Was können Sie dafür tun,um ausländ. Bürger,die nicht so gut vernetzt sind,in die Gesellschaft mehr zu integrieren. Denke zB an EU Bürger wie Bulgaren oder Flüchtlinge aus Syrien?
Sehr geehrte Frau S,
vielen Dank für Ihre Anfrage, die Themenkomplexe Migration sowie Integration sind für mich, auch aufgrund meiner eigenen Migrationsgeschichte, Herzensthemen.
Im Folgenden möchte ich meine Position und meine Vorschläge in kurzer Form darlegen, das Thema selbst bietet Raum für mehrere Bücher.
Zunächst sollten wir das Wort Migration aufteilen in Zuwanderung in den Arbeitsmarkt und Asyl aus humanitären Gründen.
Position Flüchtlinge (insbesondere aus Syrien) :
Ein Mensch, der vor Krieg oder politischer Verfolgung nach Europa und schließlich auch nach Deutschland flieht, soll und darf zunächst keine Anforderungen erfüllen müssen, denn es geht um humanitäre Hilfe.
Ich bin ein großer Anhänger von realitätsnaher Politik und Sie haben insbesondere die Gruppe der Flüchtlinge aus Syrien angesprochen, der große Zustrom insbesondere aus dem Jahr 2015 ist mittlerweile 8 Jahre her und viele Menschen sind also schon genauso lange bei uns in Deutschland, haben Arbeit gefunden und ihre Kinder besuchen unsere Schulen. Die andere Seite der Realität ist, dass gerade in Bremerhaven sehr viele Menschen und vor allem auch Menschen, die aus Syrien geflüchtet sind, Sozialleistungen beziehen (müssen) und nicht Teil der breiten Gesellschaft sind.
Das finde ich in jeder Hinsicht beschämend.
Vor einigen Monaten hatte ich die Gelegenheit, mit Frau von Rittern, der neuen Geschäftsführerin des Jobcenters Bremerhaven, zu sprechen und authentische Zahlen und Einblicke in die Arbeit der Behörde zu erhalten, die sich tagtäglich mit Sozialleistungsempfängern und deren Problemen auseinandersetzen muss.
Diese Menschen sind, wie bereits erwähnt, schon seit geraumer Zeit in unserem Land, in Syrien steht kein Stein auf dem anderen und wir müssen davon ausgehen, dass diese Menschen nach 8 Jahren auch dauerhaft in Deutschland bleiben werden.
Im Interesse der Flüchtlinge und im Interesse der gesamten Gesellschaft müssen wir diese Menschen zwangsläufig integrieren, es nützt uns allen mehr, wenn wir einen Friseur, einen Arzt oder eine Kindergärtnerin mehr haben, als wenn diese Person weiterhin auf Sozialleistungen angewiesen ist.
Wir können es uns nicht leisten, dieses Potenzial nicht zu nutzen!
Integration bedeutet für mich insbesondere, aber nicht ausschließlich, Integration in den Arbeitsmarkt und damit automatisch auch ein Maß an kultureller und sozialer Teilhabe durch Einkommen und Kontakte zur Gesellschaft.
Lösungsvorschläge:
1. Jedem Kind alle Chancen geben und vererbte Armut strikt verhindern.
Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir in Deutschland zu wenig für die Bildung und Qualifizierung von Kindern tun. Dieses Thema betrifft natürlich jedes Kind, ob mit oder ohne Migrationsgeschichte, aber Kinder aus Familien mit Fluchtgeschichte wachsen häufiger in Armut auf und wir wissen inzwischen sehr gut, dass Kinder aus Armutshaushalten überproportional häufig schlechtere Schulabschlüsse und Karrieren haben und sogar signifikant früher sterben. Ich setze mich dafür ein, dass jedes Kind von der Grundschule an die bestmögliche Bildung erhält, in Bremerhaven fehlt es uns leider an allem.
Wir brauchen bessere Schulräume, mehr Schulräume, kleinere Klassen, mehr Lehrkräfte, eine bessere Bezahlung der Lehrkräfte, kostenlose warme Mahlzeiten für die Kinder und die Möglichkeit, dass die Kinder die Schule nicht nur als Pflichtveranstaltung, sondern auch als positiven Rückzugsort wahrnehmen. Damit erreichen wir letztlich eine bessere Bildung und damit bessere Lebenschancen für alle Kinder, was vor allem den Kindern überproportional zugute kommt, die es aufgrund von Defiziten im Elternhaus (im Flüchtlingskontext z.B. Sprache, Einkommen) am nötigsten haben.
2. Mütter und Frauen in den Fokus nehmen
Es gibt verschiedene Studien, die belegen, dass arbeitsmarktpolitische Fördermaßnahmen bei Frauen am effektivsten sind, das sollten wir bei Qualifizierungs- und Integrationsmaßnahmen immer berücksichtigen.
Ich sehe es als große Chance, dass wir eine große Anzahl von Frauen (und Männern) mit türkischem Migrationshintergrund haben, die die kulturellen Strukturen aus arabischen Ländern wie Syrien am ehesten verstehen und nachvollziehen können und dennoch in der großen Mehrheit bereits bestens integriert sind. Ich würde ein "Coaching"-Programm auflegen, in dem in kleinen Konstellationen von 1:1 bis maximal 1:2 eine ehrenamtlich tätige Frau mit türkischem Migrationshintergrund sich mit einer Frau mit Fluchtgeschichte im Sozialleistungsbezug vernetzt und sie in alltäglichen und größeren Lebensthemen begleitet, so dass eine sukzessive Integration durch eine Bezugsperson mit kulturellem Verständnis erfolgen kann.
Übrigens bin ich für Steuerfreibeträge für alle Ehrenamtlichen, sie halten dieses Land viel mehr am Laufen, als man sich manchmal vorstellen kann.
3. Wir dürfen und müssen auch Integration fordern
Für mich ist es eine Selbstverständlichkeit, dass wir so schnell wie möglich für Arbeitserlaubnisse sorgen müssen, dass jemand, der in Ausbildung ist, auf keinen Fall abgeschoben werden darf oder dass wir als Gesellschaft auch aktiv Perspektiven und Chancen geben müssen, aber wir können und müssen Integration auch aktiv einfordern. Wir haben auf der einen Seite viel zu viele Programme und Qualifizierungsmaßnahmen, die sehr wenig bewirken und auf der anderen Seite eine sehr hohe Anzahl von Menschen, die Sozialleistungen beziehen. Für mich sind Sozialleistungen ein temporäres Auffangnetz, finanziert von den arbeitenden Menschen in unserem Land, das jeden auffängt, der in eine schwierige Lebenssituation gerät. Ein Ausnutzen dieses Auffangnetzes, und dazu gehört für mich auch, dass jemand keinen Integrationswillen zeigt, muss finanziell und aufenthaltsrechtlich sanktioniert werden und im schlimmsten Fall mit einer Abschiebung enden.
Ich möchte einen Integrationsfahrplan entwerfen, der die Erwartungen der Gesellschaft an eine Person mit Asylstatus in Bezug auf den Bezug von Sozialleistungen auch in zeitlichen Abständen klar kommuniziert, der der Person die Möglichkeit gibt, ihr Leben selbst zu gestalten und der einen verbindlichen "Vertrag" zwischen Gesellschaft und Flüchtling darstellt, mit Rechten und Pflichten für beide Seiten.
Fazit:
Für mich ist es nicht wichtig, woher jemand kommt, sondern nur, was er erreichen will, und dafür müssen wir als Gesellschaft Möglichkeiten bieten und deren Nutzung einfordern, so dass sowohl der Einzelne als auch die Gesellschaft davon profitieren.
Position Integration von EU-Bürgern (insbesondere aus Bulgarien) :
Für mich ist die Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU eine enorme Bereicherung, ich selbst arbeite fast täglich mit Menschen aus allen europäischen Ländern in fast allen europäischen Ländern zusammen.
An dieser Stelle sei angemerkt, dass eine pauschale Formulierung über eine Gruppe von Menschen leider nie dem einzelnen Individuum gerecht werden kann, so dass ich Missverständnisse von vornherein ausschließen möchte.
In Bremerhaven hatten wir in der Vergangenheit immer wieder das Problem des Erschleichens von Sozialleistungen, von EU-Bürgern aus u.a. Bulgarien, was für mich ganz klar kriminell ist und strafrechtlich verfolgt werden muss.
Meine Lösungsvorschläge hierzu:
1. Einwanderungsgründe verstehen und dementsprechend handeln
Wenn ich mit deutschen Auswanderern in Barcelona spreche, wird mir eigentlich immer das warme Wetter und die internationale Atmosphäre als Grund genannt, wir müssen in Deutschland konsequent verstehen und erfassen, welche Menschen aus welchen Ländern aus welchen Gründen zu uns kommen.
Bei den wirtschaftlichen Motiven müssen wir es den Menschen so einfach wie möglich machen, schnell in den Arbeitsmarkt zu kommen und generell müssen wir perspektivisch alle Behördengänge in Deutschland zumindest auch auf Englisch anbieten, damit sich jeder Neubürger schnell zurechtfindet.
2. Vereine vereinen Menschen
Die Integration in den Arbeitsmarkt ist für mich zwar die wichtigste, aber nicht die einzige Säule. Soziales Miteinander findet für mich vor allem in Vereinen statt, sei es das Tierheim in Bremerhaven, der Kanuverein oder der Kleingartenverein.
Viele dieser Vereine suchen nicht nur aus Altersgründen händeringend neue Mitglieder, sondern es ist auch eine echte Chance für ein kulturelles Miteinander, wenn wir die Menschen einander näher bringen. Manchmal müssen Lösungen gar nicht komplex sein, ich würde gerne ein "Vereinsverzeichnis" in Bremerhaven einführen, in dem sich Vereine kurz und knapp vorstellen können und das von allen Bürgern kostenlos bestellt werden kann. Dieses Verzeichnis sollte dann Neubürgern nach Anmeldung einer deutschen Wohnadresse automatisch kostenlos in englischer Sprache zugesandt werden, damit sie sich über die Angebote vom Fußballverein für die Kinder bis hin zu den eigenen Interessen informieren können.
Ich hoffe, dass ich Ihnen mit meinen Ausführungen einen gewissen Überblick über meine Gedanken zur Integration von Menschen geben konnte, ich selbst engagiere mich auch ehrenamtlich in verschiedenen Vereinen im kleinen Rahmen. Gerne können Sie mich auch für einen persönlichen Austausch anrufen oder anderweitig kontaktieren.
Liebe Grüße
Gökhan Akkamis