Frage an Helga Kühn-Mengel von Cl.-B. S. bezüglich Gesundheit
Wie sehen Sie die Stellung der seit Jahrzehnten in der Privaten Krankenversicherung Versicherten im Fall der Einführung einer Bürgerversicherung bzw. der sog. Kopfpauschale? Wie werden die aufgrund der langjährigen Prämienzahlungen und zusätzlich des vor einigen Jahren eingeführten Alterszuschlags aufgebauten erheblichen Rückstellungen zur Beitragsminderung im Alter behandelt? Z.B. Aufrechterhaltung gewisser Ansprüche gegenüber der PKV, Rückvergütung an die Versicherten, entschädigungslose Vereinnahmung durch die Vers.-Gesellschaft oder "Enteignung" durch den Bund zur Sanierung des Sozialsystems?
Sehr geehrter Herr Seidel,
vielen Dank für Ihre Frage zum Thema Gesundheit. Ich werde Ihnen so schnell wie möglich ausführlich antworten.
Mit freundlichen Grüßen
Helga Kühn-Mengel
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Ergänzung vom 16.9.05
Sehr geehrter Herr Seidel,
vielen Dank für Ihr Interesse. Zu Ihrer Frage will ich mich wie folgt äußern.
Unser Gesundheitswesen ist gut, auch im internationalen Vergleich. Jeder erhält notwendige medizinische Leistungen auf der Höhe des medizinischen Fortschritts. Das Gesundheitswesen ist auch unsere größte Branche, in ihr finden über 4 Mio. Menschen sinnvolle Beschäftigung. Das soll auch so bleiben.
Mit der Gesundheitsreform haben wir die gesetzliche Krankenversicherung zukunftsfähig gemacht. Jetzt gilt es, die langfristige Finanzierung unseres Gesundheitswesens zu sichern.
Der medizinische Fortschritt und der veränderte Altersaufbau der Gesellschaft erfordern nicht weniger, sondern mehr Solidarität, aus der sich niemand ab einer bestimmten Einkommensgrenze verabschieden darf. Das heutige Nebeneinander von gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen führt zum Rosinenpicken. Gesunde und Gutverdienende werden von Privatversicherungen umworben und von Ärzten bevorzugt. Der Geldbeutel zählt mehr als die medizinische Bedürftigkeit.
Bürgerinnen und Bürger können nach wie vor ihre Kasse frei wählen. Wer gesetzlich versichert ist, kann künftig zwischen den Bürgerversicherungsangeboten der gesetzlichen und der privaten Kassen wählen. *Wer bereits einen privaten Versicherungsvertrag nach altem Muster hat, kann diesen behalten* oder in ein Bürgerversicherungsangebot seiner Wahl wechseln. Wer neu krankenversichert wird, geht sofort in die Bürgerversicherung. Dabei wird nicht vorgeschrieben, ob das gesetzliche oder das private Bürgerversicherungsangebot gewählt wird.
Die Trennung der Gesundheitsversorgung in einen gesetzlichen Pflichtversicherungsbereich für die übergroße Mehrheit von Gering- und Durchschnittsverdienern und einen privaten Sektor für Gutverdienende, Selbstständige und Beamte ist in jedoch Europa einmalig und nicht mehr zeitgemäß.
Wir werden die Krankenversicherung zu einer Bürgerversicherung weiterentwickeln, in der gesetzliche und private Krankenversicherung nebeneinander Bestand haben.
Dabei gilt:
- Jeder muss versichert sein. Auch Gutverdienende, Beamte, Selbständige und Politiker werden in die solidarische Krankenversicherung einbezogen.
- Jede Kasse muss jeden und jede ohne Ansehen des Risikos versichern. Niemand wird ausgegrenzt. Auch kranke und behinderte Menschen können wählen. Es bleibt beim heutigen gesetzlichen Leistungskatalog. Auch Zahnbehandlung, Zahnersatz sowie Lohnersatzleistungen bleiben solidarisch finanziert.
- Jeder zahlt entsprechend seiner Leistungsfähigkeit. Die Beiträge zur Bürgerversicherung richten sich wie bisher nach dem Einkommen - bei Löhnen, Gehältern und Renten. Die Beitragsbemessungsgrenze bleibt bestehen. Zukünftig werden auch Kapitalerträge zur Finanzierung herangezogen. Freibeträge schonen Durchschnittsersparnisse. Einnahmen aus Mieten und Pachten bleiben beitragsfrei.
- Die beitragsfreie Familienversicherung bleibt erhalten. In der Bürgerversicherung sind im bisherigen Umfang Familienmitglieder ohne Einkommen mitversichert.
- Das Nebeneinander von gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen wird in einen Wettbewerb um die beste Versorgung umgewandelt.
- Die Bürgerversicherung macht unser Gesundheitssystem gerechter. Sie ist eine Entscheidung für die Stärkung des Zusammenhalts in der Gesellschaft. Gesunde sorgen für Kranke, Junge für Alte, Alleinstehende für Familien, Gutverdienende für die, die weniger haben.
Die Bürgerversicherung ersetzt weitere Strukturreformen nicht. Insofern wird der Gesetzgeber auch in der kommenden Wahlperiode Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgung der Patienten und zur Weiterentwicklung der Organisation des Gesundheitswesens prüfen müssen.
Für den Bereich der Pflege wollen wir ebenso verfahren und die Finanzierung der sozialen und der privaten Pflegeversicherung verbinden. Die Pflegeversicherung wird zu einer Pflege-Bürgerversicherung ausgebaut. Alle Bürgerinnen und Bürger sollen sich angemessen und gerecht an der Finanzierung der Pflegeversicherung beteiligen. Niemand wird privilegiert, niemand ausgegrenzt.
Die seit Einführung der Pflegeversicherung unveränderten Leistungssätze wollen wir unter Beachtung der Preisentwicklung anpassen und die Leistungen in der ambulanten Pflege und insbesondere für Demenzkranke verbessern. Pflege in Familien, professionelle Pflege und ehrenamtliches Engagement sollen sich wirksam ergänzen.
Besondere Beachtung finden die Altersrückstellungen in der derzeitigen PKV. Die Portabilität der Rückstellungen, das heißt die Übertragung auf eine andere Krankenkasse bei Wechsel, wird oftmals gefordert und mittlerweile auch von der PKV geplant. Diese Portabilität sollte daher bei einem Wechsel innerhalb der PKV ohne Übergang in den Bürgerversicherungs-Tarif ebenfalls umgesetzt.
Bei einem Wechsel in den Bürgerversicherungs-Tarif bei einer PKV-Kasse haben die Altersrückstellungen ihren ursprünglichen Tarifbestandteil jedoch verloren. Daher scheint es sinnvoll zu prüfen, ob die Rückstellungen in einen eigenen Tarif der PKV umgewandelt werden können. Dieser Beitragssenkungstarif hilft dem Versicherten, seine Beiträge auch im Alter noch zu finanzieren.
Allerdings stellt ein solcher Tarif derzeit einen Fremdkörper im GKV-System dar. Bei einem Wechsel in einen Bürgerversicherungs-Tarif in der GKV würden die Rückstellungen nicht portabel sein. Dies entspricht der derzeitigen Rechtslage.
Insgesamt stellt dieser Vorschlag eines Beitragssenkungstarifs eine Subvention der PKV dar, die darauf hoffen können, dass die Besitzer von Altverträgen eher in die Bürgerversicherungs-Tarife der PKV wechseln, da sie dort den Beitragssenkungstarif abschließen können.
Ich hoffe, Ihre Fragen damit ausreichend beantwortet zu haben und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Helga Kühn-Mengel