Frage an Gregor Gysi von Mathias F. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. Gysi,
an Sie als Jurist eine Frage zur Bundeswehr. Wehrpflichtige und freiwillige Männer sind während der Einstellungs-/Annahmeuntersuchung teilweise vollständig unbekleidet. Seit Ende der sechziger Jahre darf auch weibliches Personal an dieser (Intim-) Untersuchung teilnehmen, da hier ansonsten ein faktisches Berufsverbot bestünde. Bei freiwilligen Frauen wird gemäß ZDv 46/1 Absatz 2 Satz 235 keine Kontrolle der äußeren Genitalien vorgenommen, sie sind während der Untersuchung auch zu keinem Zeitpunkt vollständig unbekleidet? Trotzdem ist hier nur weibliches Personal zugelassen? Abgesehen von der sehr unterschiedlichen Auslegung der Persönlichkeitsrechte der Rekrutinnen und Rekruten ergibt sich folgende Frage.
Weibliches medizinisches Personal gilt als geschlechtsneutral und untersucht selbstverständlich auch Männer. Männliches medizinisches Personal wird von der Untersuchung von Frauen ausgeschlossen? Besteht hier der Verdacht eines zumindest zeitweiligen Berufsverbotes für Männer? Ist das mit geltendem deutschen Recht konform und wie stellt sich das anhand des Urteils des EuGH C186/01, der Wahrung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Zusammenhang mit Arbeitsverhältnissen, vor allem beim Zugang zu militärischen Berufen, dar?
Mit freundlichen Grüßen
Mathias Frost
Sehr geehrter Herr Frost,
zu Ihren Fragen ging mir folgende Stellungnahme zu:
"I. Wehrpflichtige werden nach § 16 I WPflG gemustert. Die Musterung wird gemäß § 17 WPflG durchgeführt. Danach sind die Wehrpflichtigen auf ihre geistige und körperliche Tauglichkeit eingehend ärztlich zu untersuchen. Ob die Vielzahl an Untersuchungen (vgl. ZDv 46/1 - Allgemeine Durchführungsbestimmungen zu der ärztlichen Untersuchung), insbesondere im Genitalbereich / Analbereich, notwendig und maßgeblich für die Tauglichkeitsentscheidung sein können, ist fraglich. Nach dem Zweck der Musterungsuntersuchung lässt sich dies jedoch vertreten, jedoch m.E. nur insoweit, wie eine Anamnese eine Untersuchung erforderlich macht.
(BGH NJW 1976, 186, 187f) Die ärztliche Musterungsuntersuchung dient öffentlichen Interessen wie auch Belangen des einzelnen Wehrpflichtigen. Der Allgemeinheit muß daran gelegen sein, daß zum Wehrdienst nur Soldaten herangezogen werden, die dessen Anforderungen körperlich und geistig gewachsen sind. Andernfalls wäre nicht sichergestellt, daß die Streitkräfte ihre Aufgaben erfüllen können. Auf der anderen Seite ist es das eigene Interesse des nicht Diensttauglichen, vor Gesundheitsschäden als Folge des Wehrdienstes bewahrt zu werden.
II. Die Untersuchung erfolgt durch einen Arzt (" ... sind .. eingehend ärztlich zu untersuchen."). Ob eine solche Untersuchung durch einen gleichgeschlechtlichen Arzt erfolgen muss, ist im Gesetz nicht geregelt. ÄrztInnen wird in der Tat - auch in der Gesellschaft, sonst gäbe es wohl kaum männliche Gynäkologen - eine gewisse Form der "geschlechtlichen Neutralität" zugebilligt.
Ein Blick in andere Gesetze macht aber deutlich, dass es dafür einen grundsätzlichen Regelungsbedarf gibt. So wurde 2004 § 81d StPO erweitert, wonach bei körperlichen Untersuchungen, die das Schamgefühl verletzen können, diese durch gleichgeschlechtliche Personen oder ÄrztInnen durchzuführen sind, wobei bei berechtigtem Interesse die Untersuchung einer Person eines bestimmten Geschlechts übertragen werden soll. Als Begründung dafür findet sich, dass nach allgemeiner Meinung § 81d StPO die einfachrechtliche Ausprägung des auf Art 1 Abs 1 GG basierenden Grundsatzes ist, dass körperliche Untersuchungen und Durchsuchungen nur von Angehörigen des eigenen Geschlechts oder einem Arzt durchgeführt werden sollen (Ritzert, in: BeckOK, § 81d Rdnr. 1).
Insofern ließe sich auch auf Bundesebene durch Änderung des WPflG eine entsprechende Regelung in § 17 einfügen. Da das Wehrpflichtgesetz in diesem Bereich keine Verordnungsermächtigung enthält, wäre es auch die einzige denkbare Stelle; die Eingangs erwähnte Durchführungsbestimmung ist nur eine rechtlich Gerichte nicht bindende interne Verwaltungsvorschrift des Verteidigungsministeriums.
III. In tatsächlicher Hinsicht sollten Wehrpflichtige Untersuchungen beim Musterungsarzt, die für sie peinlich und unangenehm sind, ggf. vor Ort verweigern und auf gleichgeschlechtliches Personal bestehen bzw. die Beibringung von Attesten der eigenen Vertrauensärzte anbieten. Zwar müssen sie sich dieser Untersuchung unterziehen, § 17 Abs. 4 WpflG. Im Gegensatz zur Pflicht, bei der Musterungsuntersuchung zu erscheinen, vgl. § 17 Abs. 10, handelt es sich jedoch um eine nicht sanktionierte Mitwirkungspflicht, die lediglich bei der Tauglichkeitsentscheidung berücksichtigt wird ("Tauglichkeit nach Augenschein").
IV. Das auch angesprochene Thema der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Beruf ist hier m.E. nicht tangiert. Sowohl männliches wie weibliches Personal lässt sich bei bestimmten Untersuchungen ausschließen; das ist vor Art. 1 I GG i.V.m. Art. 2 GG (Persönlichkeitsrecht) hinzunehmen."
Ich hoffe, dass Sie mit den Antworten etwas anfangen können.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Gysi