Frage an Gabriele Lösekrug-Möller von Tom B. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Lösekrug-Möller,
ich möchte die bereits gestellten Fragen um eine Perspektive erweitern. Sie sprachen in der Anhörung vom 17.03. davon, dass Sanktionen die Mitwirkung der Betroffenen sicherstellen sollten.
Beim vollständigen Entzug jeglicher Unterstützung ist ganz offensichtlich weder Ernährung noch Krankenversorgung oder Obdach gewährleistet. Auf Lebenmittelgutscheine besteht kein Rechtsanspruch. Einige Initiativen befassen sich damit, jene Todesfälle zusammenzutragen, die sich definitiv oder sehr wahrscheinlich auf die Sanktionspraxis zurückführen lassen. Vorwiegend handelt sich es sich dabei um Suizide oder in Einzelfällen Hungertote, inzwischen sind einige Dutzend Fälle gesammelt worden. ( http://dieopferderagenda2010.wordpress.com ) Wenngleich es sich hier um die zugegeben etwas plakative Arbeit von privaten Initiativen handelt, scheint es in der Tat Todesfälle zu geben.
Meine Frage ist nun: Sind Sie der Auffassung, dass die Mitwirkung, die durch Sanktionen erreicht werden soll, mit lebensbedrohlichen Maßnahmen eingefordert werden soll? Wenn eine Person diese Mitwirkung nicht erbringen kann oder nicht will, besteht im Prinzip akute Lebensgefahr, da ja bekanntlich sämtliche Existenzgrundlagen vollständig entzogen werden können. Sehen Sie es als rechtfertigungsfähig an, dass Mißverhalten mit lebensbedrohlichen Maßnahmen geahndet wird?
Die Zahl der Totalsanktionen (2011: 10.403 gem. Bundestags-Drucksache 17/12247) zeigt, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass Sanktionen stets das gewünschte Verhalten herbeiführen und daher nur theoretische Drohung bleiben, sondern dass in diesen Fällen Menschen die Forderungen nicht erfüllen, evtl. auch weil sie es nicht können (nicht wollen ist bei drohender Existenznot eher unwahrscheinlich). Wie stehen Sie dazu, dass sich durch die "Mitwirkungssicherstellung" über zehntausend Menschen jährlich in lebensbedrohlicher Existenznot befinden?
mit freundlichen Grüßen,
Tom Berthold