Frage an Hans-Werner Götze von Ingrid P. bezüglich Wirtschaft
Wie kann man in der Landespolitik das Wachstum von Arbeitsplätzen beeinflußen? Wie kann man die niedrig bezahlten Berufe des Friseurhandwerks, des Schneiderhandwerks und im Gaststättengewerbe wieder attraktiv machen?
Sehr geehrte Frau Petermann,
die Beantwortung dieser Fragen ist für jedes Bundesland von existenzieller Bedeutung und gewinnt bei uns, besonders angesichts sinkender Fördermittel, noch zusätzlich an Brisanz. Bei Ihrer ersten Frage ist zu berücksichtigen, dass es sich um ein besonders komplexes Problem handelt. Zwei Zielrichtungen müssen dabei verfolgt werden. Zum Einen die Entlastung und damit die Sicherung vorhandener Unternehmen und zum Zweiten die Schaffung überzeugender Bedingungen für potenzielle Investoren.
Zur Entlastung vorhandener Unternehmen ist zu zählen, dass sie von bürokratischem Ballast befreit werden, der sie nur Arbeitszeit kostet aber nichts bringt. Z.B. müssen Firmen mit bis zu neun Mitarbeitern pro Jahr und Beschäftigten knapp 4.400 ? dafür aufwenden, dass sie der staatlichen Regelungswut gerecht werden. Das verteuert die Arbeit und verhindert Wertschöpfung. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht einleuchtet, aber eine Senkung der Gewerbesteuern würde allen helfen. Denn hier wirkt das Prinzip -Weniger ist Mehr-. Die Schweiz macht es uns vor. Dort kann jeder Kanton und jede Gemeinde die Höhe dieser Steuern selbst bestimmen, um so vorhandene Standortnachteile durch niedrige Steuern, auch im Werben um Investoren, wettzumachen. Denn während in der Schweiz der durchschnittliche Steuersatz bei 24% liegt, beträgt er in Deutschland 38%. Die Folge: die Schweiz hat mit 37.000 ? pro Kopf das höchste Bruttoinlandsprodukt Europas und steht mit 3,9% Arbeitslosen bedeutend besser da als wir. Und das, obwohl die Schweiz auch noch ein ausgesprochenes Hochlohnland ist. Entlastend wirken auch Regelungen die ausschließen, dass Handwerker auf ihren Rechnungen sitzen bleiben, z.B. durch Zahlungsabsicherungen über Bankbürgschaften, oder auch die Aufhebung der Zwangsmitgliedschaften bei IHK und Handwerkskammern. Ein-Euro-Jobs entwickeln sich zu unlauterer Konkurrenz für Handwerk und Gewerbe und vernichten reguläre Arbeitsplätze. Die Konsequenz kann nur lauten: sofort rückgängig machen. Ein verbesserter Zugang zu Risikokapital würde helfen, dass sich Firmen erweitern und ihre Produkte innovativer werden. Die Möglichkeiten der Nord LB, an der Sachsen-Anhalt beteiligt ist, hierfür zu nutzen, müssen ausgeschöpft werden. Die Aufzählung könnte noch beliebig fortgesetzt werden.
Ähnlich verhält es sich auch beim Thema Investoren.
Während auf dem Arbeitsmarkt ein Riesenloch klafft, sitzen einige Verwaltungen immer noch auf dem "hohen Ross" und lassen Investoren zappeln. So reagierte Magdeburg auf eine Investorenanfrage erst nach 7 Tagen, Dessau erst nach 14 Tagen und Wittenberg reagierte überhaupt nicht. Damit muß Schluß sein. Verwaltungen sind Dienstleister und haben sich auch so zu verhalten. Ihre Aufgabe kann nicht darin bestehen Hürden aufzubauen, sondern muß darin bestehen Wege zu ebnen. Ein schönes, positives Beispiel hat die Gemeindeverwaltung von Thalheim bei Bitterfeld abgegeben, als es um die Ansiedlung der Firma Q-Cells ging. Hier lief alles in Windeseile ab und das Ergebnis sind 700 Arbeitsplätze in zwei Jahren, die in der Endphase auf 1500 erweitert werden sollen und ein hoch innovatives Unternehmen, das weltweit bekannt ist. Die dabei gemachten Erfahrungen müssen verallgemeinert werden. Es geht also darum ein feines Gehör zu entwickeln, was Investoren erwarten, um dann darauf auch richtig zu reagieren. Grundsätzlich werden langfristige Standortvorteile höher bewertet, als kurzfristige Finanzbeihilfen. Letztere führen nur zu Mitnahmeeffekten ohne Nachhaltigkeit, siehe Bombardier in Halle, und meist auch zu Verlusten. Was uns in Sachsen-Anhalt auch fehlt, ist die internationale Herausstellung der herausragenden Standortvorteile Mitteldeutschlands, nicht nur als erstklassiger Produktionsstandort, sondern auch als Drehscheibe zwischen Ost- und Westeuropa. Hier muß das Marketing qualifiziert werden. Die Investoren in aller Welt müssen von uns wissen, um unsere Möglichkeiten in ihre Standortentscheidungen mit einfließen zu lassen. "Früher aufstehen" reicht allein nicht aus, wir müssen auch "ausgeschlafen" sein.
Doch nun zur Beantwortung Ihrer zweiten Frage.
Die von Ihnen aufgeführten Handwerksberufe sind ja nur einige von vielen, die so gering entlohnt werden, dass die Beschäftigten nicht oder nur mit Mühe davon ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Hier muß schnellstens Abhilfe geschaffen werden und das Zauberwort heißt -Mindestlohn-. Einige "Verbandsfürsten" auf der Unternehmerseite scheuen dieses Wort wie der Teufel das Weihwasser, - aus verständlichen Gründen. Trotzdem ist diese Haltung dumm und muß geändert werden, denn ökonomische Gesetzte wirken weltweit und machen um Deutschland keinen Bogen. Wir können uns den Exportweltmeister schenken, wenn es nicht gelingt die Binnennachfrage wieder in Gang zu bringen. Wie hatte schon Henry Ford festgestellt: "Autos kaufen keine Autos", woraus er dann schlussfolgerte, dass der Verdienst seiner Arbeiter so hoch sein muß, dass sie sich selbst ein Auto leisten können. Nachdem Zölle als Schutzmechanismen für die nationalstaatlichen Binnenmärkte nicht mehr zur Verfügung stehen, müssen andere Maßnahmen diese Funktion übernehmen, denn die Lebensstandards in Europa sind noch sehr unterschiedlich.
Aus diesem Grund sind bereits in 18 von 25 EU-Mitgliedstaaten Mindestlöhne eingeführt worden. Auch wenn ins Feld geführt wird, dass in Deutschland die Tarifautonomie gilt, muß dem entgegengehalten werden, dass Existenzsicherung dadurch nicht in Frage gestellt werden darf. Dazu ist auch festzustellen, dass von Tarifabschlüssen immer weniger Beschäftigte berührt werden (im Westen 30%, im Osten 45%) und auch deshalb ein existenzsichernder Grundbetrag für alle Vollzeitbeschäftigten eingeführt werden muß, sonst wird dem Lohndumping aus Richtung Osteuropa Tür und Tor geöffnet. In der Europäischen Sozialcharta von 1961 steht: "Alle Arbeitnehmer haben das Recht auf ein gerechtes Arbeitsentgelt, das ihnen und ihren Familien einen angemessenen Lebensstandart sichert." Das gilt es jetzt umzusetzen. Steuerfinanzierte Kombilohnmodelle sind hierbei nicht zielführend und werden deshalb abgelehnt. Sie stellen den Versuch dar, zu Lasten der Allgemeinheit unternehmerischen Gewinn zu machen. Das Beispiel Großbritannien hat aber gezeigt, daß Befürchtungen zum Verlust von Arbeitsplätzen völlig unbegründet sind. Es wurden keine Stellen abgebaut, sondern statt dessen neue geschaffen. Über eine Million Beschäftigter profitierte allein im Jahr 2004 von der Erhöhung des Mindestlohnes. Darüber hinaus nahm die Lohndiskriminierung von Frauen ab und der Beschäftigungszuwachs verstetigte sich. Im Zuge der Föderalismusreform muß dieses Problem von der neuen Landesregierung auch im Bundesrat vorangetrieben werden. Das kann aber weder von der Landes-CDU, noch von Prof. Böhmer gemacht werden, denn die favorisieren Kombilöhne und Billig-Jobs (s.MZ v. 08.08.05 / 03.01.06 / 04.01.06).
Sehr geehrte Frau Petermann, ich hoffe die Beantwortung ist zu Ihrer Zufriedenheit, auch wenn sie nur kurz einige Lösungsansätze unseres Bündnis Offensive für Sachsen-Anhalt für dieses Thema wieder gibt.
Mit freundlichen Grüßen
Hans-Werner Götze