Frage an Günter Krings von Jens B. bezüglich Medien, Kommunikation und Informationstechnik
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Krings,
wie wichtig bewerten Sie den Einfluss der staatlichen Kontrolle in den freien digitalen Austausch von Daten?
Warum fällt es Ihnen offensichtlich schwer eine Kollision der deutsche Regelung zur verdachtsunabhängigen Speicherung von Standort- und Verkehrsdaten mit geltenden EU-Recht zu sehen?
Ferner: wann erkennt die Bundesregierung endlich, dass der Ausbau der Digitalisierung nicht ein, sondern DAS Thema des 21.Jahrhunderts ist? Hier muss Ihre Fraktion und Ihr Ressort mehr Druck aufbauen.
Entschuldigen Sie, dass es drei Fragen geworden sind.
Ich freue mich auf Ihre Antwort.
Mit besten Grüßen,
J. B.
Sehr geehrter Herr B.,
besten Dank für Ihre Mail vom 19. November 2020 und Ihrem damit verbundenem Interesse an der Arbeit des Bundesministeriums des Inneren, für Bau und Heimat (BMI).
Gerne gehe ich auf Ihre Fragen ein; Sie finden meine Antworten direkt im Anschluss an Ihre jeweiligen Frage:
1. Wie wichtig bewerten Sie den Einfluss der staatlichen Kontrolle in den freien digitalen Austausch von Daten?
Wir wollen allen Bürgerinnen und Bürgern den Weg in das Datenzeitalter ebnen. So sehen die Menschen den Nutzen und die Chancen der Digitalisierung und von Daten jeden Tag – sie sehen jedoch auch die Gefahren. Mir ist es wichtig, die Chancen zu betonen und in den Fokus rücken, sei es bei der Pandemiebekämpfung durch Big Data, den Möglichkeiten der digitalen Verwaltung und der digitalen Kommunikation, beim Home-Office oder -Schooling. Darüber hinaus müssen wir natürlich auch der möglichen Verunsicherung und Skepsis der Bürgerinnen und Bürger begegnen. Wir müssen Rahmenbedingungen schaffen, die verdeutlichen, dass der Staat und auch die EU ihre Schutzfunktion für die Bürgerinnen und Bürger wahrnehmen – dies gilt natürlich auch für den Austausch von Daten.
Mit der EU Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) gibt es bereits eine Regelung in Bezug auf personenbezogene Daten, nach der datenschutzrechtlich motivierte Beschränkungen des freien Verkehrs personenbezogener Daten innerhalb der EU nicht mehr zulässig sind (Artikel 1 Abs. 3 DSGVO). Darüber hinaus postuliert die Free-Flow-of-Data Verordnung (EU) 2018/1807 (FFoD-VO) das Prinzip des freien Verkehrs nicht-personenbezogener Daten innerhalb der EU. Die Verordnung ist Teil der Strategie der Kommission für den Digitalen Binnenmarkt. Ziel ist der Abbau von Hindernissen für grenzüberschreitende Datentransfers innerhalb der EU.
2. Warum fällt es Ihnen offensichtlich schwer eine Kollision der deutschen Regelung zur verdachtsunabhängigen Speicherung von Standort- und Verkehrsdaten mit geltenden EU-Recht zu sehen?
Ich bedaure es sehr, dass es Ihnen nicht gelingt, die Unterschiede der deutschen Rechtslage zu den EU-rechtlichen beanstandeten Normen anderer Staaten zu erkennen, bin aber gerne bereit Ihnen diese zu erläutern.
Die Entscheidung des EuGH vom 6. Oktober dieses Jahres (La Quadrature du Net u.a.) erging zu Vorschriften des französischen, belgischen und britischen Rechts. Eine Entscheidung zu den deutschen Regelungen zur sog. Vorratsdatenspeicherung liegt damit noch nicht vor. Das entsprechende Vorabentscheidungsersuchen des BVerwG ist noch beim EuGH anhängig.
Aus meiner Sicht unterscheiden sich die deutschen Vorschriften zu den Mindestspeicherfristen erheblich von den Vorschriften, die Gegenstand der jüngsten Entscheidung des EuGH und der Entscheidung im Verfahren „Tele2 Sverige“ von 2016 waren.
Denn die deutschen Regelugen sind zum einen hinsichtlich der speicherpflichtigen Datenkategorien beschränkt, so dass gerade keine vollumfängliche Speicherverpflichtung für sämtliche anfallenden Telekommunikationsdaten besteht. Zum anderen sind die vorgesehenen Speicherfristen – gerade auch im Vergleich zu den Regelungen anderer Mitgliedstaaten – sehr kurz bemessen. Zudem gibt es hier ein abgestuftes System: Standortdaten werden als besonders sensible Daten sogar noch kürzer gespeichert als Verkehrsdaten (vier statt zehn Wochen).
Verkehrsdaten, wie zB IP-Adressen, sind für die Strafverfolgung von erheblicher Bedeutung. Oftmals liefern sie den ersten oder sogar einzigen Ermittlungsansatz für Strafverfolgungsbehörden. Das Instrument der sog. Vorratsdatenspeicherung ist deshalb für eine effektive Kriminalitätsbekämpfung unerlässlich.
3. Ferner: Wann erkennt die Bundesregierung endlich, dass der Ausbau der Digitalisierung nicht ein, sondern DAS Thema des 21. Jahrhunderts ist? Hier muss Ihre Fraktion und Ihr Ressort mehr Druck aufbauen.
Die Bundesregierung ist sich der Bedeutung der Digitalisierung aller Lebensbereiche deutlich bewusst und arbeitet engagiert an allen diesbezüglichen Themen. So hat sie zum Zwecke der koordinierten strategischen Umsetzung ihrer digitalpolitischen Maßnahmen mit der „Umsetzungsstrategie Digitalisierung“ ein ambitioniertes Programm entwickelt. Hier werden Schwerpunktvorhaben aller Ministerien identifiziert, mit konkreten Lösungsmaßnahmen unterlegt und durch einen Umsetzungsplan begleitet. Dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) kommt dabei besondere Verantwortung in den Bereichen „Gesellschaft im digitalen Wandel“, „Moderner Staat“ sowie beim Querschnittsthema „Sicherheit“ zu.
Im Folgenden möchte ich Ihnen gerne einige aktuelle Beispiele intensiver Aktivitäten aufzeigen:
- Mit der „Berlin Declaration on Digital Society and Value-Based Digital Government“ hat das BMI als Kernstück seiner digitalpolitischen Maßnahmen der EU-Ratspräsidentschaft eine gemeinsame Erklärung der EU-Mitgliedstaaten abgestimmt, die die gemeinsamen Ziele und Werte bei der digitalen Transformation für die Gesellschaft insgesamt, und wie der Staat selbst hierbei Vorreiter sein kann, in den Fokus nimmt. Zentral ist die Förderung der digitalen Teilhabe durch nutzerzentrierte digitale Angebote des öffentlichen Sektors und Schaffung der Voraussetzungen, dass sich die Bürgerinnen und Bürger in Europa kompetent und selbstbestimmt in der digitalen Welt bewegen können.
- Bis 2022 sollen über 500 Verwaltungsleistungen auch digital angeboten werden, was für einen föderalen Flächenstaat eine Herausforderung ist. Durch die derzeitige Pandemie wird das Riesenprojekt noch dringlicher. Daher werden mit dem Konjunkturpaket noch einmal zusätzlich 3,3 Mrd. € in die Digitalisierung investiert. Stand Dezember 2020 sind 315 Verwaltungsleistungen online (mind. in einem Land, darunter auch Piloten), volumenstarke Leistungen wie BAföG, Wohngeld, Elterngeld, Führerscheinantrag sind in immer mehr Ländern verfügbar; ein neues Online-Dashboard auf der OZG-Webseite macht die Fortschritte transparent.: https://www.onlinezugangsgesetz.de/Webs/OZG/DE/umsetzung/dashboard/ozg-dashboard/ozg-dashboard-node.html
- Vertrauen in die Sicherheit und Zuverlässigkeit der Informations- und Kommunikationstechnik ist Voraussetzung dafür, dass wir in Deutschland die Chancen der Informationsgesellschaft ausschöpfen können. Dieses Vertrauen langfristig zu erhalten, ist eine vorrangige Aufgabe des BMI. Mit dem jüngst erarbeiteten IT-Sicherheitsgesetz 2.0, das die Cyber- und Informationssicherheit für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft verbessern wird, gestalten wir diesen Prozess auch weiterhin.
Ich hoffe, dass ich Ihnen mit meinen Antworten weiterhelfen konnte und verbleibe mit den besten Grüßen
Ihr
Günter Krings