Frage an Fares Al-Hassan von Gabriele L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sie bewerben sich in meinem Wahlkreis um ein Direktmandat für den Deutschen Bundestag. Da ich weder Sie persönlich kenne, noch Ihre ethische Grundhaltung einschätzen kann, erlauben Sie mir bitte eine Frage, bevor ich mich entscheide, ob ich Ihnen meine Stimme gebe oder nicht.
Wie stehen Sie persönlich - nicht Ihre Partei – zum Thema "selbstbestimmter Tod".
Damit meine ich ausdrücklich nicht nur "Sterbehilfe" im Fall schwerer, unheilbarer Krankheit, sondern den "Freitod" von Menschen, die niemandem etwas schuldig sind, also weder unmündige Kinder haben noch irgendwelche finanzielle Verbindlichkeiten.
Danke und freundliche Grüße
G. L.
Liebe Frau L.,
wenn ich Sie richtig verstehe, geht es um den Freitod ohne körperliche Not, also aus seelischer Trauer oder aus einem Lebensüberdruss geboren.
Ich glaube, nein ich weiß, dass es Situationen im Leben gibt, die schwer oder gar nicht zu verkraften sind und in denen unsere gesellschaftlichen, psychologischen, kirchlichen, seelsorgerischen Auffangmittel versagen oder die Situation gar noch erschweren. In denen sich viele Menschen diese Frage stellen. Sie sprechen explizit nicht von Sterbehilfe, sondern vom Freitod. Und ich denke, da ist jeder Mensch in seiner spezifischen Situation mit seinem Gewissen vor seinem jeweiligen Gott allein. Denn es ist das größte Tabu und mit seiner Bewertung ist alles verbunden - Moral, Religion, Glaube, Ethik... Ich kann und möchte niemanden ermutigen, diesen Weg zu gehen - denn fast immer sind auch andere Menschen mitbetroffen, sei es als Zeugen, als Bahnfahrer, als Angehöriger mit Schuldgefühlen. Wei kann man gehen, ohne ein Loch zu hinterlassen, eine Wunde?
Ich kann Ihnen als ehemaliger Zivildienstleistender in der Altenbetreuung sagen, dass nicht wenige meiner Patienten sich diese Frage häufig stellten und ich kann aus meiner Warte sagen - ich bin sehr glücklich über die Zeit, die ich mit jedem einzelnen verbringen durfte und glaube, sie waren es auch. Ich habe zudem Freunde verloren, die Im Affekt gegangen sind und weiß, dass ihnen ein besseres Leben bestimmt war, als sie in ihrer Not sahen. Ich kenne die Selbstvorwürfe der Angehörigen, die niemals vergehen.
Deswegen meine differenzierte Antwort. Wie kann man gehen ohne Narben zu hinterlassen, ohne Beihilfen, ohne Trauer… Ich verstehe Leid und den Wunsch, es zu beenden, aber ich kann nicht gutheissen oder aufwiegen, auch die Gesellschaft nicht, das können nur Sie.
Ich würde mich freuen, wenn jene, die gehen möchten, stattdessen alle Kraft zusammen nehmen und beginnen zu geben. Ihre „wertlose“ Existenz in eine wertige verwandeln. Ihre Kraftlosigkeit in Schubkraft verwandeln. Nicht für sich selber, nein, das fällt ja schwer und ist „sinnlos“ - sondern für andere, ob Mensch oder Tier oder Pflanze. Erstaunliches geht manchmal von statten, wenn man selbstlos gibt - man wird stärker, wichtiger, notwendiger und plötzlich machen die Dinge Sinn und man würde fehlen. Lassen Sie uns notwendig werden - dann macht die Frage nach dem Gehen plötzlich keinen Sinn mehr!
Ich hoffe, ich konnte mich ausdrücken.
Alles Gute,
Fares Al-Hassan