Frage an Eva Högl von Friedrich W Z. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Guten Tag,
als Kandidatin meines Wahlkreises möchte ich Sie bitten, meine Fragen auch an den Parteivorstand der SPD weiterzuleiten.
Die Reaktion in der SPD erschüttert mich. Thilo Sarrazin soll bleiben, fordern viele Mitglieder an der Basis. Einem Rausschmiss durch die Parteispitze widersprechen sie. Eine Schweigende Mehrheit in der Organisation zeigt ihr wahres Gesicht. Bislang sind Rassismus, Antisemitismus, Sozialdarwinismus (und all die anderen deutsch-nationalen Wohlerzogenheiten) latent oder offen in allen Bevölkerungsgruppen vorhanden. Sarrazin hat den Rummelplatz der Eitelkeiten betreten. Ist er der Mahner versäumter Integrationsversuche und verdrängter Einwanderungspolitik in Deutschland?
Die SPD hat ihre Ideale, die sozialdemokratischen Prinzipien, immer häufiger verraten; sie ist ständig auf der Suche nach den Stimmen dubioser Wähler in der Mitte der Gesellschaft. Der eitle Autor des Buches hat den Zeitgeist erkannt. Er ist ja seit 1975 Mitglied in der SPD. Der Ausschluss aus der Partei löst das Problem nicht. Die verirrten neoliberalen Ehrgeizlinge wie Clement und Sarrazin provozieren ihren Rausschmiss, Schröder und Steinmeier halten sich noch bedeckt.
Sarrazin bedient medientauglich in einem rassistischen Rundumschlag die mehrheitlich Unzufriedenen. Sehr viele Menschen in Deutschland erkennen, dass das Primat der Wirtschafts- und Finanzpolitik aller Regierungen nach Willy Brandt letztlich für die Misere in den so genannten bildungsfernen Schichten verantwortlich ist. Sarrazin hat jahrelang wissentlich diese Politik der Ausgrenzung als Finanzsenator von Berlin mit vorangetrieben. Bildung und Familie waren ihm nur Kostenfaktoren. Unverantwortlich spricht er von der Abschaffung Deutschlands, spricht vom drohenden Untergang, den er als Politiker an höchster Stelle auf SPD-Ticket immer wieder vertrat und wahrscheinlich bei der Bundesbank weiter vertritt.
Ist unsere demokratische Werteordnung in Gefahr? Ist Sarrazin ein Heuchler?
Beste Grüße!
FWZeemann
Sehr geehrter Herr Zeemann,
haben Sie vielen Dank für Ihre Frage auf abgeordnetenwatch.de. Die Debatte um die Thesen des mittlerweile zurückgetretenen Bundesbankvorstandes Thilo Sarrazin hat die grundsätzliche Bedeutung des Themas Integration in Deutschland überdeutlich aufgezeigt. Um eines gleich voranzustellen: Es ist nicht alles gut bei der Integration in Deutschland und wer vor den zahlreichen Problemen die Augen verschließt oder sie beschönigt, erweist der Sache der Integration einen Bärendienst. Die Bürgerinnen und Bürger fühlen sich dann von der Politik missverstanden oder im Stich gelassen, begründete Ängste und Befürchtungen scheinen nicht ernst genommen zu werden. Hier brauchen wir in Zukunft mehr Offenheit in der Debatte und weniger Beschönigungen und Wunschvorstellungen.
Demgegenüber muss man angesichts des demographischen Wandels und der Bevölkerungsentwicklung aber auch immer wieder betonen, dass eine erfolgreiche Integrationspolitik in Deutschland alternativlos ist. Die Menschen ausländischer Herkunft, die hierher gekommen sind oder hier geboren sind, werden in diesem Land bleiben und wir brauchen die Zuwanderung von noch mehr Frauen und Männern, um unseren Lebensstandard auch in Zukunft zu sichern. Wir sind ein Einwanderungsland und auf die Ideen, die Arbeit und das Engagement aller hier lebenden Menschen angewiesen, unabhängig von Rasse, Religion oder Herkunft.
Dabei lebt Integration von zwei Seiten: Staat und Gesellschaft, die ein Angebot zur Integration aussprechen, insbesondere im Bildungsbereich, aber auch bei Laufbahnen im öffentlichen Dienst oder in den Personalabteilungen der Unternehmen, und die Migrantinnen und Migranten, die dieses Angebot akzeptieren müssen, wenn sie in Deutschland leben und arbeiten wollen. Das beinhaltet die Akzeptanz der hier geltenden Gesetze, Sitten und Gebräuche und den Gebrauch der deutschen Sprache.
Wer gegen diese Regeln verstößt, muss mit Sanktionen rechnen. Das Erbe der Aufklärung, die Freiheit der Meinungsäußerung oder die Gleichberechtigung der Frau sind Werte die nicht auf dem Altar einer falsch verstandenen multikulturellen Toleranz geopfert werden dürfen. Sie machen den Kern unseres demokratisch und freiheitlich verfassten Gemeinwesens aus.
Was nun die Thesen von Herrn Sarrazin angeht, so behandelt er Integration als ein Problem, das nicht in kulturellen und sozialen Unterschieden wurzelt, sondern in biologisch und genetisch determinierten Eigenschaften begründet liegt. Er unterstellt bestimmten Bevölkerungsgruppen bestimmte genetische Eigenschaften, die diese wiederum gesellschaftlich wertvoll oder weniger wertvoll machen.
Damit vertritt Herr Sarrazin ein Menschenbild, das sich hart am Rande des Rassismus bewegt und dessen Assoziation von genetischen Eigenschaften und volkswirtschaftlichem Nutzen unvereinbar ist mit meiner Auffassung von der individuellen Würde des Menschen und dem Welt- und Wertebild der SPD. Aus diesem Grund unterstütze ich das Parteiausschlussverfahren gegen Thilo Sarrazin. Wer über Integration diskutieren möchte, ist in der SPD jederzeit willkommen, auch wenn er provokante Thesen äußern mag, die nicht unbedingt die Mehrheitsmeinung widerspiegeln.
Doch Herr Sarrazin geht weit über die Stufe provokativer Redebeiträge hinaus, im Ergebnis ordnet er die Bevölkerung Deutschlands nach Rassekategorien, nach denen sich bemisst, ob diese Gruppen für die Gesamtgesellschaft und die Volkswirtschaft von Nutzen sind oder nicht. Die Muslime stehen auf dieser Rassepyramide relativ unten, Immigrantinnen und Immigranten aus Osteuropa oder Vietnam relativ oben. Dieses Denken haben wir in unserem Land überwunden und wer es wieder hervorholen möchte, hat in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands keinen Platz.
Mit freundlichen Grüßen
Eva Högl