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Hans-Peter Uhl
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Frage von Udo R. •

Frage an Hans-Peter Uhl von Udo R. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrter Herr Dr. Uhl.

In letzter Zeit kommen mir vermehrt Zweifel am Sinn unseres sozialen Systems. Die Soziale Sicherung war urprünglich wohl dazu gedacht, Menschen in äußerster Not zu helfen. Das Leben außerhalb solcher Notfälle sollte und konnte der Einzelne durch den Lohn für seine Arbeit meistern. Dann wurde die Soziale Sicherung um den sozialen Ausgleich erweitert. Dieser sollte durch eine Umverteilung von Vermögenden hin zu weniger Vermögenden realisiert werden. Nun stellen wir aber fest, daß Reichtum und Armut sich entgegengesetzt entwickeln, statt in gleicher Weise.

Ist das vielleicht so zu erklären, daß keine Umverteilung im Sinne des sozialen Ausgleichs mehr stattfindet, aber die Leistungen weiter bestehen und sogar erhöht werden? Hat der soziale Ausgleich somit zu einer Entlastung der Wirtschaft geführt, da die Funktion des Arbeitslohnes dadurch unterlaufen wird? Ist das soziale System dadurch, daß es überwiegend nur noch von den Anspruchnehmern selbst finanziert wird, mehr und mehr unbezahlbar geworden? Handelt es sich mittlerweile (nicht nur) beim sozialen Ausgleich nicht vielmehr um eine Subvention der Wirtschaft? Ist Ihnen bekannt, wieviel Prozent der Kosten des sozialen Ausgleichs tatsächlich durch selbigen abgedeckt sind? Ist sozial denn noch sozial?

Um mal anhand eines Beispieles konkret zu fragen: Ist Kombilohn sozialer Ausgleich oder Subvention? Wie wird er - und warum - im Haushalt deklariert?

Mit freundlichen Grüßen
Udo Reidegeld

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Antwort von
CSU

Sehr geehrter Herr Reidegeld,

zunächst müssten wir klären, was unter dem Begriff „Wirtschaft“ zu verstehen ist. Nach meinem Verständnis gehören alle Menschen zur Wirtschaft, die keine autarken Selbstversorger sind – also so gut wie alle. Die drei großen Akteure der Wirtschaft sind die Privathaushalte (Arbeitnehmer, Beamte, Freiberufler, Betriebsinhaber und Transferbezieher), die Unternehmen (juristische Personen) und der Staat. Die Grundform des Wirtschaftskreislaufs spielt sich in den Beziehungen des privaten Sektors ab: Selbständige und Unternehmen geben Arbeit und Einkommen und sorgen für eine angemessene Versorgung mit Waren und Dienstleistungen. Die Arbeitnehmer tragen mit ihrer Arbeitsleistung dazu bei. Hinzu kommt der Staat als Nachfrager und Arbeitgeber und als Schöpfer und Hüter der rechtlichen Rahmenbedingungen des Wirtschaftens. Da der Staat mit Transferleistungen die Nachfragekraft der Transferempfänger stützt, „subventioniert“ er in gewisser Weise die „Wirtschaft“ – dies ist ein Effekt, aber nicht die Begründung der Transfers.

Mit „Wirtschaft“ meinen Sie jedoch anscheinend etwas anderes: die (großen) Unternehmen, deren gutbezahlte Führungskräfte und die (erfolgreichen) Freiberufler – sozusagen das, was die Marxisten das „Kapital“ genannt haben. Wenn ich Ihre Vermutung richtig verstanden habe, meinen Sie, dass diese wirtschaftlich Stärkeren nicht mehr angemessen an der staatlichen Umverteilung zugunsten der Schwächeren beteiligt würden, sondern dass letztere die Transferleistungen im Grunde überwiegend selbst bezahlten.

Jeder, der sich mit diesem Thema beschäftigt, steht vor dem Problem, dass unser Sozialstaat sich so komplex entwickelt hat, dass (staatliche) Direkt-Sozialtransfers und (gesetzliche) Sozialversicherungsleistungen kaum auseinander zu halten sind. Die offizielle Zählung der „Sozialleistungen“ vermengt beides und kommt somit auf jährlich ca. 700 Mrd. Euro Ausgaben in Deutschland. Etwa zwei Drittel davon umfassen die Leistungen der Sozialversicherung (Krankenkassen, Renten- Arbeitslosen und Pflegeversicherung), die wiederum zum Teil aus Steuermitteln bezuschusst werden – der größte Posten ist hier der jährliche Zuschuss von knapp 80 Mrd. Euro aus dem Bundeshaushalt für die Rentenkasse.

Im Ergebnis haben wir einen schwer zu durchschauenden Knäuel von Steuern und Sozialabgaben einerseits und Transferleistungen andererseits. Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) hat untersucht, welche Umverteilungswirkung aus diesem Komplex hervorgeht, und kam zu dem Ergebnis, dass die Umverteilung „von oben nach unten“ durchaus effektiv ist: Die einkommensstärksten 10 Prozent der Haushalte zahlen fast zwei Fünftel des Einkommenssteueraufkommens; die drei Zehntel der einkommensstärksten Haushalte kommen für 61,9 Prozent aller Steuern und Sozialabgaben auf.
http://www.iwkoeln.de/Informationen/AllgemeineInfodienste/iwd/Archiv/2007/4Quartal/Nr46/tabid/2119/ItemID/21550/Default.aspx

Zum Thema „Reichtum und Armut“ und zu den Fallstricken entsprechender Statistiken empfehle ich folgenden Artikel:
http://www.faz.net/s/Rub0E9EEF84AC1E4A389A8DC6C23161FE44/Doc~E7A9C294987AA42779E21ECE43F46A05C~ATpl~Ecommon~Scontent.html?rss_aktuell

Thema Kombilohn: Grundsätzlich sollte eine volle Arbeitsstelle einen auskömmlichen Lohn ergeben. Die Tarifautonomie sieht vor, dass Vertreter von Arbeitnehmern und Arbeitgebern sich auf Löhne einigen, die gegenüber den Arbeitnehmern fair sind (sie angemessen am Unternehmenserfolg beteiligen) und zugleich der Wettbewerbssituation des Unternehmens angemessen Rechnung tragen.
Wenn die Wettbewerbssituation einen auskömmlichen Lohn für (einige) Beschäftigte nicht zulässt, sind Kombilöhne eine sinnvolle Transfermaßnahme, weil die relevante Alternative für den Beschäftigten sonst Arbeitslosigkeit und volle Transferabhängigkeit wäre. Begünstigter des Kombilohns ist in diesem Fall der Beschäftigte. Auch für das Gemeinwohl ist ein Fall von Kombilohn vorteilhafter als ein zusätzlicher Fall von Arbeitslosigkeit.
Die Gefahr besteht jedoch durchaus, dass Unternehmen in Wahrheit schon einen höheren Lohn zahlen könnten, sich dies infolge staatlicher Lohnzuschüssen jedoch sparen. Dies wäre tatsächlich ein Fall von „Subvention“, der dem Gemeinwohl und dem berechtigten Anspruch des Beschäftigten zuwider liefe. Deshalb müssen Kombilohnmodelle mit Augenmaß und zeitlicher Befristung gehandhabt werden. Gegen die Aufstockung von Geringverdiensten („ergänzendes Hartz-IV“) als Dauerzustand können branchenspezifische Mindestlöhne teilweise eine sinnvolle Abhilfe schaffen. Ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn wäre hingegen zu undifferenziert und würde mehr schaden als nützen.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Hans-Peter Uhl