Frage an Ernst Dieter Rossmann von Oliver K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Dr. Rossmann,
können Sie mir - ohne zu weite Umwege zu machen - ihre Haltung zum Thema Vorratsdatenspeicherung deutlich machen? Finden Sie einen so weitreichenden Eingriff in die Bürgerrechte (schlussendlich sind Sie auch ein Bürger dieser Republik) gerechtfertigt, um vermeintliche (auch gerne verwendet: "abstrakt" etc) "Terrorgefahren" zu bekämpfen? Wie passt die Generalüberwachung von ca. 80 Millionen Menschen in ein freiheitlich demokratisches Staatskonzept? Und was mich ganz besonders interessieren würde: Wie sollen Umgehungsmaßnahmen von potentiellen Gefährdern (durch Nutzung ausländischer Mobilfunkverträge, ausländische Email-Dienste etc.) verhindert werden, die schlussendlich die gesamte Datenspeicherung konterkarrieren würden? Finden Sie es gerechtfertigt, wenn auf meinem (oder ihrem) Computer HEIMLICH Untersuchungen durch Nachrichtendienste oder mir nicht bekannte weitere Institutionen vorgenommen werden würden? Ich habe durchaus Dinge, die ich auf meinem Computer speichere - private Tagebücher, Fotos, Geschäftsdokumente - die nicht für die Augen von anderen bestimmt sind, auch nicht für Behörden o.ä. Institutionen.
Vielen Dank für ihre Antwort.
Sehr geehrter Herr Klinck,
vielen Dank für Ihre E-Mail vom 01.07.07 über das Portal abgeordnetenwatch.de, in der Sie mich nach meiner Haltung zur Vorratsdatenspeicherung fragen. Ich muss gestehen, dass ich in diesen Dingen kein Fachmann bin. Ich habe mich jedoch bei meinem Kollegen und Experten Jörg Tauss, mit dem ich sehr eng zusammen arbeite, erkundigt und teile seine Meinung, die diesbezüglich etwas kritischer ist als die der Rechtspolitiker in meiner Fraktion.
Gestatten Sie mir bitte noch einmal festzustellen, dass auch ich die Verpflichtung der Telekommunikationsanbieter zur Vorratsdatenspeicherung nach wie vor kritisch sehe. Das fängt schon bei der Wahl der Rechtsgrundlage an. Nachdem zunächst Frankreich, Irland, Schweden und Großbritannien zur Umsetzung eines Auftrags des Europäischen Rates vom 25. März 2004 und dem 28. April 2004 den Entwurf eines Rahmenbeschlusses zur Einführung EU-weit einheitlicher Mindestspeicherungspflichten für Telekommunikationsverkehrsdaten auf Grundlage der Artikel 31 und 34 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) vorgelegt hatten und dieser in der Folgezeit von allen befassten Ratsgremien wiederholt kontrovers beraten worden war, legte die Europäische Kommission am 21. September 2005 den Vorschlag für eine entsprechende Richtlinie nach Artikel 95 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) vor. Nach Auffassung der Kommission, die von den Juristischen Diensten des Rates und des Europäischen Parlaments geteilt wurde, sei eine tragfähige Rechtsgrundlage für ein Instrument zur Einführung EU-weit einheitlicher Speicherungsfristen und zur Bestimmung der zu speichernden Datentypen in der "Dritten Säule" nicht gegeben. Die Einführung entsprechender Speicherungspflichten sei vielmehr eine gemeinschaftsrechtliche Angelegenheit und daher durch ein Instrument der "Ersten Säule" zu regeln, in der es durch die Richtlinie 2002/58/EG bereits Regelungen über den Umgang mit Telekommunikationsverkehrsdaten gibt.
In der Folgezeit führte die damalige britische Ratspräsidentschaft -- unbeschadet der weiterhin offenen Rechtsgrundlagenfrage -- Gespräche mit Vertretern des Europäischen Parlaments, um festzustellen, ob eine Einigung über eine Richtlinie im Verfahren der Mitentscheidung des Europäischen Parlaments nach Artikel 251 EGV zu erreichen ist. Die EU-Justizminister einigten sich am 2. Dezember 2005 mit qualifizierter Mehrheit auf einen Richtlinientext, der die wichtigsten Forderungen Deutschlands berücksichtigt. Der Richtlinientext sieht die Einführung einer Speicherungspflicht für Telekommunikationsverkehrsdaten für einen Zeitraum von mindestens 6 und höchstens 24 Monaten vor, verzichtet hierbei aber auf die Einbeziehung der -- kostenintensiven -- Speicherung von Standortdaten am Ende einer Mobilfunkverbindung sowie von erfolglosen Anrufversuchen. Der zwischenzeitlich vom Europäischen Parlament angenommene Beschluss vom 14. Dezember 2005 entspricht diesem Ratskompromiss.
Der Deutsche Bundestag hat bereits in seiner Entschließung vom Januar 2005 deutlich gemacht, dass er die Rechtsgrundlage für eine Regelung zur Vorratsdatenspeicherung in einem Rahmenbeschluss und damit in der "Dritten Säule" (EUV) sieht. Dass sich die nun geplante Maßnahme auf Artikel 95 EGV, d. h. auf die "Erste Säule" stützt, begegnet nach wie vor Bedenken, weil Artikel 95 EGV an sich der Sicherstellung des Funktionierens des Binnenmarktes dient, während die Richtlinie primär Strafverfolgungsinteressen verfolgt.
Die nun beschlossene Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung muss bis Herbst 2007 umgesetzt werden. In Deutschland werden hierfür im Hinblick auf die Begründung einer Speicherungspflicht und die Festlegung der zu speichernden Datenarten im Wesentlichen Anpassungen im Telekommunikationsgesetz erforderlich werden. Dabei wird darauf zu achten sein, dass sowohl den berechtigten Interessen an einer wirksamen Strafverfolgung als auch dem effektiven Schutz der Grundrechte in ausgewogener Weise Rechnung getragen wird.
Die SPD-Bundestagsfraktion nimmt sowohl ihre Verantwortung für eine wirksame Kriminalitätsbekämpfung als auch ihre Verpflichtung für Bürgerrechte ernst. Sie hat ihren Vorbehalt gegen die EU-Regelung zur "Vorratsdatenspeicherung" erst aufgegeben, nachdem die Bundesregierung in Brüssel einen tragbaren Kompromiss erzielt hat, dem letztlich auch das Europäische Parlament zustimmte. Der deutschen Regierung ist es auf europäischer Ebene gelungen, die "Vorratsdatenspeicherung" auf das zu reduzieren, was zur Bekämpfung von Terrorismus und Kriminalität tatsächlich erforderlich und angemessen ist.
Beim Internet wird schließlich lediglich gespeichert, dass sich der Nutzer online befindet. Es werden ebenfalls Daten zur Internettelefonie und bezüglich der E-Mail-Dienste gespeichert. Inhalte, wie immer behauptet wird, also auch Informationen, welche Websites benutzt werden, werden auch hier nicht gespeichert. Denn Daten, die Aufschluss über den Inhalt einer Kommunikation (z.B. E-Mail oder Telefongespräch oder Seiten, die ein Nutzer aufgerufen hat) geben, dürfen nach der Richtlinie nicht gespeichert werden.
Die Große Koalition hat sich nach intensiven Beratungen auf einen Kompromiss bezüglich der Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung verständigt und die Kernforderungen in einem Antrag "Speicherung mit Augenmaß -- Effektive Strafverfolgung und Grundrechtswahrung" BT-Drs. 16/545) in den Deutschen Bundestag eingebracht.
Dennoch ist und bleibt es unbestritten, dass die Einführung gesetzlicher Speicherungspflichten für Telekommunikationsverkehrsdaten in die Grundrechte sowohl der Nutzer als auch der Anbieter von Telekommunikationsdiensten eingreift; konkret betroffen hiervon sind das Fernmeldegeheimnis nach Artikel 10 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) und die Freiheit der Berufsausübung nach Artikel 12 Abs. 1 GG. Die Abfrage der gespeicherten Daten kann zudem weitere Grundrechte, wie etwa die Presse- und Rundfunkfreiheit nach Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG berühren. Betroffen sein können zudem Zeugnisverweigerungsrechte bestimmter Berufsgruppen, beispielsweise von Anwälten und Seelsorgern. Die Grundrechte und auch die Zeugnisverweigerungsrechte sind in einem freiheitlichen demokratischen Gemeinwesen von besonders großer Bedeutung. Eingriffe in diese Grundrechte, von denen zahlreiche Personen betroffen werden, die in keiner Beziehung zu einem konkreten Tatvorwurf stehen und den Eingriff durch ihr Verhalten nicht veranlasst haben, sind besonders schwerwiegend und bedürfen deshalb einer besonderen Rechtfertigung. Das gilt erst recht für das Vorhaben einer solch weitreichenden verdachtsunabhängigen Speicherung von Kommunikationsdaten auf Vorrat.
Zu beachten ist dabei, dass die Telekommunikationsverkehrsdaten bei den jeweiligen Telekommunikationsdienstleistern gespeichert werden, ein Zugriff z.B. von Strafverfolgungsbehörden auf die so gespeicherten Daten jedoch voraussetzt, dass die nach jetzt bereits geltendem Recht erforderlichen Voraussetzungen vorliegen, mithin ein richterlicher Beschluss vorab erwirkt werden muss. Zu überprüfen wird aber im parlamentarischen Verfahren bei der Umsetzung der Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung sein, ob die rechtsstaatlichen Garantien (Richtervorbehalt, Beschränkung auf Straftaten von erheblicher Bedeutung, Verwertungsverbot bei Zeugnisverweigerungsrechten, etc.) zur Wahrung der o.g. Grundrechte und der Berufsgeheimnisse ausreichen oder ob hier gegebenenfalls Korrekturbedarf besteht. Gegenwärtig wird so beispielsweise - auch im Rahmen der Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung - diskutiert, ob und inwieweit die rechtlichen Voraussetzungen für den Zugriff der staatlichen Behörden auf diese Daten bei Trägern von Zeugnisverweigerungsrechten überarbeitet werden müssen. Das würde beispielsweise bedeuten, dass - wenn von entsprechende Ermittlungsmaßnahmen, also beispielsweise durch den Zugriff auf TK-Verkehrsdaten, Personen betroffen wären, welche sich auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen können und dadurch voraussichtlich Erkenntnisse erlangt würden, über die diese Person das Zeugnis verweigern dürfte - die Ermittlungsmaßnahme unzulässig wäre und die dennoch erlangten Erkenntnisse im Strafverfahren nicht verwertet werden. Dies betrifft beispielsweise Journalisten, Geistliche in ihrer Eigenschaft als Seelsorger oder auch Anwälte und Strafverteidiger.
Die Richtlinie enthält Vorgaben für Regelungen zum Datenschutz und zur Datensicherheit, die mit Sanktionen bewehrt werden müssen. Die Sanktionen sollen insbesondere einen unbefugten Zugriff oder Umgang mit den Daten verhindern und die Einhaltung der Datenschutzbestimmungen sichern.
Keine Alternative zur " Vorratsdatenspeicherung " ist das sog. "quick freeze"-Verfahren. So können mit diesem Verfahren etwa "Phishing-Mail"-Fälle zumeist nicht verfolgt werden. Phishing-Mails sind fingierte E-Mails, welche als vermeintliche Absender z.B. Deutsche Bank, Commerzbank und Raiffeisen-Volksbank ausweisen. Mit diesen E-Mails wird nach den persönlichen Daten wie PIN und TAN gefragt. Darauf fallen Leute rein. Die Täter sind nicht identifizierbar, weil sie dynamische IP-Adressen und Pauschaltarife benutzen, bei denen die wichtigen Verkehrsdaten heute nicht gespeichert werden dürfen.
Ich werde mich schließlich im parlamentarischen Verfahren dafür einsetzen, dass die Umsetzung und Anwendung der Vorratsdatenspeicherung auf das reduziert wird, was zur Bekämpfung von Terrorismus und Kriminalität tatsächlich erforderlich und angemessen ist. Wie schon auf europäischer Ebene müssen wir auch auf nationaler Ebene bei der Umsetzung der Richtlinie den sachgerechten Interessenausgleich zwischen den Freiheitsrechten der Bürgerinnen und Bürger und dem Interesse an einer effektiven Strafverfolgung im Blick behalten und für eine Speicherung mit Augenmaß sorgen.
Gestatten Sie mir am Schluss noch eine kurze Anmerkung zu der ebenfalls von vielen Bürgerinnen und Bürgern angesprochenen Frage der verdeckten Online-Durchsuchungen. Der Bundesgerichthof hat eindeutig entschieden, dass verdeckte Online-Durchsuchungen rechtlich unzulässig sind und es an einer gesetzlichen Grundlage für einen solchen Eingriff mangele. Derartige verdeckte Ermittlungen, die ohne Wissen des Betroffenen durchgeführt werden sollen, bedürfen sehr hoher formeller und materieller Anforderungen -- vergleichbar mit der Überwachung der Telekommunikation oder der akustischen Wohnraumüberwachung. Nur so kann das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sowie das verfassungsrechtlich garantierte Recht auf unbeobachtete Kommunikation gewährleistet bleiben. Aus datenschutz- und persönlichkeitsrechtlicher Perspektive wäre eine Änderung der Strafprozessordnung nur dann hinnehmbar, wenn dabei mindestens derselbe Schutz für den Kernbereich der privaten Lebensführung gewahrt bleibt, wie ihn das Verfassungsgericht bereits beim großen Lauschangriff vorgegeben hat. Ich setze mich daher dafür ein, dass der Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung bei der angestrebten Online-Durchsuchung ebenso wie bei allen anderen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen gewahrt bleibt.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Ernst Dieter Rossmann, MdB