Frage an Eva Högl von Dagmar H. bezüglich Verkehr
Sehr geehrte Frau Dr. Högl,
haben Sie wirklich vor, am Donnerstag, 01.06.2017 in 2. und 3. Lesung im Bundestag für eine Grundgesetzänderung zur Autobahnprivatisierung zu stimmen?
Eigentlich hatte ich ja vor, Ihnen meine Stimme bei der Bundestagswahl zu geben. Wenn diese Grundgesetzänderung durchkommt, werde ich das nicht tun.
Mit freundlichen Grüßen
Dagmar Heymann
Sehr geehrte Frau Heymann,
vielen Dank für Ihr Schreiben auf abgeordnetenwatch.de, in dem Sie sich nach meinem Abstimmungsverhalten zur Schaffung einer zentralen Gesellschaft für Autobahnen und Bundesstraßen erkundigen.
Am Dienstag, 30. Mai, haben wir in der SPD-Bundestagsfraktion sehr intensiv und sehr lange über dieses Thema diskutiert. Nach Abwägung aller Argumente und Erörterung der Details konnte ich der hierfür notwendigen Änderung des Grundgesetzes im Deutschen Bundestag am Donnerstag, den 1. Juni 2016 zustimmen.
Gerne erläutere ich Ihnen die Beweggründe für mein Abstimmungsverhalten.
Die SPD-Bundestagsfraktion hatte von Beginn an eine klare Position: Bundesautobahnen gehören in öffentliche Hand. Eine Autobahnprivatisierung darf es nicht geben – weder ganz noch teilweise, weder vorneherum noch durch die Hintertür.
Wir haben die Sorgen Vieler vor einer möglichen Privatisierung von Autobahnen sehr ernst genommen und lange und intensiv mit unserem Koalitionspartner verhandelt. Es ist uns gelungen, gegen den starken Widerstand von CDU/CSU eine mögliche Privatisierung von Autobahnen zu verhindern. Selbst theoretisch mögliche Hintertüren haben wir fest verschlossen.
Konkret wurde im Deutschen Bundestag Folgendes beschlossen:
Gründung einer Verkehrsinfrastrukturgesellschaft des Bundes
Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, wird die Verwaltung für Planung, Bau und Erhalt der Bundesautobahnen und Bundesstraßen reformiert. Hierdurch sollen Aufgaben- und Ausgabenverantwortung stärker gebündelt und die Effektivität und Effizienz der Verwaltung verbessert werden.
Für die Autobahnen wird die Auftragsverwaltung durch die Länder durch eine bundeseigene Verwaltung ersetzt, für die sich der Bund einer privatrechtlichen Gesellschaft (Verkehrsinfrastrukturgesellschaft) bedienen kann.
Es ist grundgesetzlich abgesichert, dass diese im unveräußerlichen Eigentum des Bundes steht.
Dreifacher Schutz gegen Privatisierung
Die SPD-Bundestagsfraktion hat drei Schranken gegen Privatisierung aufgestellt. Erstens ist der Bund hundertprozentiger Eigentümer der Autobahnen. Zweitens ist der Bund hundertprozentiger Eigentümer der Autobahngesellschaft. Drittens haben wir mehrere Maßnahmen, darunter zwei Grundgesetz-Änderungen, durchgesetzt, mit denen eine mögliche Privatisierung der Autobahnen durch die Hintertür erfolgreich verhindert wird.
Zum einen wird eine unmittelbare oder mittelbare Beteiligung Dritter an der Verkehrsinfrastrukturgesellschaft und möglichen Tochtergesellschaften ausgeschlossen. Zum anderen werden die Möglichkeiten von sogenannten Öffentlich-Privaten Partnerschaften (ÖPP), bei denen die öffentliche Hand für einen Zeitraum von bis zu 30 Jahren private Dritte mit dem Bau, Erhalt und Betrieb von Bundesfernstraßen beauftragt, eingeschränkt. Eine funktionale Privatisierung durch die Übertragung eigener Aufgaben der Gesellschaft auf Dritte, zum Beispiel durch Teilnetz- ÖPP, wird damit ausgeschlossen.
ÖPP – keine Privatisierung durch die Hintertür - strenge Regulierung
Die Ermöglichung einzelner ÖPP-Projekte wird kritisiert, weil meist behauptet wird, dies wäre eine Privatisierung der Autobahnen durch die Hintertür. Dies ist jedoch irreführend und falsch.
Eine ÖPP ist nicht das Gleiche wie eine Privatisierung.
Bei einer ÖPP vergibt der Staat für eine begrenzte Zeit eine Aufgabe an ein staatliches Unternehmen. Hierbei bleibt er jedoch weiterhin Eigentümer. Das war beim Bau und der Unterhaltung von Bundesfernstraßen auch in der Vergangenheit schon häufig der Fall.
Wir haben in den vergangenen vier Jahren gemeinsam mit dem Bundesrechnungshof dafür gesorgt, dass dies allerdings nur noch geschieht, wenn sehr strenge Kriterien erfüllt sind. So müssen ÖPP-Projekte nicht nur schneller und effizienter, sondern auch deutlich kostengünstiger sein, als wenn der Staat alleine bauen würde.
Die Schaffung einer Verkehrsinfrastrukturgesellschaft hat das Ziel, die Verwaltung für Planung, Bau und Erhalt der Bundesautobahnen und Bundesstraßen noch effektiver und effizienter zu gestalten. Wenn sie diese Aufgabe – hoffentlich gut – erfüllen wird, werden ÖPP somit unter der neuen Gesellschaft seltener der Fall sein wird als bisher.
Zudem gilt: ÖPP bleiben auf Einzelprojekte beschränkt. Eine Beschaffung im Rahmen von ÖPP kann nur auf der Ebene von Einzelprojekten erfolgen, die maximal 100 Kilometer lang und nicht räumlich miteinander verbunden sind. Durch die von uns durchgesetzte Grundgesetz-Änderung ist es dauerhaft verboten, ein ÖPP-Projekte an das andere zu setzen, bis irgendwann wesentliche Teile des Autobahnnetzes oder des Bundesstraßennetzes in einem Bundesland als ÖPP ausgebaut und betrieben werden.
Die Verkehrsinfrastrukturgesellschaft als GmbH - keine Privatisierung durch die Hintertür
Die Gründung der Verkehrsinfrastrukturgesellschaft als GmbH ist keine Privatisierung durch die Hintertür.
Der Staat kann sich auf vielerlei Weise organisieren. Meist tut er dies in Form von Behörden, die aber für bestimmte Aufgaben zu bürokratisch und ineffizient sind. Deshalb werden seit jeher einige staatliche Aufgaben in privatrechtlichen Organisationsformen wie der GmbH organisiert, die gleichwohl weiterhin zu 100 Prozent im Bundeseigentum sind und auch staatlich gesteuert werden.
Beispielsweise wickelt der Bund seine staatliche Entwicklungshilfe über eine bundeseigene GmbH, die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) ab. Diese arbeitet – ebenso wie die künftige Infrastrukturgesellschaft – nicht gewinnorientiert. Ein anderes Beispiel sind die Stadtwerke, mit denen viele Städte kommunale Aufgaben wie Stromerzeugung oder den öffentlichen Nahverkehr in Eigenregie erfüllen.
So wie weder die deutsche Entwicklungshilfe noch die Stadtwerke privatisiert sind werden auch die Autobahnen nicht privatisiert werden.
Darüber hinaus haben wir durchgesetzt, dass die Verkehrsinfrastrukturgesellschaft nicht kreditfähig sein wird, wodurch eine Aufnahme von privatem Kapital zu hohen Zinsen verhindert wird, dass eine Übertragung von Altschulden auf die Gesellschaft ausgeschlossen wird sowie dass das wirtschaftliche Eigentum an den Bundesautobahnen und Bundesstraßen nicht an die Gesellschaft übergeht, sondern beim Bund bleibt.
Parlamentarische Kontrolle
Meinen Kolleginnen und Kollegen und mir war sehr wichtig, die Kontroll- und Einflussmöglichkeiten des Parlaments auf Verkehrsinvestitionen zu erhalten und zu stärken.
Auch hierfür haben wir viele Verbesserungen durchsetzen können:
• Die Verkehrsinfrastrukturgesellschaft wird als GmbH errichtet. Die Evaluationsklausel, die eine einfache Umwandlung zu einer Aktiengesellschaft ermöglicht hätte, wird gestrichen.
• Die Satzung der GmbH und wesentliche Änderungen bedürfen der vorherigen Zustimmung durch den Haushaltsausschuss und den Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages.
• Mitglieder des Deutschen Bundestages sind im Aufsichtsrat der Gesellschaft vertreten.
• Der Finanzierungs- und Realisierungsplan der Gesellschaft bedarf der vorherigen Zustimmung durch den Haushaltsausschuss und den Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages.
• Eine unabhängige externe Prüfung der Haushalts- und Wirtschaftsführung der Gesellschaft sowie möglicher Töchter wird sichergestellt, indem entsprechende Prüfrechte des Bundesrechnungshofes verankert werden.
Zusammengefasst gesagt: Wir haben eine Privatisierung von Autobahnen ausgeschlossen. Was nicht vollständig ausgeschlossen ist, sind ÖPP. Das ist sehr schade, doch auch in diesem Punkt konnten wir deutliche Verbesserungen durchsetzen, wie ich oben erläutert habe, und vieles, was bislang rechtlich möglich gewesen wäre in Bezug auf die Einbeziehung privater Betreiber und institutioneller Investoren, nun erstmals rechtlich ausschließen. Die Möglichkeiten von ÖPP wurden somit gegenüber der geltenden Rechtslage deutlich eingeschränkt.
Meine Abstimmungsentscheidung am 1. Juni ist mir keineswegs leicht gefallen. Ich bin jedoch der Meinung, dass die SPD-Bundestagsfraktion – oft gegen den vehementen Widerstand von CDU/CSU – viele Verbesserungen an den ursprünglichen Plänen und Entwürfen durchsetzen konnte, weshalb ich der Schaffung einer Verkehrsinfrastrukturgesellschaft letztlich zugestimmt habe.
Unabhängig hiervon ist darf ein Punkt in der gesamten Diskussion nicht vergessen werden: Die Schaffung einer Verkehrsinfrastrukturgesellschaft war ein Element eines umfangreichen Gesetzespakets zur Neuregelung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, über das am 1. Juni im Deutschen Bundestag abgestimmt wurde.
Die Neuregelung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen war für die Rechts- und Planungssicherheit von Bund und Ländern dringend notwendig, da der bundesstaatliche Finanzausgleich– auch Solidarpakt genannt – 2019 ausläuft.
Im Bundestag haben wir am 1. Juni beschlossen, dass ab 2020 der Bund den Ländern ca. 10 Milliarden Euro pro Jahr zur Verfügung stellen wird.
Bei der Neuregelung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen ging es nicht zuletzt für Berlin um sehr viel Geld. Berlin wird aus dem Finanzausgleich ab 2020 jährlich ca. 495 Mio. Euro erhalten – Tendenz steigend. Ein Scheitern hätte erhebliche finanzielle Konsequenzen für den Haushalt des Landes Berlin bedeutet. Für Berlin war die Neuregelung somit überlebenswichtig.
Als Berliner Abgeordnete hätte ich daher nicht vertreten können, die Bund-Länder-Finanzierung scheitern zu lassen.
Bei der Neuregelung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen ging es auch um den Unterhaltsvorschuss und die Aufhebung des Kooperationsverbotes – zwei weitere Aspekte, die auch für Berlin von großer Bedeutung sind.
Im Rahmen der Neuregelung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen haben wir den Unterhaltsvorschuss neu aufgestellt, den Alleinerziehende erhalten, wenn das eigentlich unterhaltspflichtige Elternteil nicht zahlt. Künftig wird nicht nur bis zum 12. Geburtstag des Kindes gezahlt, sondern bis zum 18. Geburtstag, und während bislang maximal 6 Jahre lang gezahlt wurde, entfällt diese Befristigung künftig komplett.
Zudem haben wir es geschafft, das Kooperationsverbot zwischen Bund, Ländern und Kommunen im Bildungsbereich endlich zu durchbrechen – gegen den langjährigen Widerstand von CDU/CSU. Durch das am 1. Juni beschlossene Gesetzespaket wird es dem Bund künftig möglich sein, in kommunale Bildungseinrichtungen zu investieren. Dafür werden in einem ersten Schritt 3,5 Milliarden Euro bereitstehen.
Ich hätte es meinen Wählerinnen und Wählern nicht erklären, wenn ich gegen diese beiden wichtigen Reformen gestimmt hätte, für die ich mich persönlich seit Jahren eingesetzt habe.
Ich bin mir sehr bewusst, wie kontrovers und emotional all diese Aspekte in den vergangenen Wochen und Monaten diskutiert wurden. Ich hoffe jedoch sehr, Ihnen mit meinen Ausführungen mein Abstimmungsverhalten nähergebracht zu haben.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Eva Högl