Frage an Hans-Peter Uhl von Claudia M. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrter Herr Dr. Uhl,
danke für Ihre Antwort.
Wenn ich aber entlassen wurde und dann günstigere Arbeitnehmer aus dem Osten( geht jetzt schon über das Niederlassungsgesetz/ Scheinfirma im Heimatland) meine Arbeit erledigen, nützen mir Ihre Hinweise nichts. Wenn ich mich recht entsinne, sagte Edmund Stoiber 2007, dass noch ca. 160.000 Akademiker in Deutschland arbeitslos wären. Wird mit dem Begriff "Niedrig-und Geringqualifizierte" nicht zu lasch umgegangen???
Wenn das Handwerk z.B. mehr ausbildet, als es später beschäftigen kann, so sind diese Leute geringqualifiziert?
Meine konkrete Frage: Wie verhindert Ihre Partei in Zukunft, dass osteuropäische Billigkräfte bevorzugt werden?
Und selbst wenn jemand geringqualifiziert ist, warum schützt der Staat ihn dann nicht?
Es kann m.E. nicht sein, dass der Staat zusätzliche Konkurrenz schafft, über zig Liberalisierungen ( Dienstleistungsrichtlinie, Freizügigkeit), zeitgleich aber Mindeststandards wie Mindestlöhne ablehnt. Sehen Sie das anders?
Ich sehe mich als Opfer einer Lohndumpingpolitik, die m.E. vom EuGH noch verschäft wird. Deshalb sind viele Menschen m.E. so europaskeptisch. Weil eine Sozialcharta fehlt.
Können Sie meine konkrete Einwände nicht etwas verstehen?
Schließlich bekommen Anwälte usw. auch nicht soviel Konkurrenz und sind über einen Gebührenverordnung quasi mindestlohnabgesichert.
Mir nützen Ihre Hinweise bezüglich Tourismus usw. nichts. Außerdem fließt auch viel Kapital weg. Ist es nicht so, dass der deutsche Arbeitnehmer die Verlagerung seines Arbeitsplatzes über die Steuern die zur EU gehen mitfinanziert? Wann hat es ein Ende, dass sich die Staaten der EU im Steuer senken gegenseitig das Leben schwer machen? Ist es nicht so, dass dieses Steuerdumping zwangsläufig zu Sozialdumping führen muss?
Wenn das Baltikum z.B. kaum Steuern erhebt, sollte es m.E. auch keine Gelder für Ansiedlungen von Firmen bekommen. Ist die EU-Politik nicht völlig ab absurdum in diesen Fragen?
Mit freundlichen Grüßen
Claudia Maurer
Sehr geehrte Frau Maurer,
Ihre Fragen sind so weitreichend, dass ich zu einer etwas längeren Antwort ausholen muss.
Natürlich kann ich Ihre Sorgen verstehen. Auch möchte ich individuelle Schicksale nicht wegdiskutieren. Ich bitte nur um Verständnis, dass zur Sachlichkeit auch der Blick aufs Ganze gehört.
So wollte ich keineswegs sagen, dass alle Arbeitslosen gering qualifiziert seien. In der Tat gibt es leider gut qualifizierte Arbeitslose, auch arbeitslose Akademiker. Aufs Ganze gesehen ist das Risiko arbeitslos zu werden und vor allem Langzeitarbeitsloser zu sein bei den „geringer Qualifizierten“ (im Sinne der Arbeitsmarktanforderungen) jedoch wesentlich höher. Der Anteil der arbeitslosen Akademiker liegt bei 4-5% aller Arbeitslosen, also relativ niedrig.
Ihrem Eindruck, die EU sei Schuld an den Problemen des Arbeitsmarktes, möchte ich widersprechen. Erstens scheint mir in Ihrer Darstellung ein Widerspruch enthalten zu sein: Lassen die osteuropäischen Staaten zu, dass ihre Bürger in Deutschland Dienstleistungen erbringen, handelt es sich um „Lohndumping“. Versuchen dieselben Staaten hingegen, ihre Arbeitnehmer durch attraktive Unternehmensbedingungen bei sich zu halten, betreiben sie „Steuerdumping“ und „missbrauchen“ EU-Gelder. Ganz so einfach ist es wohl nicht.
Zweitens hat sich ein negativer Beschäftigungseffekt (insgesamt, im Saldo!) in Folge der EU-Osterweiterung bislang nicht nachweisen lassen – im Gegenteil. Dazu möchte ich aus einer Studie zitieren, die 2007 Im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums erstellt wurde zum Thema „AUSWIRKUNG DER EU-ERWEITERUNG AUF WACHSTUM UND BESCHÄFTIGUNG IN DEUTSCHLAND UND AUSGEWÄHLTEN EU-MITGLIEDSSTAATEN“. Sie finden die Zusammenfassung der Studie hier:
http://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/Publikationen/Studien/auswirkung-der-eu-erweiterung-zusammenfassung-und_20schlussbericht-seutsch,property=pdf,bereich=bmwi,sprache=de,rwb=true.pdf
(Hinweis: Mit NMS-8 sind die mittel- und osteuropäischen Beitrittsländer gemeint: Lettland, Litauen, Estland, Polen, Slowakei, Tschechien, Ungarn, Slowenien gemeint.)
„Der deutsche Außenhandel mit den NMS-8 und Bulgarien und Rumänien hat sich bereits seit Anfang der 90er Jahre dynamischer entwickelt als der deutsche Außenhandel insgesamt oder der mit den alten EU-Mitgliedsländern. Auch nach der Erweiterung hat sich diese Dynamik fortgesetzt: Die Exporte in die NMS-8 sind von gut 56 Mrd. € im Jahr 2003 auf 83 Mrd. € im Jahr 2006 angestiegen und die Importe sind von 55,3 Mrd. € auf gut 70 Mrd. € gewachsen. Ähnlich hat sich die Entwicklung für Rumänien und Bulgarien vollzogen, die Exporte stiegen von 4,6 Mrd. € (2003) auf 9,3 Mrd. € (2006) und die Importe haben von gut 3,2 Mrd. € auf 5,8 Mrd. € zugenommen. Insgesamt verzeichnet Deutschland seit der Erweiterung mit den NMS-8 und mit Bulgarien und Rumänien hohe Handels- und Leistungsbilanzüberschüsse, d.h. die Wertschöpfung der von Deutschland in die NMS-8 ausgeführten Güter und Dienstleistungen übersteigt deutlich die Wertschöpfung der eingeführten Güter und Dienstleistungen. (...)
Auch wenn es in Einzelfällen zu Verlagerungen von Produktionsstätten in die neuen Mitgliedsstaaten kommt, so lässt sich daraus doch keine allgemeine Tendenz zum Abbau von Beschäftigung in Deutschland durch die EU-Erweiterung ableiten. Dazu ist auch gesamtwirtschaftlich das Volumen der Direktinvestitionen in die NMS-10 zu gering. Im Jahr 2004 betrug das Volumen an Direktinvestitionen in den neuen Mitgliedsstaaten ungefähr 0,3% des deutschen Bruttoinlandprodukts.“
Ich bin überzeugt, dass freiheitliche Regeln im einheitlichen Binnenmarkt in der Europäischen Union und gemeinsame Standards uns ein Mehr an Beschäftigung und Wohlstand bringen. Deshalb macht sich die CSU auf allen Ebenen (Landtag - Bayerische Staatsregierung; Bundestag - Bundesregierung; Europäisches Parlament) für die Weiterentwicklung des europäischen Wirtschafts- und Sozialmodells stark. Das heißt: Ziel ist ein barrierefreier, gemeinsamer Wirtschaftsraum, der zugleich (!) im Sinne gemeinwohlorientierter Regelungen demokratisch kontrolliert und geordnet wird: Faire Standards zum Umwelt-, Arbeits- Verbraucherschutz etc. Beides muss zusammenkommen.
Freilich müssen auch Bereiche bleiben, die die einzelnen Mitgliedstaaten eigenständig (also auch bewusst anders wie andere EU-Länder) regeln können. Dazu gehört nach meiner Auffassung die Zuwanderung. Deshalb setzen wir uns zur Wehr gegen Absichten der EU-Kommission, die uns zu einer Änderung unserer Politik im Bereich der Arbeitsmigration zwingen würden. Die Mitgliedstaaten müssen über den Zugang von ausländischen Arbeitnehmern (aus Nicht-EU-Staaten) selbst entscheiden können. Wichtig ist es für uns, flexibel auf Änderungen auf unserem Arbeitsmarkt reagieren zu können. Auch die Entscheidungshoheit über die Festlegung von Einwanderungsquoten gehört in die Zuständigkeit der Mitgliedsländer. Zur Zuwanderungspolitik will ich Ihnen auch die Lektüre der Plenarrede meines Kollegen Reinhard Grindel (CDU) empfehlen: http://www.cducsu.de/Titel__Wir_lehnen_ein_Zuwanderungspunktesystem_ab_weil_dies_die_Sozialsysteme_belasten_und_fuer_zusaetzlich/TabID__1/SubTabID__2/InhaltTypID__2/InhaltID__9981/Inhalte.aspx Daraus können Sie ersehen, dass die Union die einzige Kraft im Bundestag ist, die zum Schutz des Arbeitsmarktes keine weitere Zuwanderung – außer der, die schon möglich ist – zulassen will.
Zuletzt zum Thema Mindestlohn: Meine Partei lehnt gesetzliche Mindestlöhne ja nicht deshalb ab, weil wir den Menschen nicht einen ordentlichen, auskömmlichen Lohn gönnen würden. Wir befürchten nur – so sagen es die Wissenschaftler voraus, entsprechende Erkenntnisse gibt es aus Frankreich – dass ein gesetzlicher Mindestlohn viele Arbeitsplätze vernichten würde: Vgl. http://www.cesifo-group.de/portal/page/portal/ifoContent/N/politikdebatte/politikdebatte-texte/Aufruf_20080312.pdf Daher sind wir der Meinung, dass ein niedriger Lohn plus ergänzende Sozialleistung für den Beschäftigten immer noch besser und für den Steuerzahler billiger ist als der Bezug von Hartz-IV komplett. CDU und CSU sind jedoch bereit, das Arbeitnehmerentsendegesetz zu seinem ursprünglichen Zweck auszuweiten: Dem Schutz vor übermäßigem grenzüberschreitenden Lohnwettbewerb. Eine dementsprechende Einbeziehung weiterer Branchen („branchenspezifische Mindestlöhne“) ist für uns akzeptabel, sofern bestehende Tarifverträge hinreichend geschützt werden. Im Koalitionsvertrag haben wir interessierten Branchen das Zieldatum Ende März 2008 angeboten, um eine Aufnahme in das Entsendegesetz zu beantragen. Das geringe Echo bestätigt unsere Position, wonach die bewährte deutsche Tarifautonomie Vorrang haben muss.
Mein Standpunkt in der Zusammenfassung: (Annähernde) Vollbeschäftigung bei guten Löhnen können wir nicht durch diverse Zwänge und Fesseln für die Wirtschaft erreichen, sondern durch gute Bildung und Ausbildung (Aufgabe der Politik, der Unternehmen und von jedermann selbst), möglichst viel Wirtschaftsfreiheit bei möglichst intelligenten Standards und Rahmengesetzen (teils national, teils europäisch), einer Begrenzung der Zuwanderung und einer nachholenden Integrationsarbeit und durch ein Steuer- und Sozialsystem, das Anreize zu mehr Beschäftigung bietet und Normalverdiener und mittelständische Unternehmer nicht übermäßig belastet.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Hans-Peter Uhl