Wie ist ihre Meinung zum TSG und zur Transdebatte?
Sehr geehrte Frau Reichinnek,
ich habe im Bundestag die Debatte um Transsexualität verfolgt und haben nun einige Fragen an Sie als Frauenpolitische Sprecherin Ihrer Fraktion. Beatrix von Storch hat in einer sicherlich sehr unpassenden Art das Thema angepackt und neigte schnell zu persönlichen Diffamierungen von Ganserer. Jedoch hat sie auf ein für mich ernsthaftes Problem hingewiesen. Unsere Gesellschaft ist weiterhin von patriarchalen Strukturen geprägt und der Kampf für Frauenrechte ist ein wichtiger, allerdings stellt sich mir die Frage, wieso ein Mann jederzeit mündlich behaupten kann eine Frau zu sein und damit Zutritt zu bspw. Frauenschutzräumen hat? Selbstverständlich verachtet die AfD Frauen zutiefst, weshalb sie in der Debatte nicht als ernsthafter Part zu sehen ist, jedoch kann es doch nicht sein, dass die progressiven Parteien diese Fragestellung bisher größtenteils ignorieren. Das neue Selbstbestimmungsgesetzt ist in meinen Augen ein gewaltiger Rückschritt für Frauen!
Sehr geehrte Frau M.,
wir bedanken uns für Ihre Mail. Die Bundestagsfraktion DIE LINKE spricht sich für ein Selbstbestimmungsgesetz aus. Schon 1978 hat das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber aufgefordert, rechtliche Möglichkeiten für Trans-Menschen zu schaffen, was dann 1981 umgesetzt wurde. Dass das damals eingeführte Transsexuellengesetz nicht auf der Höhe der Zeit ist, zeigt sich schon dadurch, dass es inzwischen vom Bundesverfassungsgericht in vielen Passagen für verfassungswidrig erklärt wurde. Das Bundesverfassungsgericht hat 2017 entschieden, dass intergeschlechtliche Menschen im Recht anerkannt werden müssen. Der Gesetzgeber änderte 2018 das Personenstandsgesetz und schuf die Kategorie „divers“. Er erkannte damit Inter-Menschen an, schuf aber neue Probleme, da der Zugang zu diesem Geschlechtseintrag limitiert wurde. Auch hier sind Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig.
In ständiger Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht anerkannt, dass neben den körperlichen Geschlechtsmerkmalen auch das individuelle Geschlechtsempfinden von herausragender Bedeutung ist.
Die Bundestagsfraktion DIE LINKE und ihre Quellpartei PDS kritisieren seit mehr als einem Vierteljahrhundert, dass die Menschenrechte von Trans- und Inter-Menschen missachtet werden. Die CEDAW-Kommission der UNO, der deutsche Ethikrat, das Deutsche Institut für Menschenrechte und viele weitere nationale und internationale Organisationen und Institutionen bemängeln dies ebenfalls seit geraumer Zeit. DIE LINKE hat sich in ihrem Wahlprogramm klar für die Rechte von Trans- und Inter-Menschen ausgesprochen „Selbstbestimmung für trans*- und intergeschlechtliche Menschen. Wir wollen einen selbstbestimmten Geschlechtseintrag für alle. Eine Vornamens- und Personenstandsänderung muss mit einer einfachen Erklärung beim Standesamt möglich werden – ohne die bisherigen Zwangsberatungen, Gutachten, ärztlichen Atteste und Gerichtsverfahren. Das Transsexuellengesetz (TSG) pathologisiert. Wir wollen es abschaffen und durch ein Selbstbestimmungsrecht ersetzen.“ (S.109, Wahlprogramm DIE LINKE) Deshalb unterstützen wir ein Selbstbestimmungsgesetz und wollen uns konstruktiv an der Debatte und parlamentarischen Beratung eines von der Bundesregierung vorzulegenden Gesetzentwurfes beteiligen.
Dabei geht es um die Umsetzung von Menschenrechten und die Stärkung der körperlichen und sexuellen Selbstbestimmung. Die Rechte von Frauen, Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen stehen für uns in keinem Widerspruch.
Frauenrechte und Frauenschutzräume sind in Deutschland gefährdet, das ist richtig. Patriarchale Gewalt ist allgegenwärtig. Es mangelt massiv an Frauenhausplätzen und Schutzräumen, dies liegt an unzureichender Finanzierung und fehlender politischer Verantwortungsübernahme - aber sicher nicht an Männern, die sich diese Räume zu eigen machen. Es ist kein Fall bekannt, wo Männer Anspruch auf Schutzräume erheben. Umgekehrt sind Trans*frauen überproportional von Gewalt betroffen.
Die Debatte um eine Öffnung von Frauen- und Lesbenräumen für Transfrauen wird seit Jahrzehnten geführt. Die meisten feministischen und frauenpolitischen Akteure und Verbände positionieren sich eindeutig, so z. B. die Frauenhauskoordinierung: Frauenschutzräume sind Räume für alle Frauen. Diese Diskussion zu nutzen, um gegen die körperliche und sexuelle Selbstbestimmung von Trans-Menschen zu argumentieren, halten wir für problematisch.
Der Ausbau von Selbstbestimmungsrechten führt nicht zu willkürlichen Veränderungen der Geschlechtsidentität. Wieso sollten Menschen beliebig ihr Geschlecht ändern wollen? Um das Privileg zu bekommen, auch endlich von patriarchaler Gewalt betroffen zu sein? Ein Blick in andere Länder, die eine Personenstandsänderung ohne psychologisches Gutachten ermöglichen, zeigt, dass es hier weder zu einem "Run" auf Geschlechtseinträge noch zu einem Gender-Hopping o.ä. gekommen ist.
Die Bundestagsfraktion DIE LINKE steht an der Seite derjenigen, die durch ungleiche Geschlechterverhältnisse unterdrückt werden und aller, die sich dagegen zur Wehr setzen. Dies ist für uns keine Frage der Biologie, sondern sozialer Verhältnisse. Ich hoffe, sie verstehen unserer Anliegen und dass wir eben keinen Widerspruch in einem engagierten Kampf für Frauenrechte und der ebenfalls überfälligen Verwirklichung von Selbstbestimmung für Trans- und Inter-Menschen sehen.