Frage an Eva Högl von Michael K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Dr. Högl,
es fällt auf, dass das Bundesverfassungsgericht immer häufiger Gesetze für verfassungswidrig erklärt. Sitzen zu viele Verfassungsfeinde in Regierung, Parlament und Bundesbehörden oder woran liegt das? Sollte das Bundesverfassungsgericht den Grundsatz des judicial self restraint stärker beachten?
Haben die Abgeordneten ausreichend Zugriff auf fundierte wissenschaftliche Beratung (wie zum Beispiel den wissenschaftlichen Dienst des BT) oder wird hieraus von Abgeordneten verzichtet, weil diese ohnehin nach Fraktionsdisziplin abstimmen?
Meinen Sie nicht, dass durch die oben beschriebene Tendenz die Autorität der Legislative beschädigt wird und aus diesem Grunde dringender Handlungsbedarf besteht?
Welche konkreten Möglichkeiten sehen Sie um hier Abhilfe zu schaffen?
Für Ihre Rückantwort darf ich mich bereits im Voraus bedanken und verbleibe,
Mit freundlichen Grüßen
Michael Krause
Sehr geehrter Herr Krause,
vielen Dank für Ihre Frage. Wenn das Bundesverfassungsgericht zu politisch umstrittenen Themen einer Klägerin oder einem Kläger Recht gibt, mag es so erscheinen, als ob mehr und mehr Gesetze in Karlsruhe gestoppt werden. Dieser Eindruck liegt daran, dass über die Klagegegenstände, die in der öffentlichen Diskussion stehen, von den Medien entsprechend häufig berichtet wird.
Tatsächlich hat sich die Zahl der erfolgreichen Klagen langfristig kaum verändert; in den letzten fünf Jahren ist sie sogar leicht gesunken. Weniger als zwei Prozent aller dort angenommenen Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht haben Erfolg.
Dass dennoch manche Gesetze vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern, liegt nicht an der bewussten Missachtung des Grundgesetzes. Vielmehr gehört es zum politischen Alltag, dass sich z.B. Regierung und Opposition über den Spielraum, den ihnen die Verfassung gibt, uneins sind. Im Zweifel muss dann eben das Bundesverfassungsgericht Grenzen ziehen.
Dass es dabei nach Möglichkeit vermeidet, selbst in die Tagespolitik einzugreifen und sich auf die Prüfung am Maßstab des Verfassungsrechts beschränkt, ist gute Tradition des Gerichts und hat maßgeblich zu seiner breiten Akzeptanz in Politik und Gesellschaft beigetragen.
Auch wenn mir die Arbeit der derzeitigen Regierung in vielen Punkten nicht behagt, so möchte ich an dieser Stelle doch all diejenigen Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag in Schutz nehmen, die gründliche und engagierte Arbeit leisten. Und das sind mit Abstand die meisten, unabhängig von ihrer Partei- oder Fraktionszugehörigkeit. Der Sachverstand ist sowohl im Verwaltungsapparat vorhanden als auch für Abgeordnete zugänglich, etwa über den von Ihnen erwähnten wissenschaftlichen Dienst des Bundestages. Aus eigener Erfahrung kann ich Ihnen sagen, dass auf dessen Nutzung auch keineswegs verzichtet wird, da ich verantwortungsvolle Entscheidungen als Bundestagsabgeordnete nicht ohne fundierte Informationen treffen kann. Davon befreit mich auch keine Fraktionsdisziplin, zumal fraktionsintern abgestimmten Entscheidungen offene und intensive Sachdiskussionen vorausgehen.
Ich sehe daher im Ergebnis keine Beschädigung des Parlaments. Es bleibt jeder Regierung überlassen, Politik so gut wie möglich zu gestalten. Und jeder Opposition, diese zu kontrollieren. Daran müssen sich alle Parlamentarierinnen und Parlamentarier messen lassen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Eva Högl