Frage an Hannah Neumann von Wolf-Dieter O. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Dr. Neumann,
Stehen Sie für ein Europa der Nationen mit der Konsequenz, den nationalen Parlamenten wieder mehr Einfluss einzuräumen oder vertreten Sie die gegenteilige Politik, die letztlich auf eine Art "Vereinige Staaten von Europa" hinausläuft?
Sehr geehrter Herr Ohme,
die wachsende Bedeutung einer starken EU als Vertreterin der europäischen Bevölkerung in der Welt, als Gegengewicht gegen die Interessen multinationaler Unternehmen und als Streiterin für Frieden, Nachhaltigkeit und eine gerechte globale Entwicklung gerät mit der Nationalstaatsidee des 19. und 20. Jahrhunderts in ein immer größeres Spannungsverhältnis. Die EU soll kein zentralistischer Superstaat sein, aber ich finde doch, dass sie in den Politikbereichen, die wir nur europäisch angehen können (bspw. Klimaschutz, Steuersystem, Handel, Verbraucherschutz, Aueßenpolitik) die Richtlinien für nationale Politik setzen sollte. Und dazu müssen wir auf dem Weg der politischen Integration vorankommen.
Wir Grüne wollen eine breite Diskussion über Unionsmodelle wie die Vereinigten Staaten von Europa, den föderativen Bundesstaat oder die Europäische Republik führen und in die Gesellschaft tragen. Als Teil dieser Frage ist auch zu klären, wie die Rolle der Regionen innerhalb der Europäischen Union gestärkt werden kann, also etwa, ob es ausreicht, das Subsidiaritätsprinzip auszuweiten, oder ob in mehr Au- tonomie und Souveränität der Regionen unter einem europäischen Dach auch Chancen liegen. Mittelfristig treten wir dafür ein, den Rat in eine zweite Kammer zu überführen. Wir wollen diskutieren, ob diese aus den Regierungen der Mitgliedstaaten oder den Regionen zusammengesetzt ist. Diese zweite Kammer bildet zusammen mit dem Europäischen Parlament die Legislative.
Zudem wollen wir die Entscheidungsprozesse im Rat verändern: Bei Gesetzgebungsverfahren sollen Fristen eingeführt werden, bis zu denen eine öffentliche Debatte im Rat stattgefunden haben muss. Dabei müssen alle EU-Regierungen ihre jeweils aktuelle Position zum Ratspräsidentschaftsvorschlag vorlegen. Es ist derzeit kaum nachvollziehbar, welches Mitgliedsland sich im Rat wie positioniert. Hier wollen wir mehr Transparenz, sodass alle Mitgliedsländer offenlegen müssen, wofür sie in Brüssel eintreten.
Zudem wollen wir für alle verbleibenden Politikbereiche, in denen heute noch per Einstimmigkeitsprinzip entschieden wird, Mehrheitsentscheidungen einführen. Damit stärken wir Europas Handlungsfähigkeit und verhindern, dass einzelne Mitgliedsländer grundlegende Entscheidungen blockieren können.
Auch wenn wir über die konkrete Ausgestaltung streiten; das wird am Ende auf eine Art „Vereinigte Staaten von Europa“ oder eine „föderale Republik Europa“ rauslaufen. Ich glaube, dass das der einzige Weg ist, um mit den großen politischen Herausforderungen unserer Zeit mithalten zu können. Nationalstaaten alleine werden nicht in der Lage sein, die notwendigen Veränderungen anzustoßen, um die Klimakrise einzudämmen, Großkonzerne in die Schranken zu weisen und den Autokratien und Diktaturen in unsere Nachbarschaft dauerhaft ein alternatives Politikmodell entgegen zu setzen. Deswegen halte ich das für den richtigen Weg.
Mit grünen Grüßen,
Hannah Neumann