Wie genau soll in Ihren Augen die Kindergrundsicherung aussehen und wie wollen Sie sicherstellen, dass die betreffenden Familien dieses zusätzliche Geld auch wirklich für ihre Kinder ausgeben?
Liebe Frau S.,
wir als LINKE haben vor einigen Jahren ein Konzept für eine Kindergrundsicherung vorgelegt, das insgesamt vier Säulen umfasst. Die erste Säule ist der einkommensunabhängige Garantiebetrag, der sich in der Höhe am maximalen Steuerfreibetrag bemisst und demnach bei 328 € liegt. Somit ist sichergestellt, dass Familien mit hohem Einkommen nicht bessergestellt werden, als Familien mit niedrigem Einkommen.
Die zweite Säule bildet ein einkommensabhängiger Zusatzbetrag. Dieser ist neben dem Einkommen der Eltern vom Alter des Kindes abhängig. Dieser Teil der Kindergrundsicherung kann in unserem Konzept maximal bei 353 € liegen.
Die dritte Säule wird nur dann benötigt, wenn die realen Unterkunftskosten die Pauschale von 156 € übersteigen, die im Zusatzbetrag aus Säule 2 enthalten sind. Mit Säule 3 soll demnach sichergestellt werden, dass Familien mit niedrigem Einkommen nicht immer weiter an die Stadtränder gedrängt werden – die Situation auf den Wohnungsmärkten vieler deutscher Städte ist Ihnen ja sicherlich bekannt.
Säule 4 schließlich ist für einmalige Sonderbedarfe gedacht, etwa wenn Klassenfahrten oder Umzüge anstehen (Sollten Sie es noch etwas detaillierter wissen wollen, können Sie hier mehr dazu nachlesen: https://www.linksfraktion.de/themen/a-z/detailansicht/kinderarmut-kindergrundsicherung/).
An der aktuellen Diskussion stört mich insbesondere, dass die Ministerien das Pferd von hinten aufzäumen. Statt zunächst die Frage zu beantworten „Was brauchen Kinder und Jugendliche eigentlich, um nicht in Armut aufzuwachsen?“ stellen sie Gesamtkosten in den Raum und verteilen dann die Kuchenstücke. Das ist absolut unseriös. Auf mehrmalige Nachfrage bei den beteiligten Ministerien, wie die 2-3 Milliarden (Lindner) oder die 12 Milliarden (Paus) zustande kommen, erhalte ich stets die Antwort, dass man mir die Schätzungen nicht zur Verfügung stellen könne.
Die Eckpunkte des Familienministeriums, die Ende Januar an die Presse durchgestochen wurden und vermutlich so etwas wie die Maximalforderung von Frau Paus sind, enthalten in jedem Fall große Leerstellen. Die Wohnkosten-Frage wird so gut wie nicht berücksichtigt und die Frage der sozialen Teilhabe wird mit der pauschalen Übernahme der 15 € aus dem Bildungs- und Teilhabepaket beantwortet. Es ist jedoch so gut wie unmöglich, Sport- oder Musikvereine für unter 15 € Monatsbeitrag zu finden – geschweige denn, die zugehörige Ausrüstung zu bezahlen. Und Geld für einen Kinobesuch bliebe dann auch nicht mehr. Soziale Teilhabe ist aus unserer Sicht aber genauso notwendig, um ein gutes Aufwachsen zu ermöglichen, wie materielle Sicherheit. Deshalb fordern wir, ergänzend zu einer wirklich armutsfesten Kindergrundsicherung, eine deutliche Erhöhung der Ausgaben für den Kinder- und Jugendplan, mit dem Einrichtungen und Organisationen für Kinder und Jugendliche finanziert werden. Dass dieser 2023 um über 30% gekürzt wurde, ist ein fatales Signal für Kinder und Jugendliche, genauso wie für die Träger der Einrichtungen, die enorm unter den multiplen Krisen leiden.
Zu Ihrem zweiten Frageteil: Da das Argument ja teils auch in der aktuellen Debatte um die Kindergrundsicherung wieder aufkam, habe ich beim Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages nachgefragt. Die einzige Studie, die sich mit dieser Frage auseinandergesetzt hat, kommt zu dem Ergebnis, dass erhöhte Familienleistungen auch tatsächlich bei den Kinder ankommen (einen Artikel zu der Studie finden Sie beispielsweise hier: https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/arm-und-reich/studie-zu-sozialleistungen-geld-kommt-bei-den-kindern-an-15901325.html).
Mit freundlichen Grüßen
Heidi Reichinnek