Frage an Günter Krings von Mark E. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Krings,
da sie doch der für mich verantwortliche Abgeordnete sind, würde ich Ihnen gerne mitteilen das ich gegen die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung bin. Da sie aber davon überzeugt sind, möchte ich an meinen Vorredner anknüpfen und fordere eine Erklärung warum die Speicherung der Metadaten des analogen Datenverkehrs (Briefe, PAkete) nicht thematisiert wird.
Sehr geehrter Herr Engelbrecht,
haben Sie vielen Dank für Ihre Nachricht vom 1. Dezember, in der Sie die Vorratsdatenspeicherung thematisieren.
Bei den hier interessierenden Verbindungsdaten geht es allein darum, wer mit wem wann kommuniziert hat und nicht um Inhalte von Kommunikation. Diese Unterscheidung in Erinnerung zu rufen, scheint angemessen, weil der intensivere Grundrechtseingriff - der Mitschnitt von Inhalten - etwa bei der akustischen Wohnraumüberwachung gem. § 100c StPO möglich ist und allgemein für notwendig gehalten wird. Die Frage, ob Telekommunikationsunternehmen verpflichtet werden sollen, Verbindungsdaten für sechs Monate zu speichern, und Sicherheitsbehörden diese unter bestimmten Voraussetzungen anfordern dürfen, ist zugleich ein Lehrbuchfall für die im Rechtsstaat notwendige Unterscheidung von Recht und Politik.
Rechtlich ist es geboten, die EU-Richtlinie 2006/24/EG über die Mindestspeicherung von Verbindungsdaten in deutsches Recht umzusetzen. Derzeit wird die Bundesrepublik leider vollkommen zurecht verklagt, weil sie die Richtlinie nicht vollständig umgesetzt hat. Es ist - auch aufgrund der Verurteilung anderer EU-Mitgliedstaaten wegen der gleichen Richtlinie - nahezu sicher, dass der EuGH Deutschland schon bald zur Zahlung eines hohen Zwangsgeldes verurteilt. Es gibt Vertragsverletzungsverfahren, in denen sich trefflich darüber streiten lässt, ob eine Verletzung vorliegt. Hier ist der Fall aber eindeutig: In Deutschland gibt es keine Norm, welche die Provider verpflichtet, Verbindungsdaten für sechs Monate zu speichern. Wir sollten es uns nicht länger erlauben, sehenden Auges gegen EU-Recht zu verstoßen. Dies beschädigt den Charakter der EU als Gemeinschaft des Rechts. Wie sollen wir von anderen Mitgliedstaaten glaubwürdig die Einhaltung europäischen Rechts zur Eurorettung einfordern, wenn wir es an anderer Stelle bewusst verletzten?
Für die Union ist es aus (politischen) Gründen der inneren Sicherheit unabdingbar, Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden unter strengen rechtsstaatlichen Voraussetzungen zu ermöglichen, mit Verbindungsdaten arbeiten zu können. Zwar kennt der Wortlaut des Grundgesetzes kein Recht auf Sicherheit (ebensowenig wie die "informationelle Selbstbestimmung"), aber dass die Gewährleistung von Sicherheit zu den Kernaufgaben des Staates gehört, ist nicht zu bestreiten. Bei deren Erfüllung muss der Staat die Freiheitsrechte sorgsam beachten - aber aus diesen folgt eben auch eine staatliche Pflicht zum Schutz der Bürger.
Anders als bei der NSA sollen diese Daten in Deutschland nicht etwa beim Staat, sondern für sechs Monate bei Telekommunikationsunternehmen gespeichert werden. Erst wenn es den konkreten Verdacht auf eine schwere Straftat etwa i. S. d. § 100a Abs. 2 StPO gibt, entscheidet ein Richter, ob die Verbindungsdaten der Polizei übermittelt werden dürfen.
Bei der Aufklärung der Internetkriminalität, der im Netz grassierenden Kinderpornographie und der organisierten Kriminalität sind die Kommunikationsdaten oft der einzige Ermittlungsansatz, der zum Täter oder seinen Komplizen führen kann. Auch bei der Aufklärung des braunen NSU-Netzwerkes wären die Ermittlungsbehörden wohl erfolgreicher gewesen, wenn sie wüssten, mit wem Beate Zschäpe in den sechs Monaten vor ihrer Festnahme kommuniziert hatte.
Für die Strafverfolgung fallen im Übrigen analoge Verbindungsdaten sehr viel weniger ins Gewicht. Gerade in den Strukturen organisierter Kriminalität und von Terrornetzwerken nutzen die Täter ortsunabhängigere Kommunikationsmittel und selten Briefe oder Pakete. Die Täter selbst sind in der Regel auch nicht postalisch unter einer Briefadresse erreichbar. Darüber hinaus kann man im Gegensatz zum Mailverkehr bei der Paketzustellung auf Zeugenaussagen zurückgreifen: hier gibt es Menschen, die sich an die Modalitäten bei der physischen Zustellung erinnern können. Im Übrigen ist es sogar möglich, dass z.B. DHL die Daten zu Paketzustellungen einige Zeit speichert.
Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahr 2010 klargestellt, dass ?eine Rekonstruktion gerade der Telekommunikationsverbindungen für eine effektive Strafverfolgung und Gefahrenabwehr von besonderer Bedeutung? ist. Die von Karlsruhe vorgegebenen Bedingungen lassen eine verhältnismäßige Regelung im Umfeld des § 113 TKG zu. Der Deutsche Richterbund fordert daher zu Recht die Verpflichtung zur Speicherung von Verbindungsdaten.
Deutschland ist inzwischen der einzige EU-Mitgliedstaat, der die ausgewogene Richtlinie nicht umgesetzt hat. Wir müssen jetzt endlich lernen: Die Zukunft Europas hängt nicht nur an der Stabilität seiner Währung, sondern auch an der Stabilität seiner gemeinsamen Rechtsordnung.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Günter Krings