Frage an Eva Högl von Astrid G. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Högl,
die Bundesregierung hat eine Reform des „Verfassungsschutzes“ entworfen. Diese sieht vor, dass der Geheimdienst verurteilte Verbrecher als V-Leute anwerben und führen darf, in Ausnahmen wohl auch Schwerstkriminelle (§ 9b Abs. 2 BVerfSchG-E). Des Weiteren werden de facto V-Leute im Einsatz zu Straftaten ermächtigt wie Körperverletzung, Nötigung, Sachbeschädigung, unerlaubter Waffenbesitz, Drogenhandel, Betrug usw. (§ 9a Abs. 2 und 3 BVerfSchG-E). Und schließlich soll der Geheimdienst im Ausnahmefall sogar im Einsatz verübte Straftaten von erheblicher Bedeutung decken und faktisch bezahlen dürfen (§ 9a Abs. 2 BVerfSchG-E). Während der Gesetzentwurf vorgibt, den Einsatz von V-Leuten stark zu begrenzen, bewirken zahlreiche Ausnahmen das genaue Gegenteil. Dr. Till Müller-Heidelberg, Rechtsanwalt und ehemaliger Bundesvorsitzender der Humanistischen Union, benennt die Schlupflöcher ausführlich in einer Stellungnahme: http://bit.ly/1FjlRXr
Die SPD empfiehlt in ihrer Stellungnahme zum Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses, dass über den Einsatz von V-Leuten nicht ausschließlich behördenintern entschieden werden darf und es stattdessen einer unabhängigen Prüfung außerhalb der Exekutive bedarf. Diese wichtige Forderung findet in dem Gesetzentwurf keinen Niederschlag - obwohl die SPD laut ihrer Stellungnahme ohne diese Kontrolle weiterhin Missbrauch befürchtet.
Wir würden gerne von Ihnen, Frau Högl, als sachverständige Juristin erfahren, wie Sie Straftaten im Namen des Staates mit den Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit für vereinbar halten, insbesondere mit dem Rechtsschutz gegen Akte öffentlicher Gewalt und dem Schutz von Gesundheit und Eigentum. Darüber hinaus würden wir gerne wissen, warum Sie von Ihrer Forderung nach einer behördenexternen Überprüfung von V-Person-Einsätzen abgerückt sind und wie Sie deren hoher Missbrauchsgefahr zukünftig begegnen wollen.
Mit freundlichen Grüßen von der Humanistischen Union,
Astrid Goltz
Sehr geehrte Frau Goltz,
vielen Dank für Ihre Anfrage über das Internetportal abgeordnetenwatch.de zur Reform des Bundesverfassungsschutzgesetzes. Zunächst einmal bitte ich Sie, meine verspätete Antwort zu entschuldigen.
Nachdem der NSU-Untersuchungsausschuss seinen Abschlussbericht vorgelegt hat, habe ich im Jahr 2014 in der Arbeitsgruppe zur Reform des niedersächsischen Verfassungsschutzes zusammen mit drei anderen Expertinnen und Experten konkrete Handlungsempfehlungen erarbeitet. Auch in die Beratungen zur Reform des Bundesverfassungsschutzgesetzes war ich umfassend eingebunden. Ich habe mich also ganz intensiv mit der Materie beschäftigt.
Im Rahmen der Reform des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG) haben wir auch die Regelungen für Vertrauensleute überarbeitet. Diese Reform haben wir im Juli 2015 abgeschlossen, die Änderungen im BVerfSchG sind bereits in Kraft getreten. Die SPD-Bundestagsfraktion hat viele eigene Vorschläge in die parlamentarischen Verhandlungen eingebracht und konnte viele davon durchsetzen. So habe wir uns dafür eingesetzt, dass es für verdeckte Mitarbeiter und Vertrauensleute jeweils eigenständige gesetzliche Regelungen gibt, da sie auch unterschiedliche nachrichtendienstliche Mittel darstellen, und wichtige Klarstellungen im Gesetz erreicht. Zudem konnten wir eine Stärkung der parlamentarischen Kontrolle erwirken.
Dass der Verfassungsschutz verurteilte Verbrecher als Vertrauenspersonen anwerben und führen darf, ist nicht richtig. Nach § 9 b Absatz 2 Nummer 5 BVerfSchG ist es ausgeschlossen, Personen als Vertrauensleute anzuwerben oder einzusetzen, die im Bundeszentralregister mit einer Verurteilung wegen eines Verbrechens oder zu einer Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist, eingetragen sind. Unter bestimmten ganz engen Voraussetzungen und Vorgaben (z. B. keine Verurteilung als Täter eines Totschlags oder einer allein mit lebenslanger Haft bedrohten Straftat und Unerlässlichkeit des Einsatzes) kann der Behördenleiter hiervon in besonders gelagerten Einzelfällen eine Ausnahme zulassen.
Der neue § 9a Absatz 2 BVerfSchG, der auch auf Vertrauensleute anzuwenden ist, regelt Rahmen und Schranken eines Einsatzes. Die Begehung von Straftaten ist nur in wenigen Fällen unter ganz engen Voraussetzungen überhaupt legitim. Im Einsatz ist eine Beteiligung an Bestrebungen nur zulässig, wenn sie nicht in Individualrechte eingreift. Das bedeutet, dass Vertrauensleute im Einsatz keine Straftaten begehen dürfen, die Individualrechtsgüter schädigen, wie z. B das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit, das Eigentum oder das Vermögen. Körperverletzungen, Diebstähle und Sachbeschädigungen scheiden daher von vornherein aus. Sind lediglich Kollektivrechte bzw. öffentliche Interessen betroffen, ist die Maßnahme nur zulässig, wenn sie für die Akzeptanz im aufzuklärenden Umfeld unerlässlich und nicht unverhältnismäßig ist. Beispiele sind etwa das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen oder ein Verstoß gegen das versammlungsrechtliche Vermummungsverbot. Nur die Begehung solcher Straftaten im Einsatz ist überhaupt durch das Gesetz gedeckt. Wenn Vertrauensleute rechtswidrig einen Straftatbestand von erheblicher Bedeutung verwirklicht haben, soll der Einsatz nach § 9a Absatz 3 Satz 4 BVerfSchG unverzüglich beendet und die Strafverfolgungsbehörde unterrichtet werden. Über Ausnahmen in besonders gelagerten Einzelfällen entscheidet auch hier der Behördenleiter oder sein Vertreter.
Auch wenn es Situationen geben mag, in denen eine Straftat begangen wird, die ein Individualrechtsgut schädigt, weil dies unausweichlich erscheint, um eine Enttarnung zu vermeiden und die zugehörigkeitsstiftende Akzeptanz zu erhalten, ist dies von der Befugnis nicht gedeckt und damit nicht gerechtfertigt. Ein Beispiel wäre hier eine Sachbeschädigung im Anschluss an Demonstrationen mit militantem Verlauf, wenn sich die Vertrauensperson unter einem dynamischen Gruppendruck dem nicht entziehen kann. Gleichwohl kann die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung einer solchen Straftat unter ganz engen Voraussetzungen absehen. Dafür wurde in § 9a Absatz 3 BVerfSchG eine Einstellungsbefugnis ins Gesetz aufgenommen. Dieser Einstellungsbefugnis sind allerdings auch Grenzen gesetzt: Ein Absehen von der Verfolgung ist ausgeschlossen, wenn eine höhere Strafe als ein Jahr Freiheitsstrafe zu erwarten ist. Ein Absehen von der Verfolgung ist darüber hinaus stets ausgeschlossen, wenn zu erwarten ist, dass die Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt werden würde.
Das Gesetz regelt, dass über die Verpflichtung von Vertrauensleuten der Behördenleiter oder sein Vertreter entscheidet. Die SPD-Bundestagsfraktion hätte es begrüßt, wenn die G 10-Kommission zumindest bei grundsätzlichen Fragen des Einsatzes von Vertrauenspersonen, wie etwa die Information darüber, in welchen Bereichen Vertrauenspersonen zu welchem Zweck eingesetzt werden sollen und welches Erkenntnisinteresse besteht, eingebunden worden wäre. Das war mit unserem Koalitionspartner nicht zu erreichen. Als SPD-Bundestagsfraktion haben wir dafür in den parlamentarischen Verhandlungen durchgesetzt, dass die Bundesregierung dem Parlamentarischen Kontrollgremium mindestens einmal im Jahr einen Lagebericht zum Einsatz von Vertrauensleuten vorträgt. Diese gesetzlich festgeschriebene Vorlagepflicht ist ein guter Kompromiss gewesen, dem wir am Ende zustimmen konnten.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Eva Högl