Frage an Eva Högl von Andreas R. bezüglich Kultur
Sehr geehrte Frau Dr. Högl,
Die Wirtschaftskraft unserer Stadt fußt zu einem guten Teil auf der Kreativ- und Kulturwirtschaft sowie auf Tourismus. Im Ausland wurde ich auf die einzigartige Kulturlandschaft der Stadt angesprochen: auf Einrichtungen wie das Tacheles, die Bar 25 und das Kiki Blofeld oder die Kastanienallee. Derartige Einrichtungen locken jährlich über 8 Mio. Menschen in unsere Stadt. Wie sie wissen ist damit bald Schluss.
Das weltweit einmalige Tacheles soll einem Hotelneubau weichen (gibt´s nicht genügend Hotels?). Die Kastanienallee soll glattsaniert werden, dabei weichen die beliebte Kastanien Radwegen, die niemand braucht und die alten, schönen Granitplatten dort weichen "modernen Platten", die keiner will. An der Spree haben Anwohner, Kreative und Künstler mitten in der Stadt eine Oasenwelt geschaffen, die es wohl nirgends auf der Welt noch einmal gibt. Trotz Bürgerentscheid gegen das Projekt soll dies nun wieder mit faden Gebäuden zugestopft werden (Frau Junge-Reyer lässt nur für "Kinderwagen" einen 10m-Streifen frei, was die Bar 25 und die dortigen Arbeitsplätze nicht retten wird). Hat Berlin nicht schon genügend fade Gebäude? Dort wo Platz wäre baut man dann soetwas wie das Alexa, das sogar der Regierende als Schandfleck empfindet. Nach jahrelangen kreativen Ideen der Anwohner für einen Park wurde in einer Nacht-und-Nebel-Aktion der Marthashof in der Schwedter Straße an Investoren übergeben und zugebaut. Nach peinlichen Pannen des Landes Berlin ist auch die Rettung des Mauerparks noch nicht gesichert.
Inzwischen muss man den Eindruck gewinnen, dass die Politik in Berlin nicht für, sondern gegen die Interessen der Bürger arbeitet. Was ist da los? Mich würde wirklich interessieren, wie Sie sich diese Pannenserie und Vernichtung der Sahnestücke, die Berlin weltbegehrt machen, erklären? Glauben Sie, da ist auch Korruption im Spiel? Wie setzen Sie sich persönlich dafür ein, den Ausverkauf zu bremsen?
Mit freundlichen Grüßen
Andreas Reichhardt
Sehr geehrter Herr Reichhardt,
haben Sie vielen Dank für Ihre Fragen auf abgeordnetenwatch. Sie haben völlig recht, wenn sie darauf hinweisen, dass die Kreativ- und Kulturwirtschaft ein bedeutender Wirtschaftsfaktor Berlins ist. Zahlreiche kreative Freiräume, ein einmaliges kulturelles Angebot und die entspannte Atmosphäre der Stadt locken jährlich Millionen Besucherinnen und Besucher nach Berlin.
Gleichzeitig ist Berlin, wie jede Stadt, einem beständigen Wandel unterworfen. Die SPD bemüht sich um den Ausgleich zwischen einer bürgernahen Stadtentwicklung, notwendiger Modernisierung und dem Erhalt von künstlerischen und kulturellen Gestaltungsräumen. Die Landes- und Kommunalpolitik stößt mitunter auch an ihre Grenzen, was finanzielle Spielräume und politische Einflussmöglichkeiten auf private Investoren angeht. Gleichzeitig müssen auch wirtschaftliche Entwicklungsperspektiven und Chancen für neue Arbeitsplätze berücksichtigt werden. Eine pauschale Bewertung der von Ihnen geschilderten Entwicklung ist damit äußerst schwierig. Lassen Sie mich daher auf einige der von Ihnen genannten Beispiele näher eingehen:
Kastanienallee
In der Kastanienallee ist eine Sanierung notwendig, u.a. weil es in der Vergangenheit häufig zu Verkehrsunfällen kam. Fahrradfahrer können nur auf dem Gleisbett der Straßenbahnen fahren, der Sicherheitsabstand zu parkenden Autos konnte bisher nicht gewährleistet werden, so dass Radfahrer oft mit plötzlich öffnenden Fahrertüren rechnen mussten. Die Gehwege der Kastanienallee sind zum Teil marode, was behinderte Bürgerinnen und Bürger und Seniorinnen und Senioren stark beeinträchtigt. Auch ein barrierefreier Ein- und Ausstieg in die Tram zwischen parkenden Fahrzeugen ist nahezu unmöglich. Die Kastanienallee steht unter Denkmalschutz, eine Verarbeitung historischer Materialien ist damit Pflicht. Das bisherige Bild des Gehweges dürfte sich also wenig verändern.
Tacheles
Der Trägerverein des Tacheles musste im vergangenen Jahr Insolvenz anmelden. Eigentümer und Investoren wollen das Haus räumen lassen und das Gelände in einer Zwangsversteigerung verkaufen. Für mich und die SPD-Berlin ist klar: Das Tacheles muss bleiben! Bei meinen Besuchen im Tacheles und in persönlichen Gesprächen mit den Mitgliedern der Tacheles-Familie wurde schnell klar, dass es ein überzeugendes Konzept gibt, um das Tacheles wirtschaftlich zu betreiben. Jetzt geht es darum, eine Lösung zu finden, die das Tacheles als einmaligen Kunst- und Kulturstandort in Berlin-Mitte und die dortigen Arbeitsplätze erhält. Dafür werde ich mich weiterhin in Zusammenarbeit mit der Bezirks- und Landespolitik mit ganzem Herzen einsetzen.
Spreeufer
Im Fall der Bebauung des Spreeufers in Friedrichshain-Kreuzberg ("Mediaspree") lautet der Kompromissvorschlag der Bezirksverordneten-Versammlung, dass auf beiden Seiten der Spree eine durchgängige Uferpromenade entstehen soll und auf den Bau von Hochhäusern auf Kreuzberger Seite sowie auf das vorgesehene Hochhaus auf dem Friedrichshainer Osthafengelände verzichtet werden soll. Die Forderungen des Bürgerbegehrens der Initiative "Mediaspree versenken" (50 Meter Abstand, keine Hochhäuser) soll das Bezirksamt nur insoweit verfolgen, wie dadurch keine Entschädigungen an die Eigentümer zu leisten sind. Ich halte dies für einen guten Kompromiss zumal bei Regressforderungen an den Bezirk auch die Finanzierung sozialer Projekte bedroht ist.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass man immer wieder einzeln prüfen muss, wie die Bedingungen vor Ort aussehen. Eine pauschale Antwort der Politik kann es nicht geben. Nicht jede Maximalförderung lässt sich umsetzen und manche Veränderungen können auch positive Perspektiven eröffnen. Nicht jede Strandbar, die in einem Reiseführer erwähnt wird, muss automatisch unter Bestandsschutz gestellt werden, gleichzeitig ist nicht jedes Investitionsprojekt automatisch zu begrüßen. Einen allgemeinen Ausverkauf des kreativen Berlins kann ich bisher nicht feststellen und ich werde weiterhin genau darauf achten, dass die Interessen aller Bürgerinnen und Bürger Berlins gewahrt bleiben.
Mit freundlichen Grüßen
Eva Högl