Wie sind Waffenlieferungen an Israel, angesichts dessen Nahost-Politik, mit dem Amtseid des Bundeskanzlers und der Bundesminister:innen (Art. 56, 64 II GG) vereinbar?
Sehr geehrter Herr Limbacher,
besagter Amtseid verpflichtet zur Wahrung des Grundgesetzes und der Gesetze des Bundes. Hierzu zählt im Wege des Art. 25 GG auch das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Demnach darf die Bundesregierung keine Waffenexporte genehmigen, die Beihilfe zu Verletzungen dieses Rechts oder der Menschenwürde leisten. Teils stimmt sie selbst namenhaften Auffassungen zu, wonach die israelische Politik im Westjordanland das palästinensische Selbstbestimmungsrecht verletzt. Eindeutig belegt ist, dass dessen Kriegsführung in Gaza unverhältnismäßige zivile Opfer fordert, bis hin zu menschenunwürdigen Zuständen (Mangel an Nahrung und medizinischer Versorgung).
Quellen in Sachen Art. 25 GG, Völkerrecht und Westjordanland:
Deutscher Bundestag, Wissenschaftlicher Dienst (WD 3 - 3000 - 020/16)
Rechtsgutachten des IGH, 19.07.2024 (dazu auch Ministerin Bearbock am 22.07.2024)
Liegt es nicht in israelischer Hand selbst, das Völkerrecht zu achten, um unterstützt werden zu können?
Sehr geehrter Herr B.,
vielen Dank für Ihre Anfrage.
Die Sicherheit Israels als Heimstätte für das jüdische Volk ist deutsche Staatsräson. Dies ist eine zentrale Lehre aus den deutschen Verbrechen des Zweiten Weltkriegs. Nie wieder darf es eine Welt geben, in der Jüdinnen und Juden keinen Zufluchtsort vor Antisemitismus und systematischer Gewalt finden können. Nach dem barbarischen Massaker der Hamas hat Israel das im Völkerrecht verankerte Recht, sich und seine Bürger zu verteidigen und die Sicherheit in und für Israel im Rahmen des humanitären Völkerrechts wiederherzustellen. Das hat Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung am 12. Oktober 2023 vor dem Deutschen Bundestag zurecht festgestellt.
Israel kann jedoch nur in Sicherheit leben, wenn auch die Palästinenser in Sicherheit leben. Dazu braucht es einen funktionsfähigen palästinensischen Staat. Militärische Stärke allein wird Israel keinen Frieden bringen, es braucht eine politische Lösung des Konflikts. Auch wenn das heute weiter entfernt scheint, denn je, müssen wir an die Zeit nach dem Krieg denken. Wir brauchen sowohl eine langfristige Perspektive für den Nahen und Mittleren Osten als Ganzes als auch für den Gaza-Streifen. Auch das trägt zu Israels Sicherheit bei.
Dafür betreibt Deutschland große diplomatische Anstrengungen in der Region und spricht mit all seinen Partnern vor Ort. Neben der Bundesaußenministerin waren seit dem 7. Oktober auch der Bundespräsident, der Bundeskanzler, die Bundestagspräsidentin und die Entwicklungsministerin mehrmals vor Ort.
Wir tun alles, um Gesprächskanäle zu öffnen und gemeinsam mit unseren Partnern, wie den USA nach Lösungen zu suchen. Israelis und Palästinenser müssen eines Tages Seite an Seite und ohne Terror auf der Grundlage einer verhandelten Zwei-Staaten-Lösung leben können. Den Menschen muss ein Leben in Sicherheit, Freiheit, Würde und mit gleichen Rechten ermöglicht werden.
Die aus der Staatsräson entstehende, unerschütterliche Verbindung und Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel umfasst auch militärische Unterstützung. Deshalb hat Deutschland auch nach dem 7. Oktober Waffen geliefert.
Die Anträge auf Exportgenehmigungen werden innerhalb der Bundesregierung von verschiedenen Ministerien geprüft. Die Anforderungen, die sich die Bundesregierung auferlegt hat, sind strenger als die im Völkerrecht vorgesehenen. Im Zusammenhang mit der Klage Nicaraguas hat die deutsche Delegation im April 2023 vor dem IGH aufgeführt, dass 98 % der nach dem 7. Oktober 2023 erteilten Genehmigungen keine Kriegswaffen betreffen, sondern andere militärische Ausrüstung. 25 Prozent dieser militärischen Ausrüstung sind für eine spätere Wiedereinfuhr zur Verwendung durch die Bundeswehr bestimmt.
Zudem stammen zwei Drittel der Anträge aus der Zeit vor dem 7. Oktober 2023. Die vorliegenden Anträge wurden nach dem 7. Oktober 2023 priorisiert, sodass 80 Prozent der gesamten Waffenlieferungen 2023 im Oktober genehmigt wurden.
Tatsächlich wurden seit Oktober 2023 nur vier Genehmigungen für Kriegswaffen erteilt, von denen drei Test- oder Übungsausrüstung betreffen. Die letzte Genehmigung betrifft ein U-Boot, das noch nicht für den Export zugelassen ist.
Israel muss bei seinem Vorgehen gegen die Hamas und die Hisbollah die Verhältnismäßigkeit wahren. In jedem Konflikt sind die Regeln des humanitären Völkerrechts zu achten, das militärische Notwendigkeiten anerkennt, gleichzeitig aber den bestmöglichen Schutz der Zivilbevölkerung aller Konfliktparteien, selbst noch im bewaffneten Konflikt, zum Ziel hat. Vorwürfe, nach denen humanitäres Völkerrecht verletzt oder Kriegsverbrechen begangen wurden, müssen juristisch aufgearbeitet werden.
Mit freundlichen Grüßen
Esra Limbacher