Frage an Ernst Dieter Rossmann von Heike R. bezüglich Soziale Sicherung
Zitat Abraham Lincoln "Man macht die Armen nicht reich, wenn man die Reichen arm macht"
Sehr geehrter Herr Dr.Rossmann,
Sie fordern eine neue Solidarität der "Reichen" mit den "Armen", also eine Umverteilung. Ich glaube, die "Reichen" tragen schon jetzt 80% der Steuern aus Einkommenssteurer, erhalten bei der Umverteilung aber nur einen verschwindend geringen Teil zurück.
Meine Fragen an Sie:
1. Ab welchem Einkommen zählt man für die SPD als reich?, Weshalb sind die Einkommenssteuern für kleine und mittlere Einkommen so unerträglich hoch, wenn man doch nicht reich ist ? Kohl bezeichnete Anfang der neunziger eine Staatsquote ab 50% als Staatskommunismus.
2. Wird mittlererweile der Begriff Solidarität nicht missbraucht für alles, wo aufgrund falscher Politik Geld fehlt? Der Solidarbeitrag hat doch real auch nur noch mit Stopfen von ostdeutschen Haushaltslöchern zu tun. In der GKV wird ständig von Solidargemeinschaft geredet, aber die Mitglieder der PKV (die Reichen?) wurden von Frau Schmidt (SPD) und deren "Reform" ausgenommen von der Solidarität.
Ich für meine Person muss zusehen, dass ich selbst über die Runden kommen, mir bleibt nichts mehr übrig für "Solidarität", wenn diese zum Pseudonym für ungelöste Probleme verkommt.
3. Was meinen Sie, hat sich meine Mutter über die beschlossene Rentenerhöhung gefreut, sie erhält 1,89 Euro mehr? Sie hat keine Freude, dafür totale Wut auf diese "Verhöhnung" der Rentner durch Politiker. Sie wird garantiert keine der Regierungsparteien mehr wählen. Sie hätten diese "Erhöhung" lieber ganz lassen sollen, es ist an Peinlichkeit nicht zu übertreffen.
Meine Frage ist, die Rentenerhöhungen sind an die Nettolohnentwicklung gekoppelt. Werden zu dieser Nettolohnentwicklung auch die nichtsozialversicherungs-pflichtigen 400,- € und 1€ Jobs gerechnet, die rasant zunehmen?
Mit freundlichem Gruß
Sylke Grabowsky
Sehr geehrte Frau Grabowsky
vielen Dank für Ihre Fragen zur sozialen Lage in Deutschland. Sie sprechen viele verschiedene Aspekte der Sozial- und Steuerpolitik an. Bitte haben Sie dafür Verständnis, dass ich diese komplexen Fragestellungen jeweils gerne im Zusammenhang erörtern möchte.
1. Durch den aktuellen Armuts- und Reichtumsbericht ist wieder einmal deutlich geworden, dass die Ungleichverteilung von Einkommen und insbesondere Vermögen leider deutlich gewachsen ist. Deutschland vollzieht hier eine Entwicklung, die wir auch aus den anderen westlichen Industriestaaten kennen. Alleine die skandinavischen Ökonomien konnten sich der großen und wachsenden Schere im Vermögensbesitz und bei den Einkommen bisher noch relativ stark widersetzen. Dies hat entscheidend damit zu tun, dass in den skandinavischen Ländern eine starke Verankerung und gesellschaftliche Wertschätzung des Sozialstaates besteht. Darüber hinaus ist dort bei der Bevölkerungsmehrheit eine hohe Bereitschaft vorhanden, Steuern zu zahlen und insbesondere im Dienste des Gemeinwohls große Einkommen zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben heranzuziehen.
In Deutschland hat es hierzu unter der rot-grünen Regierungsmehrheit einige Entscheidungen gegeben, die dazu beigetragen haben, dass auch die kleinen Einkommensbezieher zu einem besseren Einkommen kommen konnten: So wurde der Grundfreibetrag erhöht und der Eingangssteuersatz gesenkt. Leider sind gleichzeitig auch die Spitzensteuersätze deutlich abgesenkt worden. Ich habe dieses nicht für vorrangig und in der vollzogenen Form auch für eine Fehlentwicklung gehalten und tue dies immer noch.
Sie schreiben, dass die "Reichen" schon 80% des Einkommensteueraufkommens tragen. Das stimmt nur in der Tendenz. Im Armuts- und Reichtumsbericht steht, dass die reichsten 10% der Einkommensteuerpflichtigen in der Bevölkerung ca. 52% des Einkommensteueraufkommens tragen (nur 8,8% der Bevölkerung sind laut Armuts- und Reichtumsbericht reich). Ich sehe nichts Verwerfliches dabei, denn das Prinzip "starke Schultern tragen mehr als schwache Schultern" finde ich richtig.
Sie sprechen die Staatsquote, also die Kennziffer der Haushaltsausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden sowie der gesetzlichen Sozialversicherungen an. In Deutschland lag diese im Jahr 2005 bei 46,8 % und damit im europäischen Mittelfeld, Länder mit vergleichbaren Sozialsystemen wie Frankreich und Österreich lagen dabei bei 53,8 bzw. 49,9 %. Die sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaaten Skandinaviens haben zum Teil höhere Staatsquoten, Schweden z.B. 56,3 %. Letztlich muss sich eine Gesellschaft darauf verständigen, welche Aufgaben staatlich und welche privat wahrgenommen werden.
Wenn man der Meinung ist, dass man einen breit aufgestellten Sozialstaat haben möchte, wenn man möchte, dass die Systeme der sozialen Sicherung nicht privatisiert sein sollen, wenn man wichtige Güter der öffentlichen Daseinsvorsorge in staatlicher Hand haben möchte, wofür aus meiner Sicht einiges spricht, dann ist entsprechend auch die Staatsquote höher. Wenn man der Meinung ist, dass dies nicht notwendig ist und jeder privat für sich sorgen soll -- mit der Folge, dass sich eben viele Arme keine soziale Absicherung mehr leisten können -- dann ist entsprechend die Staatsquote niedriger, wie z.B. in den USA mit 33 %. Es gibt hier also keine allgemeinen Aussagen, dass eine niedrige Staatsquote gut ist. Was wichtig ist, ist die Verständigung darüber, welche gesellschaftlichen Aufgaben in staatlicher Verantwortung wahrgenommen werden sollen und welche nicht.
Als arm oder von Armut bedroht gilt, wer nur 60 % des durchschnittlichen Einkommens zur Verfügung hat. Das sind 781 Euro netto im Monat. Als reich gilt dagegen, wer mindestens über das Doppelte des durchschnittlichen Einkommens verfügt, also rund 3268 Euro im Monat, bei Familien entsprechend mehr. Das Problem ist hier im Kern ja aber nicht die Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen, sondern vor allem die darauf zurückzuführenden Unterschiede hinsichtlich ökonomischer und sozialer Teilhabe- und Verwirklichungschancen. Politik, die dazu beitragen will, Armut und soziale Ausgrenzung zu verhindern, kann sich daher nicht in der Sicherung von Grundbedürfnissen erschöpfen. Dauerhafte Abhängigkeit von staatlicher Fürsorge führt zur Verfestigung von Armut über Generationen hinweg und muss vermieden werden. Entscheidend ist es deshalb, den Betroffenen Angebote etwa für Betreuung, Bildung und Weiterbildung zu eröffnen und sie zu befähigen, mit einer angemessen entlohnten Erwerbstätigkeit so weit wie möglich vom Bezug von Transferleistungen unabhängig zu werden. Deshalb fordert die SPD u. a. einen gesetzlichen Mindestlohn.
2. Sie sprechen Solidarität als Grundmerkmal der Ausgestaltung eines Sozialstaats an. Gerade hinsichtlich des Gesundheitssystems kann ich Ihre Kritik an unserem derzeitigen System nachvollziehen. Gerade hier halte ich Solidarität für unverzichtbar. Gesunde sorgen für Kranke, Alleinstehende für Familien. Wer gut verdient, trägt dazu bei, dass auch Menschen mit geringem Einkommen die beste medizinische Versorgung bekommen. Denn Krankheit ist ein Lebensrisiko, das jeden treffen und das niemand alleine schultern kann. Solidarische Absicherung ist deshalb wichtig für alle. Leider ist es so, dass derzeit Besserverdienende sich dieser Solidarität entziehen, indem sie zu privaten Krankenversicherungen wechseln können. Das gleiche gilt für Selbstständige und Beamte.
Der medizinische Fortschritt und der veränderte Altersaufbau der Gesellschaft erfordern aber nicht weniger, sondern mehr Solidarität, aus der sich niemand ab einer bestimmten Einkommensgrenze verabschieden darf. Die SPD will deshalb die Krankenversicherung zu einer Bürgerversicherung weiterentwickeln. Dabei gilt: Jeder muss versichert sein. Auch Gutverdienende, Beamte, Selbständige und Politiker werden in die solidarische Krankenversicherung einbezogen. Jede Kasse muss jeden und jede ohne Ansehen des Risikos versichern, jeder zahlt entsprechend seiner Leistungsfähigkeit. Die Beiträge zur Bürgerversicherung richten sich wie bisher nach dem Einkommen -- bei Löhnen, Gehältern und Renten. Zukünftig werden auch Kapitalerträge zur Finanzierung herangezogen. So wird verhindert, dass sich so wie derzeit dem solidarischen System entziehen kann, wer gut verdient und gesund und jung ist. Mit der CDU ist dies leider nicht zu machen.
3. Zur Rentenerhöhung: Die Entwicklung der Inflationsrate, also der Teuerungsrate, bewegte sich in den vergangenen Jahren, von 2000 bis 2006, zwischen 1,1% und 2,0%. Dies sind nicht nur im internationalen Vergleich recht gute Werte, sondern auch verglichen mit denen zu Beginn der 1990er, 1980er und 1970er Jahren, die teilweise bei bis zu 7,0% lagen. Wir haben im vergangenen Jahr 2007 mit einer Inflationsrate von 2,2% die höchste Teuerungsrate seit 13 Jahren erlebt. Diese ist zwar im internationalen Vergleich nicht besorgniserregend hoch, trifft aber große Teile der Bevölkerung und ist in den Geldbeuteln spürbar.
So wie sämtliche Löhne und Gehälter unterliegen auch die Renten und sonstige Geldleistungen einem Realkaufkraftverlust. Liegen Tarifabschlüsse oder auch Rentenanpassungen unterhalb der Inflationsrate, tritt dieser ein. In den vergangenen drei Jahren konnten in fast keinem der Bereiche reale Kaufkraftgewinne verzeichnet werden. Für die Jahre 1999, 2002 und 2003 kann an dieser Stelle aber auch erwähnt werden, dass die Anpassungen der Rentenwerte zum Teil deutlich über der jährlichen Inflationsrate lagen.
Ihren Unmut kann ich nachvollziehen. Den Unmut derer, die in den vergangenen Jahren ebenfalls keine höheren Einnahmen erzielt haben, oder im Gegenteil sogar auf Teile ihres Einkommens verzichtet haben, allerdings auch. Vor allem die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben dazu beigetragen, dass die Wirtschaft wieder gute Zahlen vorweisen und Gewinne verzeichnen kann. Ohne Wenn und Aber liegt es nun vor allem an den Arbeitgebern, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch an dem Konjunkturaufschwung teilhaben zu lassen! Mit steigenden sozialversicherungspflichtigen Einkommen, steigen auch die Einnahmen der Rentenversicherung und eine entsprechende Anpassung des Rentenwertes kann vorgenommen werden.
Etwas anders formuliert könnte auch gesagt werden: Die Unternehmen stehen -- indirekt über die Löhne - auch gegenüber den Rentnerinnen und Rentnern in der Pflicht. Über höhere Löhne kann auch bei den Rentenempfängerinnen und Rentenempfängern das Zurückstecken der letzten Jahre mit einem höheren Rentenanpassungswert honoriert werden. Mit unserer Forderung nach Mindestlöhnen haben wir daher auch die Renten im Blick: Umso mehr die Menschen verdienen, desto mehr zahlen sie in die Rentenkasse ein und desto höhere Renten bekommen sie später. Denn aus nachvollziehbaren Gründen sind die Anpassungen der Renten an die durchschnittliche Entwicklung von Löhnen und Gehältern gekoppelt. Diese Koppelung sowie eine erweiterte Berechnungssystematik hätte in den vergangenen Jahren sogar zu Rentenkürzungen führen müssen. Darauf ist allerdings verzichtet worden. Die dadurch entstandenen Einnahmeausfälle hat der Bund ausgeglichen und der Rentenversicherung vorfinanziert.
Mit der nun anstehenden Rentenerhöhung sind wir noch ein Stück weiter gegangen: Um Rentnerinnen und Rentner an dem derzeitigen Aufschwung schneller teilhaben zu lassen, wird ein Teil der gesetzlich vorgeschriebenen Rentenberechnung ausgesetzt. Dadurch ist es möglich, eine Rentenerhöhung von 1,1% statt 0,46% vorzunehmen. Auch im kommenden Jahr werden wir so verfahren. Die Prognosen gehen zurzeit davon aus, dass es in diesem Jahr eine höhere durchschnittliche Lohnentwicklung geben wird. Entsprechend würde sich dies -- durch die nun getroffene Entscheidung -- in einer Rentenerhöhung um 2% auszahlen.
Sie sprechen die Funktionsweise der Rentenanpassung an. Die Anpassung richtet sich nach der Entwicklung der Brutto-Durchschnittseinkommen. Der geringe Anstieg der Bruttolöhne im letzten Jahr macht aber vor allem deutlich, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern trotz guter Konjunktur und steigender Beschäftigung nur unzureichend ihre Einkommensposition verbessern konnten; insbesondere die Zunahme des Niedriglohnbereiches (hierzu zählen auch die Minijobs) führt dazu, dass die Bruttoentgelte gering angestiegen und deshalb keine höhere Anpassung nach der Rentenanpassungsformel möglich gewesen wäre. Die sog. "1-Euro-Jobs" zählen hierzu aber nicht, da sie ja keine Beschäftigungsverhältnisse, sondern "Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung" sind. Es ist daher notwendig, dass endlich flächendeckende Mindestlöhne in allen Branchen erreicht werden, damit diese Beschäftigten nicht nur höhere eigene Rentenanwartschaften erwerben und von ihrer Arbeit auch gut leben können, sondern auch die dämpfende Wirkung niedriger Löhne bei den Rentenanpassungen korrigiert wird.
Ich hoffe, ich konnte damit Ihre Fragen beantworten.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Ernst Dieter Rossmann, MdB