Frage an Gerald Weiß von Sascha S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Weiß,
da sie meinen Wahlkreis vertreten, würde ich gerne Ihre Meinung zu dem Gesetztesentwurf von Fr. von der Leyen hören.
Klar ist, Kinderpornographie muss bekämpft werden, auch im Internet.
Doch bezweifele ich die Sinnhaftigkeit des von Frau von-der-Leyen vorgebrachten Gesetzesentwurf:
I. Unwirksamkeit der Sperren
In einem Gerichtsfall vor dem LG Hamburg konnten selbst Richter die Sperre umgehen.
"Tatsächlich sei es den Richtern selbst "in wenigen Minuten" gelungen, eine Internetseite mit einer Anleitung zur Umgehung mit den verfügbaren Nameservern zu finden." [Heise.de]
II. Rechtliche Bedenken
1) Erstellung der Listen durch das BKA ohne richterliche Anordnung
Das widerspricht meinem Verständnis unseres Justizapparats, da bei ähnlichen Verfahren immer ein richterlicher Beschluss vorrausgesetzt wird.
2) Schon der Aufruf der Stopseite kann zu strafrechtlichen Ermittlungen führen
Damit besteht die Gefahr, andere Menschen gezielt zu diskreditieren indem man ihnen über das Internet Links zu gesperrten Seiten zuschiebt.
III. Effektive Möglichkeit mit bestehenden Gesetzen gegen KiPo vorzugehen
Die Kinderrechtsorganisation Care-Child hat demonstriert, dass es möglich ist, Seiten mit KiPo allein durch Anschreiben des zuständigen Provider, aus dem Internet zu verbannen. [carechil.de]. Listen aus Finnland und Dänemark zeigen, die meisten Seiten mit KiPo werden in USA, Russland und Europa gehostet, können also strafrechtl. verfolgt werden.
IV. Ausweitung der Sperre
Schon jetzt gibt es Rufe nach einer Ausweitung der Sperre auf andere Bereiche (Glücksspiel, Musikdownloads).
Diese Bedenken werden von vielen Menschen geteilt, unter anderem:
Gesellschaft für Informatik,
MissbrauchsOpfer Gegen InternetSperren,
ChaosComputerClub eltern aus it-berufen gegen internetsperren,
85 000 Befürworter der Petition
…
Wie stehen sie zu diesen Fakten?
Hochachtungsvoll
Sascha Schünemann
Sehr geehrter Herr Schünemann,
vielen Dank für Ihre E-Mail vom 19. Mai 2009.
Zunächst möchte ich Ihnen versichern, dass ich den Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Kinderpornographie im Internet mit der gebotenen Sorgfalt und Sensibilität behandele. Dies ist bei diesem Thema allerdings nicht immer der Fall. Denn ich erlebe immer wieder, dass bei der Diskussion berechtigte Anliegen und ungerechtfertigte Ängste fälschlich miteinander verwoben werden. Bitte gestatten Sie mir hierzu daher einige Ausführungen:
Kinderpornographie ist ein abscheuliches Verbrechen. Kinder werden missbraucht und anschließend wird der Missbrauch auch noch vermarktet und damit Geld verdient oder – was genauso schlimm ist – getauscht. Selbstverständlich muss man diese Verbrechen an der Wurzel bekämpfen, die Kriminellen ergreifen und ihrem Tun ein Ende setzen.
Bei der Kinderpornographie geht es rechtlich grundsätzlich um zwei Komplexe:
Zum einen bedroht § 184b des Strafgesetzbuches (Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften) all diejenigen mit Strafe,
- die kinderpornographische Schriften, wozu auch Ton- und Bildträger sowie Datenspeicher gehören, verbreiten,
- solche Schriften öffentlich ausstellen, anschlagen, vorführen oder sonst zugänglich machen oder
- die diese Machwerke herstellen, beziehen, liefern, vorrätig halten, anbieten, ankündigen, anpreisen, einzuführen oder auszuführen unternehmen.
Dies sind diejenigen, die kinderpornographische Inhalte ins Netz stellen. Hier genügt oft ein Hinweis an die Betreiber der Server, um dem Spuk ein Ende zu bereiten. In manchen Ländern allerdings bleibt dies leider fruchtlos.
Gemäß § 184b des Strafgesetzbuches gilt grundsätzlich aber auch, dass sich strafbar macht, wer es unternimmt, sich kinderpornographische Schriften – dazu gehören auch Dateien und das Betrachten von Bildern im Netz – zu verschaffen. Der Bundesgerichtshof hat dies folgendermaßen präzisiert: „Auch mit der bloßen Speicherung solcher Dateien im Cache-Speicher eines PC-Systems erlangt dessen Benutzer Besitz, weil es ihm möglich ist, jederzeit diese Dateien wieder aufzurufen, solange sie nicht manuell oder systembedingt automatisch gelöscht wurden" (BGH 1 StR 430/06 - Beschluss vom 10.10.2006). Entsprechend ist die Sperrung einer derartigen Seite als die Verhinderung einer Straftat zu qualifizieren. Dies unterscheidet diesen Fall zum Beispiel von dem der Sperrung einer Seite, die vielleicht einen strafwürdigen Inhalt hat, wo es aber nicht strafbar ist, sie sich zu verschaffen.
Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist es unerträglich, dass wir in Deutschland bisher noch nicht umfassend gegen die in der zweiten Alternative genannte Beschaffung von kinderpornographischen Schriften vorgegangen sind. Die Bundesregierung hat darüber unter Federführung der Bundesministerin Frau Dr. von der Leyen in den letzten Wochen und Monaten intensive Gespräche und Verhandlungen mit der betroffenen Wirtschaft geführt. Dabei sind zwei Dinge deutlich geworden: Erstens sind die Provider dazu bereit, den Zugang zu kinderpornographischen Inhalten zu erschweren und so die Beschaffungskriminalität einzudämmen. Fünf große Unternehmen haben sich inzwischen auf vertraglicher Basis dazu verpflichtet. Und zweitens brauchen wir eine gesetzliche Regelung. Lassen Sie mich deren wichtigste Punkte hervorheben:
- Alle großen Internetzugangsanbieter werden verpflichtet, durch geeignete technische Maßnahmen den Zugang zu kinderpornographischen Inhalten zu erschweren. Basis sind täglich aktualisierte Sperrlisten des Bundeskriminalamts.
- Aus präventiven Gründen wird gegenüber den betroffenen Nutzern über eine Stopp-Meldung klargestellt, warum der Zugang zu einem kinderpornographischen Angebot erschwert wird.
- Die Zugangsanbieter haften nur, wenn und soweit sie die Sperrliste des Bundeskriminalamts nicht ordnungsgemäß umsetzen. Die anfallenden Daten können für die Strafverfolgung genutzt werden, soweit die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür vorliegen.
- Da mit den Regelungen gesetzgeberisches Neuland betreten wird, sollen sie innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten evaluiert werden.
Besonders wichtig ist mir, klar zu stellen, dass es sich bei der genannten Sperrliste und bei der Verpflichtung der Internet Provider, die auf dieser Liste enthaltenen Internet-Seiten zu sperren, eben nicht um eine Zensur des Internets handelt, bei der der Staat einige Internetseiten sperren lässt, um seine Bürger willkürlich an der Nutzung des Internets zu hindern. Läge die Sache so, würde ich Ihre Bedenken – insbesondere hinsichtlich der Zusammenstellung der Sperrliste und ihrer Überprüfung – uneingeschränkt teilen und den Gesetzentwurf nicht unterstützen. Die Sache liegt aber anders, denn hier geht es um die Verhinderung von Straftaten gemäß § 184b des Strafgesetzbuches.
In der öffentlichen Diskussion ist leider bisher nicht ausreichend verdeutlicht worden, dass die Einschränkungen des Zugangs und die Strafverfolgung sich nur auf die besondere Struktur des § 184b des Strafgesetzbuches beziehen, das heißt – wie bereits erwähnt – auf die Verschaffung der Kinderpornographie. Es ist nicht daran gedacht, ähnliche Maßnahmen auch bei anderen Rechtsverletzungen zu ergreifen, bei denen zum Beispiel das Betrachten der Seite straflos ist und eine weitere Handlung – möglicherweise ein Download einer Datei – hinzutreten muss, um ein Rechtsgut zu verletzen.
Insofern bin ich fest davon überzeugt, dass dieses Gesetzesvorhaben die Grundrechte der Bürger nicht tangieren wird.
Es ist sehr schwer, konkret quantitativ zu beurteilen, ob und inwiefern dieses Gesetz den Konsum von Kinderpornographie und die Produktion von Kinderpornographie verhindert oder erschwert. Eine Patentlösung wird es nicht geben. Dies sollte uns aber nicht daran hindern, Maßnahmen zu ergreifen, die zumindest einige Straftaten verhindern.
Mir ist klar, dass das Gesetz kein Allheilmittel ist. Aber es ist ein weiterer Baustein in unserer Gesamtstrategie, die Kinder zu schützen und den Markt für Kinderpornographie soweit es geht auszutrocknen.
Mit freundlichen Grüßen
Gerald Weiß, MdB