Bundestagsabgeordnete für Berlin-Mitte
Eva Högl
SPD
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Frage von Hans R. •

Frage an Eva Högl von Hans R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Högl,

wie ich dem Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Linken zur Abschaffung der Sanktionen gegen HartzIV-Empfängern ( https://www.grundeinkommen.de/content/uploads/2012/04/gesamt1-namabst26-04-12.pdf ) entnehmen konnte, haben Sie, wie übrigens auch der größte Teil der SPD-Fraktion, dagegen gestimmt. Darf der geneigte Bürger mithin davon ausgehen, das Sie und die SPD die Arbeitslosen weiterhin zwingen wollen, jeden noch so miesen Job anzunehmen, jede noch so sinnlose Weiterbildungsmaßnahme zu durchlaufen? Wie passt das mit dem Anspruch der SPD zusammen, Mehrheiten für soziale Gerechtigkeit zu organisieren? Und wie passt das mit der Auftakterklärung eures „Denkwerk Demokratie“ mit dem Ziel „gutes Leben“ zusammen? Sind das wieder Sprechblasen, mit dem man, einem Rattenfänger gleich, ein paar Stimmen einsacken will? Gab es einen Fraktionszwang, oder war er aufgehoben. Wäre übrigens nett, wenn wenigstens diesmal alle meine Fragen beantwortet würden und nicht nur teilweise.

Mit freundlichen Grüßen
Hans Richter

Bundestagsabgeordnete für Berlin-Mitte
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Richter,

vielen Dank für die Einsendung Ihrer zahlreichen Fragen über das Internetportal „abgeordnetenwatch“. Ich möchte versuchen möglichst alle zu beantworten, um Sie vollständig zufrieden zu stellen.

Im Deutschen Bundestag wurde am 26. April 2012 über die ersatzlose Abschaffung von Sanktionen im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und Leistungseinschränkungen im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch diskutiert und namentlich abgestimmt.

Wie Sie richtig feststellen, hat ein Großteil der SPD-Fraktion gegen die ersatzlose Streichung von Sanktionen gestimmt. Dies zeigt: die SPD-Fraktion hat nicht geschlossen abgestimmt, es herrschte somit kein Fraktionszwang. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf Artikel 38, Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes verweisen, wonach Abgeordnete einzig und allein ihrem Gewissen unterworfen sind.

Nun zum inhaltlichen Aspekt Ihres Fragenkatalogs. Wir als SPD sind der Auffassungen, dass Sozialleistungen auf zwei Pfeilern fußen: dem Fördern einerseits und dem Fordern andererseits. Wer arbeitssuchend ist, wird gefördert, indem er/sie Sozialleistungen erhält und bei seiner Arbeitssuche unterstützt wird. Er wird jedoch in gleichem Maße gefordert, indem er Verpflichtungen gegenüber den Jobcentern erfüllen muss, etwa dass er sich aktiv bei der Arbeitssuche beteiligt. Sozialleistungen stellen somit keine Einbahnstraße dar. Wer sie erhält, bezieht diese Leistungen keineswegs ohne jegliche Verpflichtungen. Hieraus folgt, dass diejenigen, die ihren rechtlichen Verpflichtungen nicht nachkommen, einen wesentlichen Bestandteil für ihre Berechtigung auf Sozialleistungen nicht erfüllen. Sie werden gefördert aber nicht gefordert, sie nehmen ohne in gleichem Maße zu geben. Ein solches einseitiges und ebenso rechtswidriges Verhalten muss daher richtigerweise Konsequenzen in Form von Sanktionen nach sich ziehen.

Genau dies wird unserem Anspruch sozialer Gerechtigkeit gerecht. So werden Sozialleistungen finanziell durch diejenigen getragen, die ihrer Arbeit tagtäglich nachgehen und pflichtgemäß ihre Steuern zahlen. Es wäre diesen Menschen kaum zu vermitteln, warum diejenigen, die ohne ihre Pflichten zu erfüllen, folgen- und sanktionslos weiterhin volle Sozialleistungen beziehen sollten. Das Tolerieren von Pflichtverletzungen würde falsche Signale setzen und wäre praktisch ein Tiefschlag für alle Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Sanktionen erscheinen unter diesem Blickwinkel somit als ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit.

Diese begründete Befürwortung von Sanktionen als Teil des „Fordern & Fördern“, als Ausdruck sozialer Gerechtigkeit bedeutet jedoch keineswegs, dass es durchaus Verbesserungsbedarf bei der konkreten Ausgestaltung von Sanktionen gibt. So hat das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil vom Februar 2010 festgelegt, dass das physische Existenzminimum stets gewährleistet sein muss. Dies muss somit auch bei Leistungskürzungen in Betracht gezogen werden, weshalb alle Sanktionen einer diesbezüglichen wissenschaftlichen Prüfung unterzogen werden müssen. Ferner muss für Leistungsberechtigte unter 25 Jahren dasselbe Sanktionsrecht wie für ältere Leistungsberechtigte gelten. Ebenso wichtig ist, dass Sanktionen schnell und unbürokratisch zurückgenommen werden, sobald Leistungsbezieher_innen ihren Verpflichtungen nachkommen.

Allgemein muss gelten, dass Sanktionen im konkreten Einzelfall entsprechend fest vorgegebener Kriterien stärker individuell abgestuft werden können sollten als heute. All dies haben wir als SPD-Fraktion bereits 2011in einem Antrag im Bundestag gefordert. Die Bundesregierung ist dem bislang nicht nachgekommen.

Was bei all dem keineswegs unbeachtet bleiben darf: es handelt sich hierbei ohnehin um eine Ausnahmeerscheinung. Im Jahr 2011 waren lediglich 3% aller Sozialleistungsempfänger_innen von Sanktionsmaßnahmen betroffen. Der überwiegende Teil der Leistungsbezieher_innen ist somit aktiv und nachdrücklich auf der Suche nach Arbeit, erfüllt seine Pflichten gegenüber den Jobcentern und erhält daher den vollen Umfang der Sozialleistungen.

Nun zu Ihrem letzten Punkt. Als SPD verfolgen wir das Ziel, jeder Bürgerin und jedem Bürger zu ermöglichen ein gutes Leben zu führen. Unsere Absicht setzt jedoch weit früher an als bei der Sanktionierung von Leistungsbezieher_innen. So muss dafür gesorgt werden, dass es gar nicht erst so weit kommt, dass man auf Sozialleistungen angewiesen ist unter anderem durch genügen Ausbildungsplätze, gesicherte Arbeitsverhältnisse, gute Löhne und die Gleichstellung von Frauen und Männern. Nur dann kann gewährleistet werden, dass Jede/r sich verwirklichen und ein gutes Leben führen kann.

Sehr geehrter Herr Richter, ich hoffe ich konnte Ihre Fragen mit meinen Ausführungen zufriedenstellend beantworten und verbleibe

mit freundlichen Grüßen

Dr. Eva Högl, MdB