsprogramm der Union. Im Rahmen des von uns mit verabschiedeten Gesetzes ist eine Erweiterung um sogenannte „Killerspiele“, Glücksspiele oder urheberrechtliche Bereiche nicht möglich. Ganz im Gegenteil: sie wird sogar deutlich ausgeschlossen. Sollte die Union dennoch eine Ausweitung wollen, müssten sie ein Gesetzgebungsverfahren anstrengen, mit allen Formalien, die dazu gehören. Dieser Prozess wird durch das vorliegende Gesetz nicht vereinfacht.
Die größten Internetprovider haben mit Frau von der Leyen bereits Verträge abgeschlossen, die Erweiterungen ohne einen öffentlichen, transparenten und demokratischen Gesetzgebungsprozess zulassen würden. In dieser Situation konnte ich als Abgeordnete nicht hinnehmen, dass Internetsperren auf einer solchen unkontrollierbaren und damit höchst fragwürdigen Grundlage durchgeführt werden. Mehrere Provider wie beispielsweise Vodafone hatten bereits für die nächste Zeit angekündigt, Internetsperren aktivieren zu wollen. Dies hätte ohne ein Gesetz völlig unüberprüfbar und unbegrenzt geschehen können, so dass für mich die jetzige Regelung die deutlich bessere von zwei schlechten Alternativen ist. Nur so konnte die ausgesprochen negative Wirkung der Verträge noch reduziert werden.
Die Kritik, dass die Verträge vor dem Verfassungsgericht keinen Bestand hätten, greift zu kurz. Richtig ist, dass sowohl die Verträge als auch das jetzige Gesetz auf ihre Verfassungskonformität überprüft werden können. Nur können solche komplexen Entscheidungen bis zu mehreren Jahren dauern. Ich bin nicht bereit, die beschriebenen Risiken, die mit den Verträgen verbunden sind, bis zu einer eventuellen Gerichtsentscheidung zu tragen, sondern setze lieber dieses sehr viel vorsichtiger gestaltete Gesetz dagegen.
Falls sich das Bundesverfassungsgericht mit dieser grundlegend wichtigen Thematik befassen sollte, muss möglichst schnell ein klares Urteil gefällt werden. Nicht nur die Verträge, sondern auch das Gesetz müssten Bestandteil einer Klage sein. Sollte es kein Urteil des Bundesverfassungsgerichts geben, so haben wir das Gesetz so angelegt, dass es nach 3 Jahren automatisch ausläuft. Mit einer dann anstehenden Evaluation wäre es möglich, das Gesetz zu überprüfen und eben auch nicht erneut zu aktivieren.
Ich nehme an, dass Sie sich wahrscheinlich – wie die meisten Kritiker- wünschen würden, dass es weder die Verträge noch das Gesetz gäbe. Doch nachdem die Verträge unwiederbringlich geschlossen waren, gab es keine Alternative mehr zu einer geordneten, entschärften rechtsstaatlichen Lösung.
Ich hoffe, dass Sie nachvollziehen können, in welches Dilemma uns die Vertragsabschlüsse von Frau von der Leyen mit den Providern gebracht haben. Der einzige Trost ist, dass wir als SPD, solange wir eine aktive Rolle in der Regierung spielen, sicherstellen können, dass keine Ergänzungen zu den Sperrverfügungen aufgenommen werden und dass das Gesetz in 3 Jahren sorgfältig und kritisch überprüft wird.
Zu Ihrer Frage bezüglich des Verbots von Action-Computerspielen nach dem Beschluss der Innenministerkonferenz, nehme ich wie folgt Stellung:
Die Innenminister der Länder haben als Konsequenz aus dem Amoklauf von Winnenden am 01. März 2009 unter anderem beschlossen, für „Spiele, bei denen ein wesentlicher Bestandteil der Spielhandlung die virtuelle Ausübung von wirklichkeitsnah dargestellten Tötungshandlungen oder anderen grausamen oder sonst unmenschlichen Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder menschenähnliche Wesen ist (Killerspiele), ein ausdrückliches Herstellungs- und Verbreitungsverbot so schnell wie möglich umzusetzen.“
Gestatten Sie mir bitte vorab eine kurze Feststellung: Ein wirksamer Jugendmedienschutz ist und bleibt ein zentrales Ziel der Jugend-, Familien und auch Medienpolitik der SPD-Bundestagsfraktion. Wir haben in der Vergangenheit wiederholt politische Debatten über Computerspiele geführt. Anlass waren dabei tragische Amokläufe von jungen Menschen, die von vielen Diskussionen begleitet worden sind und große gesellschaftliche Betroffenheit ausgelöst haben. Es geht dabei um mehrere Themenkomplexe: um das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen in der Schule, um die notwendige Anerkennung und Förderung von Kindern und Jugendlichen, um ihre Perspektiven, um Prävention und Bekämpfung von Jugendgewalt, um die Verantwortung von Eltern und Pädagogen, um Fragen von Medienkompetenz und Jugendmedienschutz sowie um den Zusammenhang zwischen schlechten Schulleistungen und Medienkonsum.
Ich teile allerdings Ihre Auffassung, dass die mancherorts geführte Debatte bezüglich noch weitergehender Regelungen bei besonders gewalthaltigen Computerspielen problematisch ist, weil sie zu kurz greift. Gewaltverherrlichende Computerspiele fallen bereits heute unter das Verbot des § 131 StGB. Im Jahr 2003 wurde der Tatbestand des § 131 Abs. 1 StGB übrigens auf die Darstellung von Gewalttätigkeiten gegen menschenähnliche Wesen erweitert und damit das Strafrecht an dieser Stelle auch in Bezug auf Computerspiele und die dort typischen Simulationen ergänzt. Die Forderung nach einer Einführung eines Verbotes sogenannter „Killerspiele“ übersieht die geltende Rechtslage. Hinzu kommt, dass nicht weniger bedeutsame Aspekte eines wirksamen Jugendmedienschutzes den verantwortungsvollen Umgang mit den Medien und die hierfür notwendige Medienkompetenzumfassen müssen.
In aller Kürze möchte ich auf die geltende Rechtslage zum Jugendmedienschutz eingehen. Dies erscheint mir notwendig, um die Debatte um die Computerspiele zu versachlichen. Der Jugendmedienschutz ist in Deutschland dreistufig geregelt. Relevant ist das Jugendschutzgesetz (JuSchG) für Trägermedien (Offline-Medien wie z.B. Bücher, Videofilme, Computerspiele auf CDs), der Jugendmedienstaatsvertrag (JMStV) für Telemedien (z.B. Spiele, die online im Internet zu finden sind) und das Strafgesetzbuch (StGB) für Träger- und Telemedien.
Die erste Stufe ist die gesetzlich vorgeschriebene Alterskennzeichnung: Alle Medien müssen im System der staatlich überwachten Selbstkontrolle eine Alterskennzeichnung erhalten. Kindern und Jugendlichen dürfen nur die Angebote zugänglich gemacht werden, die für ihre Altersstufe freigegeben sind („Freigegeben ohne Altersbeschränkung“, „Freigegeben ab 6 Jahren“, Freigegeben ab 12 Jahren“, „Freigegeben ab 16 Jahren“, „Keine Jugendfreigabe“). Die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) führt das Prüfverfahren zur Altersfreigabe bei Computerspielen an dem auch die Obersten Landesjugendbehörden mitwirken, durch.
Die zweite Stufe des Jugendmedienschutzes ist die Möglichkeit der Indizierung: Jugendgefährdende Träger- und Telemedien werden durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) indiziert und dürfen Kindern oder Jugendlichen damit weder verkauft, überlassen oder anderweitig zugänglich gemacht werden. Es gilt ein Werbeverbot, und der Versandhandel ist nur eingeschränkt erlaubt. Durch die Indizierung wird der Zugang auch für Erwachsene wesentlich erschwert (Stichwort „unter der Ladentheke“), er ist aber möglich, denn diese Medien sind nicht verboten. Wegen des Zensurverbots können Medien erst dann indiziert werden, wenn sie bereits auf dem Markt sind.
Die dritte Stufe ist schließlich das Verbot von Gewaltdarstellungen gemäß § 131 StGB. Medien, die „grausame Gewalttätigkeiten gegen Menschen“ enthalten, sind verboten, wenn sie Gewalt verherrlichen, verharmlosen oder die Menschenwürde verletzen. Dies gilt auch im Hinblick auf „menschenähnliche Wesen“. Über die Indizierungsfolgen hinaus gilt ein generelles Verbreitungs- und Herstellungsverbot. Zuständig hierfür sowie für eine mögliche Beschlagnahme sind die Gerichte. Computerspiele fallen, so sie denn bestimmte Voraussetzungen erfüllen, bereits heute unter § 131 StGB, egal ob Offline- oder Online-Spiele, denn das StGB gilt sowohl für Träger- als auch Telemedien.
Darüber hinaus wurde erst im vergangenen Jahr das Jugendschutzrecht novelliert. Seit dem 1. Juli 2008 ist der Katalog der schwer jugendgefährdenden Trägermedien, die indiziert sind, im Hinblick auf Gewaltdarstellungen erweitert, die Indizierungskriterien wurden in Bezug auf mediale Gewaltdarstellungen präzisiert, zudem wurde die Mindestgröße der Alterskennzeichen der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle gesetzlich festgeschrieben. Mit dieser Novellierung des Jugendschutzrechtes können nun auch solche Medien, die besonders realistische, grausame und reißerische Darstellungen selbstzweckhafter Gewalt beinhalten, mit einem weit reichenden Abgabe-, Vertriebs- und Werbeverbot belegt werden. Auch die im Jugendschutzgesetz genannten Indizierungskriterien wurden in Bezug auf mediale Gewaltdarstellungen erweitert und präzisiert. Die Aufzählung der Indizierungskriterien des Gesetzes wurden beispielsweise erweitert um Mord- und Metzelszenen, die detailliert dargestellt werden oder die Selbstjustiz verherrlichen.
Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die Evaluation des Jugendmedienschutzes durch das Hans-Bredow-Institut, welche nicht zuletzt die Grundlagen für die Novellierung des Jugendschutzrechtes im vergangenen Jahr bildete. Ergebnis dieser Evaluation war, dass es im Hinblick auf Computerspiele in Deutschland einen vorbildlichen und wirksamen Jugendmedienschutz gibt, wenngleich Defizite im Vollzug des Jugendmedienschutzes bestehen. So werden wir in der nächsten Wahlperiode prüfen, ob eine engere Zusammenarbeit zwischen der Bundesprüfstelle und der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle zur Wahrung der Indizierungsstandards ermöglicht werden kann.
Vor allem aber hat die Evaluation deutlich gemacht, dass zusätzliche Verschärfungen und gesetzliche Verbote, beispielsweise durch eine Erweiterung des Paragraphen 131 StGB zur Gewaltverherrlichung, nicht nur unnötig sind, sondern auch wirkungslos wären.
Festzuhalten bleibt, dass Verbotsdiskussionen allein viel zu kurz greifen. Nicht Gesetzeslücken verhindern die Strafverfolgung, sondern die mangelnde Anwendung der gesetzlichen Möglichkeiten. Jedem Bundesland bleibt es daher selbst überlassen, durch entsprechende Personalausstattung der Strafverfolgungsbehörden eine härtere Verfolgung zu ermöglichen. Dies ist sinnvoller als regelmäßige Verbotsdebatten .
Im Vordergrund unserer Bemühungen zur Umsetzung eines wirksamen Kinder- und Jugendmedienschutzes steht die Förderung und Stärkung von Medienkompetenz in Familien, deren Notwendigkeit die Evaluation des Hans-Bredow-Institutes verdeutlichte. Die Medienkompetenz muss aber auch im Kindergarten, in der Schule und in der Jugendarbeit gestärkt werden. In diesem Zusammenhang ist auch der Ausbau von Kitas und Ganztagsschulen wichtig. In Kitas und Schulen können Kinder Kontakte zu Gleichaltrigen knüpfen und wertvolle Erfahrungen machen, die sie vor Vereinsamung und Gewalt schützen.
Bei allen bestehenden Problemen mit so genannten „Killerspielen“ und dem Wunsch, diese einzudämmen, dürfen wir nicht vergessen, dass für einen modernen Kinder- und Jugendschutz die Medienerziehung sowie die Medienverantwortung sehr bedeutsam sind. Es geht jedoch nicht nur um Medienerziehung. Die hier problematisierten Computerspiele propagieren in der Regel einfache Rollenmuster (starke Helden, autoritäres Durchsetzen, Gewalt als legitimes Mittel, Frauen als Objekte etc.). Daher sind alle pädagogischen Alltagsbereiche gefragt, um andere Problemlösungskompetenzen vermitteln. Darüber hinaus ist eine ehrliche Diskussion über die Situation in den Schulen aber auch in den Familien nötig. Leider haben viele Bundesländer eine äußerst geringe Ausstattung mit Schulpsychologinnen und -psychologen. Es darf nicht sein, dass Eltern, Geschwister, Nachbarschaft, Mitschülerinnen und Mitschüler, Lehrerinnen und Lehrer nicht reagieren, wenn Kinder und Jugendliche oft tagelang in die Parallelwelt der Computerspiele abtauchen. Von Seiten der Wissenschaft wird immer wieder – zu Recht – eine „Kultur des Hinsehens“ gefordert.
Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass insgesamt der Anteil an Computerspielen, welche als für Kinder und Jugendliche gefährlich eingestuft werden müssen, geringer ist, als es in der öffentlichen Diskussion den Anschein hat. Die positiven Möglichkeiten der Nutzung von Computer und Internet müssen hingegen unterstützt werden. Ich spreche mich für eine differenzierte Diskussion aus, in der nicht Spielerinnen und Spieler pauschal als “Killerspieler“ stigmatisiert werden. Das heißt für uns aber auch, vor den bestehenden Problemen die Augen nicht zu verschließen. Aus diesen Gründen begrüße ich es, dass sich auch immer mehr Spielerinnen und Spieler selbst - unter anderem mit der Aktion „Ich wähle keine Spielekiller“ - für solch eine differenzierte Diskussion einsetzen.
Mit freundlichen Grüßen
Helga Kühn-Mengel, MdB