Bundestagsabgeordnete für Berlin-Mitte
Eva Högl
SPD
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Frage von Justus T. •

Frage an Eva Högl von Justus T. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Högel,

In der Bundestagsdebatte zum Fall Anis Amri hatten Sie gesagt, sie möchten der Befugniserweiterung der Nachrichtendienste und Strafverfolgungsbehörden im Nachhall des Terroranschlags entgegentreten. Man möge vielmehr eine bessere Verarbeitung bereits jetztgesammelter Informationen anstreben.
Nicht lange danach haben Sie für die Einführung des Bundestrojaners zur Verbrechensaufklärung schon bei kleineren Straftaten (beispielweise BtmG-Verstößen) gestimmt. Was hat Ihren Meinungswechsel hier verursacht?
Wie vereinbaren Sie diese Standpunkte miteinander?
Und weiterführend: Wie stehen Sie zu Videoüberwachung mit Gesichtserkennung (wie unter der Obhut von Innenminister De Maiziere am Bf Südkreuz Testweise eingeführt) und zur Frage nach der Vorratsdatenspeicherung? Werden Sie in kommenden Bundestagsabstimmungen ihrem Gewissen folgend stimmen?

Bundestagsabgeordnete für Berlin-Mitte
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr T.,

vielen Dank für Ihr Schreiben auf dem Internetportal abgeordnetenwatch.de zur Möglichkeit von Online-Durchsuchungen und dem Einsatz sogenannter Staatstrojaner.

Die SPD-Bundestagsfraktion befasst sich bereits seit über vier Jahren in intensiven Debatten unter Beteiligung zahlreicher Expert*innen mit diesem Thema. Gemeinsam mit meinen Kolleg*innen in der SPD-Bundestagsfraktion habe ich mich in diesem Zusammenhang immer dafür eingesetzt, die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit für die Bürger*innen in unserem Land zu bewahren und Online-Durchsuchungen nur in ganz engen Grenzen zuzulassen.

Zu Zwecken der Strafverfolgung konnte bislang zwar SMS-Kommunikation überwacht werden, nicht hingegen die Kommunikation über Messenger-Dienste wie Whatsapp oder Telegram. Zur Gefahrenabwehr ist es den Sicherheitsbehörden schon länger erlaubt, auch solche verschlüsselten Kommunikationsinhalte zu überwachen. Für den Bereich der Strafverfolgung war es bislang umstritten, inwieweit eine Überwachung verschlüsselter Kommunikation über Internetdienste zulässig ist.

Mit den beschlossenen Gesetzen, auf die Sie Bezug nehmen, wurde klar festgelegt, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Einschränkungen eine Quellen-Telekommunikationsüberwachung zur Strafverfolgung durchgeführt werden darf. Hierdurch wurde aus meiner Sicht vermieden, dass durch eine Nichtüberwachung entsprechender Kommunikationsinhalte Sicherheitslücken entstehen. Die Festlegung klarer und strenger Vorgaben für den Einsatz der Quellen-Telekommunikationsüberwachung stellt gleichzeitig sicher, dass nicht in unverhältnismäßiger Weise in Grundrechte der von einer Überwachung betroffenen Personen eingegriffen wird.

Auch eine Online-Durchsuchung ist mit einem erheblichen Grundrechtseingriff für die Betroffenen verbunden. Deshalb habe ich mich gemeinsam mit meinen Kolleg*innen in der SPD-Bundestagsfraktion erfolgreich dafür eingesetzt, in den Neuregelungen sehr hohe Hürden für einen Einsatz dieser Überwachungsmaßnahme vorzusehen.

• Online-Durchsuchungen sind nur beim Verdacht einer auch im Einzelfall schwerwiegenden besonders schweren Straftat möglich.
• Für einen Zugriff auf Smartphones, etwa auf dort abgelegte Chat-Protokolle, greift ein sehr enger Straftatenkatalog, der angelehnt ist an den Katalog der akustischen Wohnraumüberwachung. So genannte Alltags- oder Kleinkriminalität – oder kleinere Straftaten wie Sie sagen – fällt nicht unter diesen Katalog.
• Des Weiteren darf eine Überwachungssoftware nur dann eingesetzt werden, wenn keine grundrechtsschonenderen Mittel zur Überwachung der Telekommunikation zur Verfügung stehen.
• Zudem ist die Maßnahme nur auf der Grundlage einer richterlichen Entscheidung zulässig.

Aus meiner Sicht sind durch diese strengen Vorgaben sichergestellt, dass Online-Durchsuchungen nur zur Bekämpfung schwerer Kriminalität eingesetzt werden können. Trotz der damit verbundenen erheblichen Grundrechtseingriffe stellt dies einen ausgewogenen und verfassungsrechtlich haltbaren Kompromiss dar, der sowohl die Interessen der Strafverfolgung als auch das hohe Gewicht der betroffenen Grundrechte berücksichtigt. Aus diesen habe ich den entsprechenden Gesetzen im Bundestag zugestimmt.

Daher sehe ich keinen Widerspruch zu meinen Aussagen, die ich im Zusammenhang mit dem Terroranschlag vom Breitscheidplatz gemacht habe und zu denen ich auch weiterhin fest stehe: Unsere Sicherheitsgesetze sind oftmals scharf genug, die Befugnisse von Polizei und Sicherheitsbehörden ausreichend. Um Terroranschläge langfristig zu verhindern, braucht es vor allem eine Kombination aus vorbeugenden Maßnahmen, gesellschaftlichem Zusammenhalt und Stärkung von Polizei, Nachrichtendiensten und Justiz durch eine engere Zusammenarbeit und zusätzliches Personal sowie eine konsequentere Ahndung von Gesetzesverstößen.

Die Erweiterung der Befugnisse von Sicherheitsbehörden kann und darf nur unter Abwägung aller Interessen und besonderen Berücksichtigung der Grundrechte erfolgen, wie dies in Bezug auf die Möglichkeit von Online-Durchsuchungen und den Einsatz sogenannter Staatstrojaner erfolgt ist.

Zum Thema Gesichtserkennung:

Flächendeckende Videoüberwachung zur Gesichtserkennung sehe ich sehr skeptisch. Denn auch hierbei handelt es sich um einen schweren Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen.

In der Theorie können Gesichtserkennungsmaßnahmen zwar unter Umständen einen Beitrag zu mehr Sicherheit und wirksamer Strafverfolgung leisten. Allerdings müssen ihr praktischer Einsatz und ihre Wirkung sorgfältig getestet werden, um dies verlässlich einschätzen zu können.

Hierfür läuft derzeit ein entsprechendes Pilotprojekt am Bahnhof Südkreuz. Ende Juni werde ich mir selbst ein Bild vor Ort machen und das Pilotprojekt besuchen. Ich werde mich mit den Sicherheitsbehörden über Ihre Erfahrungen und Erkenntnisse der Testphase austauschen und dabei auch und vor allem die Grundrechtsbedenken diskutieren.

Mit freundlichen Grüßen
Ihre Eva Högl