Frage an Frithjof Schmidt von Martin H. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Schmidt,
im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Eskalation des Afghanistan-Krieges durch etliche NATO-Länder wird immer wieder davon berichtet, dass US-Politiker "Druck" auf deutsche politiker ausüben ( http://www.welt.de/politik/deutschland/article5400841/US-Praesident-Obama-setzt-Deutschland-unter-Druck.html ). Auch wenn das von Regierungsseite nicht offiziell zugegeben wird, ist es doch für jeden Beobachter klar, dass die deutsche Afghanistan-Politik sich vor allem nach der US-Politik richtet. Solange Obama seine Strategie nicht festgelegt hatte, wurde auch in Deutschland nichts entschieden, und erst als Reaktion auf US-Forderungen wurden die deutschen Kriegsanstrengungen weiter erhöht.
Von Ihnen als Oppositionspolitiker erhoffe ich mir eine ehrlichere Beurteilung der Sachlage, und eine Beantwortung der Frage, warum die USA überhaupt "Druck" auf Deutschland ausüben können. Sind wir nicht ein souveräner Staat, der auch ohne das Wohlwollen Washingtons auskommen kann? Welche Sanktionsmöglichkeiten hätten die USA, wenn sich etwa Außenminister Westerwelle an seine ursprüngliche Absicht gehalten hätte, die Anzahl der deutschen Soldaten nicht zu erhöhen? Auch Kanada und die Niederlande entziehen sich dem Eskalationsdruck -- warum kann Deutschland das nicht? Ist es so wichtig für deutsche Außenpolitiker, in Washington mit Wohlwollen empfangen zu werden? Was nützt uns das, wenn doch alles aus Washington diktiert wird? Oder gibt es Beispiele dafür, dass die deutsche Willfährigkeit zu Zugeständnissen der USA geführt hätte?
Mit freundlichen Grüßen und großen Erwartungen,
Ihr
Prof. Dr. Martin Haspelmath
Sehr geehrter Herr Haspelmath,
vielen herzlichen Dank für Ihre Frage.
Sie fragen nach "Druck" auf Deutschland und ob die Bundesrepublik überhaupt ohne das Wohlwollen der USA auskommen kann. Von einem solchen unmittelbaren Druck kann ich persönlich nicht berichten, aber natürlich tragen die Vertreterinnen und Vertreter der amerikanischen Regierung ihre Positionen klar und nachdrücklich vor. Das unterscheidet sie aber nicht von anderen.
USA und Europa bzw. Deutschland verbinden eine enge Partnerschaft. Sie gründet sich auf gemeinsame historische Erfahrungen und politische Werte, eine enge wirtschaftliche Verflechtung und auf einen intensiven kulturellen Austausch. Die engen partnerschaftlichen Beziehung sind aber nicht frei von politischen Dissonanzen, gerade aus Grüner Sicht sind sie durchaus gravierend. Der "selektive Multilateralismus" der früheren Bush-Administration, ihre Ignoranz gegenüber den Vereinten Nationen und die Tendenz, Konflikte vorrangig mit militärischen Mitteln lösen zu wollen, hat zu einer schweren Belastung des transatlantischen Verhältnisses geführt - am deutlichsten beim Irak-Krieg und bei der Behandlung von Gefangenen in Guantánamo und Abu Ghraib. Die Ablehnung des Internationalen Strafgerichtshofs, die Missachtung des Vertrags zur Nichtverbreitung von Atomwaffen, die versuchte Blockade des Kyoto-Protokolls führten zu massiven Konflikten Europas mit der US-Regierung.
Dabei hat beispielsweise die rot-grüne Bundesregierung dem Druck wiederstanden, sich auf den Irakkrieg einzulassen. Die Absage an den Irakkrieg war die Konsequenz daraus und zugleich ein historischer Schritt zu außenpolitischer Mündigkeit im Bündnis. Ebenso haben wir immer wieder von der amerikanischen Regierung eine Ratifizierung des Kyoto-Protokoll gefordert oder sind dem Internationalen Strafgerichtshof beigetreten, obwohl die USA diesen ablehnt. Die unterschiedlichen Auffassungen gingen so weit, dass die rot-grüne Bundesregierung die Vereinigten Staaten im Falle der Brüder LaGrand beim Internationalen Gerichtshof verklagt hat.
In diesen oben genannten Differenzen gab es wechselseitige Versuche die USA und umgekehrt von der jeweiligen Position zu überzeugen. Diese Versuche der wechselseitigen Beeinflussung, sind aus meiner Sicht zwischen befreundeten Staaten normaler Bestandteil einer Partnerschaft.
Mit Präsident Obama haben sich in einigen Bereichen deutlich positive Veränderungen ergeben, beispielsweise bei der Frage der nuklearen Abrüstung oder in Guantánamo. Bei anderen Punkten dringen wir nach wie vor auf eine andere amerikanische Politik. Am dringendsten sicherlich im Bereich einer energischen Klimaschutzpolitik.
In Afghanistan haben die USA und die Bundesrepublik sich gemeinsam engagiert. Afghanistan war unter den Taliban zu dem Ausbildungs- und Ruheraum internationaler Kämpfer und Terroristen geworden. Diese Bedrohung für die internationale Sicherheit und den Weltfrieden zu beenden und die Hintermänner des 11. September zu fassen, war Konsens im VN-Sicherheitsrat. Daher hat die Bundesregierung nach dem 11. September, basierend auf einer klaren völkerrechtlichen Grundlage, den Einsatz in Afghanistan unterstützt. Über die Frage des Vorgehens in Afghanistan, insbesondere über den Stellenwert des zivilen Wiederaufbaus gab es in der Vergangenheit immer wieder Auseinandersetzungen innerhalb der NATO. Das jetzt die Bundesregierung eine Truppenerhöhung vornimmt, kritisieren wir Grüne als Ausdruck eine falscher Strategie. Trotzdem glaube ich nicht, dass die Bundesregierung einseitig nur aufgrund amerikanischen Drucks diese Truppenerhöhung vornimmt. Es gibt auch innerhalb von Union, FDP und der Bundeswehr genügend Vertreter, die genau in einem solch massiveren Militäreinsatz eine Erfolgschance sehen. Vielmehr werfen wir der Bundesregierung vor, dass sie Ende letzten Jahres als in den USA eine vielstimmige Debatte auch innerhalb der Obama-Administration über die richtige Strategie in Afghanistan tobte, sich zurückgehalten hat und nicht ausreichend für ein anderes Vorgehen geworben hat.
Mit freundlichen Grüße
Dr. Frithjof Schmidt