Frage an Hans-Peter Uhl von Mechthild S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Dr. Uhl!
Warum haben Sie für eine Fortsetzung der ISAF- bzw. Tornadoeinsätze in Afghanistan gestimmt?
Für eine konstruktive Friedenspolitik, die sich in dem geschundenen Afghanistan für den
zivilgesellschaftlichen Aufbau einsetzt, wäre es notwendig, die 450 Mio Euro, die gegenwärtig für den
Krieg am Hindukusch ausgegeben werden , in die Entwicklung von Landwirtschaft, Gesundheit, Bildung, Wohnungs- und Straßenbau, sowie an der Basis in Trauma- und Versöhnungsarbeit zu investieren. Hier kann Deutschland effektiv, nachhaltig und gewaltfrei mehr für die afghanische Bevölkerung leisten als mit dem Einsatz von KSK, durch Beihilfe zu Angriffen mittels Tornadoaufklärung oder durch militärische Begleitung humanitärer Organisationen und ziviler Ausfbauhelfer, die durch jene mehr gefährdet als geschützt sind.
Durch die Verwischung der Grenzen zwischen zivilen und militärischen Operationen sind aber nicht nur zivile Aufbauhelfer sondern auch deutsche Soldaten mehr und mehr Opfer von Selbstmordattentaten geworden.
So bitte ich, Sie herzlich,
1.sich dafür einzusetzen, dass ISAF dem NATO-Oberbefehl entzogen und unter das Mandat der VN gestellt wird, um die Vermischung mit OEF zu vermeiden und
2. gegen eine Fortsetzung des OEF-Mandates zu stimmen.
Denn Terrorismus ist nicht militärisch zu bekämpfen, wie allmählich deutlich wird. "Mehr Sicherheit gibt es nur durch eine Politik größerer sozialer Gerechtigkeit auf der Basis der Ebenbürtigkeit und Gleichberechtigung. Das allein ist eine konstruktive Friedenspolitik, die den Terrorismus seines Nährbodens beraubt."
Mit diesem Zitat von Horst Eberhard Richter möchte ich meinen Appell an das vernunft- und menschenrechtsorientierte Denken und Handeln eines Juristen und Politikers beenden, der mir schon einmal die Wichtigkeit des Vorrangs ziviler Friedensmissionen vor militärischen bestätigt hat.
Freundliche Grüße!
Mechthild Schreiber.
Sehr geehrte Frau Schreiber,
Ihre Forderung nach einem Verzicht auf das OEF-Mandat in Afghanistan - bzw. auf militärische Mittel überhaupt - kann ich nicht unterstützen. Lassen Sie mich das im Folgenden begründen.
Das Ziel Deutschlands und seiner NATO-Partner in Afghanistan ist die Hilfe zur Selbsthilfe, um Fortschritte für den Frieden und eine gerechte Entwicklung zu erreichen.
Trotz aller Probleme haben wir dabei bereits eindeutige Erfolge vorzuweisen. Die Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit wurden durch die Verabschiedung der Verfassung und einzelner Gesetze auf ein in Afghanistan bisher unbekanntes Niveau gehoben. So werden in der Verfassung z.B. Frauen und Männer gleichgestellt, die wichtigsten internationalen Menschenrechtsabkommen haben Verfassungsrang und traditionelle Formen der Unterdrückung wie Ehrenmorde oder Zwangsehen sind verboten worden. Gemeinsam mit der afghanischen Regierung konnte eine beachtliche Entwicklung im zivilen Wiederaufbau angestoßen werden. Seit 2001 entstanden mehr als 3500 Schulen, die Alphabetisierungsrate – auch unter Mädchen – steigt kontinuierlich an. Drei Viertel der Bevölkerung haben eine medizinische Grundversorgung. Die Infrastruktur befindet sich im Aufbau und ist besonders im städtischen Bereich bereits deutlich verbessert worden. In ländlichen Gebieten versucht die Bundeswehr mit ihrem „PRT Konzept“ (Provincial Reconstruction Team) die Entwicklung zu fördern. Um möglichst große Nachhaltigkeit zu erreichen, werden nach Möglichkeit einheimische Organisationen eingebunden.
Nach wie vor sind diese guten Entwicklungen durch terroristische und kriminelle Aktivitäten bedroht. Da den afghanischen Behörden in vielen Bereichen noch die Mittel zur Durchsetzung des Gewaltmonopols fehlen, nimmt die ISAF-Mission eine Reihe von militärischen Schutz- und Unterstützungsaufgaben wahr. Gerade die Aufklärungstornados der Bundeswehr leisten hierbei einen wichtigen Beitrag, da sie helfen, die Bewegungen feindlicher Kräfte frühzeitig zu erkennen. Auch die OEF-Einsatzkräfte sind in diesem Zusammenhang unabdingbar, da sie durch ihren Kampfauftrag einem erneuten Einsickern und Festsetzen von Terroristen entgegentreten. Da die afghanischen Behörden alle Sicherheitsaufgaben so bald wie möglich selbst wahrzunehmen sollen, engagieren wir uns unter anderem in der Ausbildung von afghanischen Militär- und Polizeikräften.
Die ISAF-Mission in Afghanistan kann nicht ohne einen nachhaltigen zivilen Aufbau erfolgreich sein. Auf der anderen Seite ist dieser Aufbau momentan unmöglich ohne robusten militärischen Schutz. Aktuell können staatliche Hilfsorganisationen und NGOs nur in den Sphären relativer militärischer Sicherheit, wie etwa in Kabul oder im Norden, erfolgreich arbeiten. In den umkämpften Gebieten im Süden Afghanistans – wo zivile Organisationen Anschläge und Entführungen befürchten müssen – ist die humanitäre Hilfe fast gänzlich zum Erliegen gekommen.
Eine rein politische Lösung für den Aufbau der afghanischen Zivilgesellschaft – ohne Militär – stellt momentan keine Perspektive dar. Die meisten Talibankommandeure und Warlords haben kein Interesse an Kooperation, da sie auf eine Wiederherstellung der alten Zustände hinarbeiten. Ein Rückzug der Bundeswehr zum jetzigen Zeitpunkt würde lediglich dazu führen, alle erreichten Fortschritte aufzugeben. In kürzester Zeit würde das Land wieder zu einer Ausbildungsstätte für Terroristen werden, von denen auch für die deutsche Bevölkerung eine direkte Bedrohung ausgehen würde. Viel dramatischer wären die Auswirkungen in Afghanistan selbst. Durch einen Rückzug würden wir alle Afghanen im Stich lassen, die sich keine Rückkehr in das Mittelalter und zu den Gewaltorgien der Taliban wünschen. Deutschlands Glaubwürdigkeit als Schützer seiner Bürger – aber auch als ehrlicher Vertreter humanitärer Grundwerte – wäre dahin, wenn wir uns unserer Verantwortung bequem entziehen wollten.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Hans-Peter Uhl, MdB