Portrait von Gregor Gysi
Gregor Gysi
DIE LINKE
93 %
386 / 413 Fragen beantwortet
Frage von Lukas G. •

Sehr geehrter Herr Gysi, was verstehen Sie persönlich unter dem Begriff "demokratischer Sozialismus" und wie stellen Sie sich es vor?

Portrait von Gregor Gysi
Antwort von
DIE LINKE

 Sehr geehrter Herr G.,

Ihre Frage vom 11. April hat mich erreicht.

Es ist nicht leicht, Ihre Frage kurz zu beantworten. Für mich gibt es aber einige Voraussetzungen für einen Demokratischen Sozialismus. Zunächst muss Chancengleichheit für alle Kinder und Jugendliche im Zugang zur Bildung, Ausbildung, Kunst, Kultur und Sport gewährleistet werden. Eine soziale Ausgrenzung, wie sie gegenwärtig stattfindet, dürfte es im demokratischen Sozialismus nicht geben. Dazu gehörte eine gründliche Reform der Schulen, um diese Chancengleichheit zu gewähren.

Die Gesellschaft müsste ein hohes Maß an Freiheit gewähren, die erst dann realisiert ist, wenn sie zur Befreiung für jede Einzelne und jeden Einzelnen führt.

Demokratie stelle ich mir noch vielfältiger vor. Es müsste auch auf Bundesebene in bestimmten Fällen Volksentscheide geben. Außerdem dürften die Wählerinnen und Wähler nicht nur eine Person und die Liste einer Partei wählen, sondern müssten auch berechtigt sein, auf der Liste durch drei Kreuze Änderungen in der Reihenfolge vorzunehmen. Jede Partei im Parlament müsste vor der Parlamentswahl das Recht haben, eine Frage an die Bevölkerung zu stellen, die mit Ja oder Nein zu beantworten ist. Das Verfassungsgericht muss vorab in einem Schnellverfahren überprüfen, dass sowohl die Antwort „Ja“, als auch die Antwort „Nein“ nicht mit der Verfassung kollidiert. Wenn doch, darf die Frage nicht zugelassen werden. Außerdem muss der Umfang der Inanspruchnahme von Haushaltsmitteln gesetzlich festgelegt sein. Es darf keine Frage zugelassen werden, die etwa drei Bundeshaushalte kostete.

Hinsichtlich der Wirtschaft stelle ich mir folgendes vor. Die öffentliche Daseinsvorsorge muss im öffentlichen Eigentum, zumindest aber in öffentlicher Verantwortung stehen. Ein Krankenhaus muss sich nicht in erster Linie rechnen, sondern vornehmlich für Gesundheit zuständig sein. Dies fordere ich also neben der Gesundheit auch für Bildung, Teile der Kunst und Kultur, Teile des Sports (z.B. Reitsport), für die Versorgung der Menschen und Unternehmen mit Energie und Wasser, für die Mobilität und auch für das Wohnen. Die Politik muss sich in die Höhe der Mietpreise einmischen dürfen.

Die großen Banken und Konzerne sind mir zu mächtig. Sie müssen entweder verkleinert oder zumindest teils vergesellschaftet werden, dabei kann auch an Belegschaftseigentum gedacht werden. Zwischen der öffentlichen Daseinsvorsorge und den großen Konzernen und Banken gibt es die kleinen und mittelständigen Unternehmen. Sie können in gewissen Umfange genossenschaftlich, in größerem Umfange aber durchaus privat sein. Hier macht auch der Markt, das heißt die Konkurrenz, der Druck nach größerer Qualität und geringerer Preise Sinn. Allerdings müssen die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Konsumentinnen und Konsumenten besser gesichert werden, als das bisher der Fall ist.

Übergeordnet bleibt der Kampf um Frieden und für eine ökologische Nachhaltigkeit in sozialer Verantwortung. Die Rüstungsindustrie darf niemals in Privateigentum bleiben. Wer an Kriegen verdient, sorgt auch dafür, dass welche stattfinden. Rüstung und Armee darf nur teuer sein und muss deshalb in Staatseigentum stehen.

Bei der sozialen Gerechtigkeit geht es darum, dass Reichtum begrenzt wird, um Armut zu überwinden. Es muss selbstverständlich Unterschiede im Lebensstandard und im Vermögen geben, aber sie sollen angemessen sein.

So ungefähr stelle ich mir den Demokratischen Sozialismus vor.

Mit freundlichen Grüßen

Gregor Gysi

Was möchten Sie wissen von:
Portrait von Gregor Gysi
Gregor Gysi
DIE LINKE