Frage an Fritz Kuhn von Marcel L. bezüglich Umwelt
Hallo Herr Kuhn,
ich habe Sie immer wieder im Fernsehen gesehen, wo Sie für den Ausstieg aus der Kernenergie plädierten. Die Aussagen zu den Alternativen sind meiner Auffassung nach allerdings mehr als vage.
Deshalb die eindeutige Frage an Sie: Mit welchen Alternativen werden die fast 50% Grundlast (in 2006 47,4%, 167,4 Milliarden Kilowattstunden), die derzeit die Kernenergie stellt, ersetzt, ohne dass die CO2-Ziele gefährdet sind? Gibt es von Ihrer Seite aus einen genauen Aktionsplan, wie die Abschaltung abgefedert werden kann?
Beantworten Sie die Frage bitte mit Fakten und harten Zahlen. Mich interessieren dabei die genauen Energiequellen, mit deren Hilfe die 167,4 Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugt werden sollen. Wie sehen die Kosten aus, die der Aufbau dieser Kraftwerke,etc. verursacht? Wie sieht der Zeitplan aus, der ja parallel zur Abschaltung der Kernkraftwerke die Defizite ausgleichen muss? Wie sehen die Prognosen für die Auswirkungen auf den Strompreis aus?
Bitte argumentieren Sie nicht mit Energieeinsparungen, da sich laut VDE der Bedarf trotz Effizienzbemühungen bis 2025 um 30% erhöhen wird (http://www.finanznachrichten.de/nachrichten-2008-01/artikel-9919227.asp). Auch Clean Coal sollte als Argument tabu sein, da erste CC-Kraftwerke erst 2020- 2025 erwartet werden, die dann sicher noch keine 167,4 Milliarden Kilowattstunden liefern werden, weshalb lediglich konventionelle Braunkohle-Kraftwerke in ihren Überlegungen auftauchen sollten. Zudem bitte ich zu bedenken, dass es hierbei um Grundlaststrom geht.
Ich freue mich auf Ihre Antwort.
Mit freundlichen Grüßen
Marcel Linnenfelser
Sehr geehrter Herr Linnenfelser,
die Stromerzeugung liegt in Deutschland zurzeit bei rund 615 Mrd. kWh. Durch den Atomausstieg sowie das altersbedingte Auslaufen fossiler Kraftwerke wird sich die Stromerzeugungskapazität bis 2020 um schätzungsweise 220 Mrd. kWh verringern. Die AKW haben daran einen Anteil von ca. 120 Mrd. kWh, da die Erzeugung von Atomstrom in den letzten Jahren wegen Pannen und technischer Mängel deutlich abgesunken ist.
Der Strombedarf wird sich bis 2020 aller Voraussicht nach verringern. Die Bundesregierung geht von einer Einsparung von 11 % aus, wir Grüne sehen sogar Einsparpotenziale von bis zu 16 %. Die Prognose des VDE, wonach der Stromverbrauch um 30 % steigt, steht vollkommen isoliert. Selbst die Stromerzeuger gehen von einer stagnierenden Nachfrage aus. Es wäre auch ökonomisch widersinnig, dass der Verbrauch ausgerechnet in Zeiten steigender Preise steigt, nachdem er über Jahre annähernd konstant geblieben ist.
Unabhängige Studien, etwa des Umweltbundesamtes, gehen von einem Bedarf von 540 Mrd. kWh im Jahr 2020 aus. Dazu ist eine Kraftwerkskapazität von knapp 70.000 MW erforderlich. Die folgende Tabelle zeigt, dass diese ohne Probleme auch mit Atomausstieg und dem Verzicht auf zusätzliche Kohlekraftwerke, über die bereits im Bau befindlichen, bereitgestellt werden kann.
Übersicht gesicherte Leistung im Jahr 2020
Restbestand aus 2005........................56.000 – 59.000 MW 1)
Neubau fossil..........................................5.000 – 10.000 MW 2)
Erneuerbare.............................................7.000 – 9.000 MW 3)
KWK...........................................................7.000 – 8.000 MW
Gesamtkapazität...................................75.000 – 86.000 MW
Bedarf gesicherte Leistung..............................69.000 MW 4)
Reservekapazität..................................+ 6.000–17.000 MW
1) Nach UBA 2008, Öko-Institut 2007; 2) ohne Zubau neuer Kohlekraftwerke über die in Bau befindlichen hinaus; 3) entspricht 5 – 10 % gesicherter Leistungsbeitrag der EE; 4) Bei Jahresverbrauch von 540 TWh, d.h. Verringerung um 11 % gegenüber 2005.
Bei den Neubau-Vorhaben handelt es sich um längst geplante Investitionen, die aufgrund der Überalterung des deutschen Kraftwerkparks ohnehin anstehen. Insofern sind diese auch nicht als „Extrakosten“ durch den Atomausstieg zu werten.
Energiesicherheit ist somit auch ohne neue Kohlekraftwerke und trotz Atomausstieg gewährleistet.
Längerfristig, bis 2030 wird es einen Erneuerungsbedarf von mindestens 50.000 Megawatt an Kraftwerksleistung geben. Neben dem durch den Atomausstieg bedingten Kraftwerksstilllegungen erreichen ca. 45 Prozent der Braunkohlekraftwerke, 40 Prozent der Gaskraftwerksleistung sowie über ein Drittel der Steinkohlekraftwerke das Ende ihrer maximalen Betriebszeit. Ein Ersatz dieser Kraftwerke durch neuere Kraftwerke, die aber auf den gleichen fossilen Konzepten beruhen, würde die CO2-Emissionen der Energiebranche bis über 2050 hinaus zementieren, selbst wenn sie mit verbesserten Wirkungsgraden versehen wären. Wir können allerdings für eine Übergangszeit nicht auf Gaskraftwerke verzichten. Diese müssen jedoch weitgehend als „Doppelkraftwerke“ gebaut werden, die durch Kraft-Wärme-Kopplung zugleich Strom und nutzbare Wärme erzeugen. Erdgas ist der fossile Energieträger mit den geringsten CO2-Emmissionen. Der Kraftwerkserneuerungsbedarf muss genutzt werden, den Umbau der Energieversorgung jetzt durchzusetzen und die Energieerzeugung Zug um Zug auf erneuerbare Energien umstellen.
Auf den Bau neuer Kohlekraftwerke muss mindestens solange verzichtet werden, bis die von den Energiekonzernen angekündigten CO2-freien Kraftwerke technisch machbar, ökologisch integer und wirtschaftlich rentabel sind. Erst wenn diese zu einer breiten kommerziellen Anwendung führen können, dürfen weitere Kohlekraftwerke gebaut werden, da Kraftwerke ohne CO2-Abscheidung mit ambitionierten Klimazielen unvereinbar sind, eine Nachrüstung bestehender Anlagen aber sehr viel teurer und ineffizienter wäre.
Die These, dass Atomkraft eine „CO2-freie“ und damit klimafreundliche Technologie sei, ist schlichtweg falsch. Das Öko-Institut hat in einer vergleichenden Ökobilanz verschiedene Stromerzeugungstechnologien hinsichtlich ihrer spezifischen CO2-Emissionen berechnet. Demnach verursacht ein mit Uran aus Südafrika betriebenes AKW je erzeugter Kilowattstunde Atomstrom 126g CO2 (weltweit schwanken die Schätzungen sehr stark von 1,4 g bis 288 g), hauptsächlich wegen des energieintensiven Uranabbaus. Eine Kilowattstunde Windstrom setzt dagegen nur 22g CO2 frei. Und selbst moderne Gaskraftwerke mit Wärmeauskopplung schneiden mit 119g pro kWh besser ab als die deutschen AKW.
Die Strompreise bilden sich an der Börse und sind nicht direkt von den Erzeugungskosten pro kWh abhängig, sondern von den so genannten Grenzkosten des letzten Kraftwerks, dessen Strom gerade noch zu Bedarfsdeckung benötigt wird. Diese Grenzkosten hängen nur zum Teil ab von den Brennstoffpreisen (z. B. bei Gas), ein wesentlicher Teil ist abhängig von den Kosten für die CO2-Zertifikate, ein Posten, der vor allem bei den besonders CO2-trächtigen Kohlekraftwerken zu Buche schlägt. Wie wenig Erzeugungspreise und Endverbraucherpreise zusammenhängen, zeigt die Tatsache, dass der zurzeit in abgeschriebenen Altanlagen sehr preiswert erzeugte Atomstrom sich nicht auf die Endverbraucherpreise auswirkt.
Atomstrom erfordert enorme Investitionskosten pro Kilowatt: 3.500 bis 5.000 Euro, das entspricht etwa dem fünffachen Preis eines modernen Gaskraftwerks. Weltweit gibt es kein Atomkraftwerk ohne staatliche Subventionen. Allein in Deutschland schätzen Experten die Gesamtsubventionen auf 100 Milliarden Euro. Dennoch macht Atomstrom unsere Stromrechnungen nicht billiger. Eine Laufzeitverlängerung der alten, abgeschriebenen AKW in Deutschland würde den Atomkonzernen zwar bis zu 10 Milliarden Euro Zusatzgewinne pro Jahr einbringen, brächte dies Privathaushalten nur eine Ersparnis von ca. 50 Cent pro Monat. Eine einzelne Energiesparbirne bringt da mehr Ersparnis.
Mit freundlichen Grüßen
Fritz Kuhn