Frage an Gregor Gysi von Christoph S. bezüglich Innere Sicherheit
Antwort zu Frage http://www.abgeordnetenwatch.de/dr_gregor_gysi-180-25172--f218796.html#q218796
Gotteslästerungsparagraph, Kirchensteuer
Sehr geehrter Herr Dr. Gysi,
die Antwort auf die Frage von Herrn Justi interessiert mich ebenfalls und ggf. weitere Personen. Eine Grundidee von Abgeordetenwatch ist es, Antworten auf öffentliche Fragen öffentlich zu geben. Deshalb ist das Versprechen, dem Fragesteller eine Privatantwort zukommen zu lassen, unangemessen. Bitte geben Sie eine ÖFFENTLICHE Antwort oder lassen Sie eine solche geben. Deshalb noch einmal: Wie halten Sie es mit dem Gotteslästerungsparagraphen und der Kirchensteuer? Vielen Dank.
Mit freundlichen Grüßen
C. Siegel
Sehr geehrter Herr Siegel,
zu keinem Zeitpunkt habe ich erklärt, dass der Fragesteller eine Privatantwort erhielte. Ich habe lediglich darauf verwiesen, dass unser Abgeordneter Wolfgang Neskovic dazu Stellung nehmen wird. Dies ist inzwischen geschehen. Als Anlage übermittle ich Ihnen seine Antwort an Herrn Justi.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Gysi
Sehr geehrter Herr Justi,
vielen Dank für Ihre Anfrage, die ich wie folgt beantworte:
Das friedliche Zusammenleben in einer freiheitlich-pluralistischen Gesellschaft erfordert Toleranz und Rücksichtnahme. Auch bei der Ausübung der Gewissens- und Religionsfreiheit soll niemand befürchten müssen, wegen seiner Weltanschauung oder Religion öffentlich diffamiert zu werden. Dieser Gedanke liegt dem Schutzzweck von § 166 StGB zugrunde. Der Zweck ist allein die Wahrung des öffentlichen Friedens. Davon abzugrenzen und nicht erfasst sind der Schutz der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften an sich, des religiöse Empfindens der Anhänger und des sachlichen Inhalts religiöser oder weltanschaulicher Bekenntnisse. Daher fordert § 166 StGB als Handlung ein Beschimpfen, das geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.
Aufgrund der herausragenden Bedeutung der Meinungsäußerungsfreiheit in einer demokratischen Gesellschaft ist ein Beschimpfen nur unter sehr engen Voraussetzungen anzunehmen. Selbst ironische oder geschmacklose Kritik ist erlaubt. Die Grenze wird überschritten, wenn die Äußerungen sich auf die Kundgabe besonders verletzender Missachtung beschränken oder grob verleumderisch sind. Beurteilt wird dies aus Sicht eines neutralen Beobachters.
Trotz ihres eingeschränkten Anwendungsbereiches ist die Norm rechts- und kriminalpolitisch umstritten. Eine Rechtfertigung für eine besondere Behandlung des Bekenntnisses und der weltanschaulichen sowie religiösen Gemeinschaften ist schwer zu erkennen. Warum Intoleranz in diesen Angelegenheiten ein höheres Gefährdungspotential aufweist oder strafwürdiger ist, als z.B. Intoleranz gegenüber politischen Auffassungen, erschließt sich nicht ohne weiteres. Die Gefährdung des sozialen und öffentlichen Friedens findet bereits über § 130 StGB Schutz, die Achtung der Persönlichkeit über die §§ 185 StGB.
Toleranz lässt sich durch Strafvorschriften schwerlich erzwingen. Die Norm des § 166 StGB, die ihre Ursprünge in der Strafbarkeit der Gotteslästerung hat, ist in einem weltanschaulich neutralen Rechtsstaat als überholt anzusehen.
Die weltanschauliche Neutralität des Staates gebietet es auch, dass alle Religionsgemeinschaften ihre Finanzierung durch ein eigenes Beitragssystem sicherstellen.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Neskovic