Frage an Gabriele Lösekrug-Möller von Jörgen S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Lösekrug-Möller,
nachdem das ZugErschwG letztes Jahr noch von Union und SPD verabschiedet worden ist, wurde dieses jetzt von Bundespräsident Köhler unterzeichnet und ist seit dem 23. Februar in Kraft.
Bei der Anhörung über dieses Gesetz vor dem Petitonsauschuss am 22. Februar wurde deutlich, dass sich nun alle Fraktionen gegen diese Netzsperren stellen. Daher meine Fragen:
Was tun Sie, um dieses Gesetzt abzuschaffen? Hat die SPD bereits ein Aufhebungsgesetz in den Bundestag eingebracht? Welche Empfehlung wird der Petitionsausschuss, in dem Sie Mitglied sind, an den Bundestag aussprechen?
Mit freundlichen Grüßen
Jörgen Sagawe
Sehr geehrter Herr Sagawe,
Der SPD-Bundestagsfraktion war bereits zu Beginn dieser Diskussion voll bewusst, dass wir uns in einem Spannungsfeld zwischen dem notwendigen Kampf gegen Kinderpornographie im Internet (dies war der Ursprung des ZugErschwG) und den hierdurch betroffenen Freiheitsrechten der Bürgerinnen und Bürger bewegen. Deshalb haben wir stets deutlich gemacht, dass wir für eine entsprechende Internetsperre eine gesetzliche Grundlage für erforderlich halten, um rechtsstaatlichen Grundsätzen genügen zu können.
Eins ist allerdings klar: Weitere Schritte sind erforderlich, um Kinderpornographie effektiv zu bekämpfen. Die SPD-Fraktion hat dazu mit einem Anfang Mai 2009 beschlossenen 10-Punkte-Plan zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung ein umfassendes Konzept mit weiteren konkreten Maßnahmen vorgelegt, denn der Weg der Internetsperren wird von uns auch mit Kritik begleitet.
Sie haben recht, dass wir das ZugErschwG kritisch sehen und an seiner Wirksamkeit zweifeln. Deshalb hat sich die SPD Bundestagsfraktion für die neue Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ des Deutschen Bundestages stark gemacht, die wir vor zwei Wochen eingesetzt haben. Darüber hinaus arbeite die SPD Bundestagsfraktion an einem Antrag, das ZugErschwG ersatzlos zu streichen.
Die Einsetzung einer Enquetekommission "Internet und digitale Gesellschaft" zeigt, dass die netzpolitischen Debatten kein Nischenthema mehr sind. Netzpolitik und die Herausforderung, die digitale Welt zu gestalten, sind mitten in der politischen Debatte angekommen. Ein zentraler Grund für die Einsetzung der Enquete-Kommission, dass auf neue Herausforderungen nicht mit alten Antworten reagiert werden kann und dass die Politik Debatten vollständig ausgeblendet hat, die in großen Teilen der Gesellschaft - vor allem der jungen Generation - geführt werden. Einen wichtigen Beitrag zur Einsetzung dieser Enquete-Kommission haben auch die mehr als 130.000 Menschen geleistet, die mit einer Onlinepetition gegen die Netzsperren gekämpft haben, wie auch diejenigen, die für Bürgerrechte im Netz auf die Straße gegangen sind und diejenigen, die sich politisch engagiert haben, jenseits der etablierten Parteien.
Die SPD-Bundestagsfraktion trägt aus diesen Gründen die Initiative zur Einsetzung einer Enquete-Kommission zur digitalen Gesellschaft und zum freiheitlichsten und effizientesten Informations- und Kommunikationsraum mit. Dabei hat die SPD-Bundestagsfraktion aber von Anfang an deutlich gemacht, dass die Einrichtung einer Enquete-Kommission nicht dazu führen darf, wichtige tagespolitische Fragestellungen wie etwa Netzneutralität oder Urheberrecht auf die lange Bank zu schieben. Die Koalition hat eine umfassende Internetstrategie angekündigt, die bislang aussteht und die noch nicht einmal in Ansätzen erkennbar ist.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat bei den interfraktionellen Beratungen vor allem folgende ergänzende Formulierungen und Konkretisierungen des Arbeitsauftrags durchgesetzt: Die Enquete-Kommission wird sich ausführlich mit den Herausforderungen für die Medien- und Kommunikationsordnung, für die Arbeitswelt wie auch für das Urheberrecht und den Verbraucherschutz in der digitalen Gesellschaft befassen.
Der Arbeitsauftrag der Enquete-Kommission ist so offen formuliert, dass die entscheidenden Fragen der digitalen Gesellschaft in den Fokus der Arbeit gerückt werden können. Nun kommt es natürlich auch darauf an, was die Mitglieder der Enquete-Kommission - Mitglieder des Deutschen Bundestages und Sachverständige - aus diesem sehr weitgehenden Arbeitsauftrag machen und ob sie diese wichtige Chance nutzen. Dazu gehört gegebenenfalls auch, einzuräumen, dass die Politik in den vergangenen Jahren Fehler gemacht hat. Es gilt anzuerkennen, dass das Internet kein Raum der Bedrohung ist, wie es von verschiedenen Seiten immer wieder dargestellt wird, sondern ein Raum der Chancen. Auch wird die Aussage vom Internet als rechtsfreier Raum durch Wiederholung nicht richtiger: das Internet war nie ein rechtsfreier Raum und darf auch keiner sein, so wie es auch kein bürgerrechtsfreier Raum sein darf. Die Gesellschaft in der digitalen Welt und die moderne Öffentlichkeit wird sich durch das Internet immer stärker online manifestieren. Die Politik muss auch hier ihren Gestaltungsanspruch wahrnehmen. Dabei ist Netzpolitik keine Politik für eine diffuse Klientel, die von der Politik gern als "Community" bezeichnet wird. Moderne Netzpolitik ist vor allem Gesellschaftspolitik.
Da ich in dieser Legislaturperiode nicht mehr Mitglied im Petitionsausschuss bin leite ich ihre Position an die beiden zuständigen Arbeitsgruppen, AG Petitionen und AG zur Enquete-Kommission weiter.
MfG
Gabriele Lösekrug-Möller