Frage an Hannah Neumann von Uwe T. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Wie stehen Sie zu der unsäglichen und disfunktionalen Geld und Zeitverschwendung, aufgrund der Aufrechterhaltung des zweiten EU-Parlament Standortes in Straßburg.
Es ist zwar nur eines von vielen paradoxen Ärgernisse, steht aber genau für das, was selbst einen wohlwollenden EU-freundlichen Bürger gegen seine Institutionen und ihre gewählten Vertreter einnimmt.
Man stelle sich das Gleiche auf nationaler Ebene vor. Z.B. ein permanenter Wechsel des Bundestages zwischen Berlin und Bonn. Hier würde ein solches Kasperletheater nicht durchgehen, warum dann auf EU-Ebene.
Werden Sie sich ernsthaft für die Beendigung dieses Zustandes einsetzen?
Sehr geehrter Herr T.,
ich persönlich bin für eine Zusammenlegung der Parlamentssitze. In der Tat werden zur Aufrechterhaltung der mehreren Parlamentssitze große Summen an Geld und Zeit aufgewandt. Eine Studie des Europäischen Rechnungshofs aus dem Jahre 2014 zeigt, dass durch einen Umzug des Parlaments von Straßburg nach Brüssel 114 Millionen Euro jährlich eingespart werden könnten. Sollte es gelingen die in Straßburg leerstehenden Gebäude nach dem Umzug nach Brüssel erfolgreich zu veräußern, käme sogar eine einmalige Einsparung in Höhe von 616 Millionen Euro hinzu. Darüber hinaus erzeugt die geografische Verteilung der Parlamentsdienste bis zu 19.000 Tonnen CO₂ pro Jahr – eine fatale Bilanz aus ökologischer Sicht.
Allerdings ist es nicht zu leicht, das zu ändern. Laut den Verträgen liegt der offizielle Sitz des Parlaments nicht in Brüssel, sondern in Straßburg. Dies wurde 1992 auf einem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschef in Edinburgh einstimmig beschlossen und mit dem Vertrag von Amsterdam 1999 erneut bestätigt. Auch im aktuellen Vertrag von Lissabon ist diese Regelung im Protokoll Nr. 6 über die Festlegung der Sitze der Organe festgelegt.
Der Status einer Vertragsnorm bedeutet, dass Änderungen an dieser nur einstimmig vorgenommen werden können. Auch wenn Kritiker*innen seit langem fordern, dass die Regelung abgeschafft wird, ist sie weitgehend erhalten geblieben, weil Frankreich gegen jeden Versuch, die erforderliche Änderung des EU-Vertrags vorzunehmen, ein Veto eingelegt hätte. Aus französischer Sicht ist, neben klar wirtschaftlichen Interessen, Straßburg als Symbol der deutsch-französischen Aussöhnung von großer Bedeutung.
Das Parlament hat bereits in mehreren Resolutionen, darunter 2014 von einem ehemaligen GRÜNEN Europaabgeordneten mitverfasst, eine Lösung zur Zusammenlegung der beiden Parlamentssitze angemahnt. Dieser Bericht wurde vom Plenum mit 483 zu 141 Stimmen bei 34 Enthaltungen angenommen. Der Ball liegt hierbei eindeutig im Feld der nationalen Regierungen, da das Parlament ohne deren Zustimmung nicht über seinen eigenen Standort entscheiden kann. Ich hoffe, dass wir hier in absehbarer Zeit eine Änderung herbeiführen können und werde mich dafür einsetzen.
Mit grünen Grüßen
Dr. Hannah Neumann