Frage an Hartmut Koschyk von Jürgen W. bezüglich Verbraucherschutz
Sehr geehrter Herr Koschyk,
laut dem Plenarprotokoll 15/175 gehören Sie zu den 23 damaligen Bundestagsabgeordneten, die Ihre Zustimmung zum "Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 29. Oktober 2004 über eine Verfassung für Europa" (BT-Drucksache 15/4900) verweigert haben.
In der Pressemitteilung Nr.72 / 2009 des BVerfG vom 30.06.2009 heißt es:
"..Das Grundgesetz erlaubt es den besonderen Organen der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und Rechtsprechung nicht, über die grundlegenden Bestandteile der Verfassung, also über die Verfassungsidentität zu verfügen (Art. 23 Abs. 1 Satz 3, Art. 79 Abs. 3 GG). Die Verfassungsidentität ist unveräußerlicher Bestandteil der demokratischen Selbstbestimmung eines Volkes..."
Haben somit am 12.05.2005 569 Bundestagsabgeordnete und am 27.05.2005 66 Politiker des Bundesrates gegen die Art. 23 Abs.1 Satz 3, Art. 79 Abs. 3 und Art. 146 GG verstoßen?
Wie wäre dann dieser Verstoß in Bezug auf die Politiker zu bewerten, die vorher einen Eid auf unser GG abgelegt hatten?
Warum sollten Wähler in Zukunft noch zu irgendeiner Wahl gehen, wenn sich laut dem BVerfG (siehe Zitat) offensichtlich 635 Parlamentarier am 12. und 27.05.2005 über die demokratische Selbstbestimmung eines Volkes (Art. 146 GG) hinweggesetzt haben?
Warum sollte ich zu einer verfassungswidrigen Bundestagswahl gehen und warum sollte ich in Zukunft zu einer Europawahl gehen, um Mitglider eines unlegitimierten EU-Parlaments zu wählen?
Zitat des BVerfG aus der o.g. Pressemitteilung:
"..Das Europäische Parlament ist weder in seiner Zusammensetzung noch im europäischen Kompetenzgefüge dafür hinreichend gerüstet, repräsentative und zurechenbare Mehrheitsentscheidungen als einheitliche politische Leitentscheidungen zu treffen. Es ist gemessen an staatlichen Demokratieanforderungen nicht gleichheitsgerecht gewählt und innerhalb des supranationalen Interessenausgleichs zwischen den Staaten nicht zu maßgeblichen politischen Leitentscheidungen berufen..."
Jürgen W.
Sehr geehrter Herr Wörmer,
ich begrüße das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Juni 2009 zum Umsetzungs- und Begleitgesetz zum Lissaboner Vertrag. Das Gericht hat die Position der CSU-Landesgruppe bestätigt, dass der Deutsche Bundestag die innerstaatliche Institution ist, der die maßgebliche integrationspolitische Verantwortung mit Blick auf den europäischen Einigungsprozess zukommt. Der Bundestag als demokratisch gewähltes Vertretungsorgan der deutschen Bevölkerung muss es sein, der darüber entscheidet, in welchem Maße Deutschland im Rahmen der Europäischen Union Hoheitsrechte auf die Union als überstaatliche Ebene überträgt. Das Bundesverfassungsgericht hat aber gleichzeitig auch ausdrücklich entschieden, dass das Grundgesetz dem europäischen Einigungsprozess offen gegenüber steht. Der erste Leitsatz des Urteils lautet dementsprechend klar und deutlich: "Das Grundgesetz ermächtigt mit Art. 23 GG zur Beteiligung und Entwicklung einer als Staatenverbund konzipierten Europäischen Union."
Damit hat das Bundesverfassungsgericht verdeutlicht, dass die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union als solche von unserer Verfassung ermöglicht wird. Vor diesem Hintergrund wäre es wirklich fernliegend zu unterstellen, dass sich am 12. Mai 2005 insgesamt 569 Abgeordnete des Deutschen Bundestages gewissermaßen "sehenden Auges" für einen Verfassungsbruch ausgesprochen hätten, als sie dem so genannten Verfassungsvertrag zugestimmt haben. Denn nicht die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union als solche wurde vom Bundesverfassungsgericht am 30. Juni 2009 gerügt - im Gegenteil: Diese wurde vom höchsten deutschen Gericht zum wiederholten Mal ausdrücklich als verfassungsrechtlich zulässig angesehen - sondern lediglich in mehreren Punkten die Art und Weise der Ausgestaltung der Mitbestimmungsrechte der Deutschen Bundestages, wie sie im Begleitgesetz zur Umsetzung des Lissaboner Vertrags vorgesehen war. Hier aber hat das Bundesverfassungsgericht die grundsätzliche Position der CSU bestätigt, wonach der Deutsche Bundestag mit Blick auf die Mitwirkung Deutschlands in der Europäischen Union eine maßgebliche Verantwortung wahrzunehmen hat. Es ist seit jeher Auffassung der CSU, dass der Deutsche Bundestag mit Blick auf die Europapolitik effektive und maßgebliche Beteiligungsrechte besitzen muss. Es war nicht zuletzt den intensiven Bemühungen der CSU zu verdanken, dass diese Beteiligungsrechte im Laufe der Jahre kontinuierlich ausgebaut und gestärkt worden sind. Wir werden diese Beteiligungsrechte durch Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in den kommenden Wochen noch vor der Bundestagswahl konsequent weiter stärken.
Erlauben Sie mir bitte noch eine grundsätzliche Anmerkung zu Ihrem Vorwurf an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die 2005 dem Verfassungsvertrag zugestimmt haben: Das Bundesverfassungsgericht ist aus gutem Grund ein in hohem Maße und über Landesgrenzen hinweg geachtetes Gericht, dem die Aufgabe zukommt, das Handeln des Bundesgesetzgebers daraufhin zu überprüfen, ob es mit unserem Grundgesetz im Einklang steht. Wir haben es hier mit einer bewährten Aufgabenteilung zu tun, die den Grundsatz der demokratischen Gewaltenteilung umsetzt. Es wäre aber überaus vermessen, immer dann, wenn das Bundesverfassungsgericht eine vom Deutschen Bundestag erlassene gesetzliche Regelung für verfassungswidrig erklärt hat, den Parlamentariern, die dieser Regelung zugestimmt haben, absichtlichen Verfassungsbruch zu unterstellen. Vielmehr ist es grundsätzlich mit Blick auf die Gewaltenteilung normal, dass unter den vom Parlament erlassenes Gesetzen auch solche sein können, die - möglicherweise nur in ganz untergeordneten oder kleinen Ausschnitten - mit einzelnen Vorgaben der Verfassung nicht übereinstimmen. Vereinfacht gesagt: Der Deutsche Bundestag und der Bundesrat haben die Aufgabe, Gesetze zu erlassen; das Bundesverfassungsgericht hat die Aufgabe, im Klagefalle zu überprüfen, ob ein Gesetz mit der Verfassung im Einklang steht. Zu diesem Zweck wurde dem Bundesverfasungsgericht im Grundgesetz das Monopol für die letztendlich verbindliche Auslegung des Grundgesetzes verliehen. Es ist gut, dass das Bundesverfassungsgericht somit die Aufgabe hat, im Falle einer Klage die Gesetze am Maßstab unserer Verfassung zu prüfen und den Gesetzgeber gegebenenfalls zur Korrektur zu zwingen. Parlamentarier sind aber keine Verfassungsrichter, und Verfassungsrichter sind keine Parlamentarier. Vielmehr gehe ich davon aus, das die Abgeordneten des Deutschen Bundestages bei der Verabschiedung von Gesetzen mit dem besten Wissen und Gewissen darum bemüht sind, im Rahmen des verfassungsmäßigen Rahmens zu handeln. Es ist aber so, dass es zur Frage, ob eine konkrete gesetzliche Regelung mit der Verfassung im Einklang steht oder nicht, in überaus zahlreichen Fällen unterschiedliche Meinungen selbst unter angesehenen Verfassungsjuristen - und selbstverständlich auch unter Abgeordneten - gibt. Vor diesem Hintergrund war es notwendig, mit dem Bundesverfassungsgericht eine Instanz damit zu beauftragen, letztverbindlich und mit befriedender Wirkung festzustellen, ob eine gesetzliche Regelung verfassungskonform ist oder nicht. Das heißt aber doch nicht, dass dann, wenn das Bundesverfassungsgericht eine gesetzliche Regelung als verfassungswidrig einstuft, die für diese Regelung verantwortlichen Abgeordneten des Deutschen Bundestages absichtlich die Verfassung gebrochen hätten. Dies wird auch noch durch folgende Überlegung verdeutlicht: Selbst Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ergehen häufig nicht einstimmig; Ich denke, auch Sie möchten denjenigen Verfassungsrichtern, die in einem solchen Fall die Minderheitsposition im Urteil vertreten, keinen absichtlichen Verfassungsbruch vorwerfen wollen. Noch eine Anmerkung zum Europäischen Parlament: Das Bundesverfassungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass das Europäische Parlament nicht nach denselben Wahlgrundsätzen gewählt wird, wie sie etwa für die Wahlen zum Deutschen Bundestag gelten. Das Gericht hat hier insbesondere auf die unterschiedliche Stimmgewichte der Wahlberechtigten in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten hingewiesen. Ich kann nachvollziehen, wenn Sie durch diese Tatsache auf den ersten Blick irritiert sind. Um dies zu verstehen, muss man sich aber verdeutlichen, dass die Europäische Union kein Staat ist,sondern ein Staatenverbund eigener Art. In einem Staat, der für sich in Anspruch nimmt, demokratisch zu sein, besitzt die Gleichheit der Wahl eine überragende Bedeutung; darunter ist insbesondere zu verstehen, dass der Stimmabgabe aller Wahlberechtigten grundsätzlich das gleiche Gewicht zukommt. Die Europäische Union ist aber nun gerade kein Staat, sondern ein Staatenverbund eigener Art, dem in begrenztem Maße durch demokratische Entscheidungen - nämlich im Zuge der Ratifizierung seiner vertraglichen Grundlagen durch die Parlamente der Mitgliedstaaten – bestimmte Hoheitsrechte übertragen wurden. Dementsprechend gibt es auch kein "Europäisches Volk", das im Europäischen Parlament vertreten wäre; Vielmehr ist das Europäische Parlament letztlich als Vertretung der EU-Mitgliedstaaten gestaltet. Dabei ist die Gewichtung der einzelnen Mitgliedstaaten im Europäischen Parlament letztlich eine Sache der politischen Verständigung - das heißt: des Kompromisses - zwischen den Mitgliedstaaten. Das ist nur deshalb und so lange akzeptabel, wie die Europäische Union selbst keinen Staatscharakter hat. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass darauf geachtet wird, dass der Umfang und der Mechanismus der Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union nicht so gestaltet wird, dass die Europäische Union selbst Staatscharakter bekommt. Denn dann wäre diese - ganz unstreitig vorhandene - Ungleichheit in der Stimmgewichtung bei den Wahlen zum Europäischen Parlament in der Tat nicht hinnehmbar.
Ich möchte hier aber noch folgendes zu bedenken geben: Wollte man die Gleichheit aller Wählerstimmen bei den Wahlen zum Europäischen Parlament umsetzen, wie dies auf nationaler Ebene gilt, dann wäre davon auszugehen, dass sich kleinere Mitgliedstaaten aus der Europäischen Union verabschieden würden, weil ihre Bürgerinnen und Bürger im Vergleich zu den großen Mitgliedstaaten - etwa Deutschland - nur zu einem sehr geringen Teil Abgeordnete in das Europäische Parlament entsenden könnten. Ein solcher Ansatz wäre gegenwärtig mit ziemlicher Sicherheit das Ende der Europäischen Union. Wer so etwas fordert, sollte sich dessen bewusst sein. Das kann aus meiner Sicht nicht unser Ziel sein. Umso wichtiger ist es aber, dass die demokratisch gewählten Parlamente der Mitgliedstaaten - für Deutschland also der Deutsche Bundestag - die integrationspolitischen "Zügel" weiterhin "in der Hand halten". Gerade das hat auch das Bundesverfassungsgericht am 30. Juni 2009 gefordert. Es kommt also darauf an, dass die demokratisch legitimierten Parlamente der Mitgliedstaaten darüber entscheiden, welche Hoheitsrechte der Europäischen Union übertragen werden und welche nicht. Die CSU setzt sich dafür ein, dass der Deutsche Bundestag die maßgebliche Instanz bleibt, der über das Maß und den Umfang der europäischen Integration Deutschlands entscheidet.
Mit freundlichen Grüßen
Hartmut Koschyk MdB