Frage an Erich Utz von Stefan L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Utz,
wie erklären Sie sich persönlich den starken Zulauf rechter Parteien, deren Programm sich bereits nach oberflächlicher Studie als inkonsistent und gesellschaftsfeindlich herausstellt? Ist nationalsozialistisches Gedankengut wieder ein fester Bestandteil unserer Gesellschaft, oder basiert dieser Zulauf viel mehr auf Resignation und Uninformiertheit? Falls Zweiteres, wie kann man auf dieser Basis für noch mehr direkter Bürgermitbestimmung in Form von Volksentscheide plädieren, wenn doch ein immer größer werdender Teil der Bevölkerung ein ums andere Mal beweist, dass sie nicht in der Lage ist, dieser großen Verantwortung gerecht zu werden?
Sehr geehrter Herr L.,
ich teile Ihre Einschätzung, dass die Programme rechter Parteien inkonsistent und gesellschaftsfeindlich sind bzw. auch gar keine schlüssigen Antworten oder Vorschläge für die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen enthalten. Doch die wenigsten Wählerinnen und Wähler – insbesondere rechter Parteien – befassen sich mit deren Programmatik. Was zählt, ist ein Protestgestus, das Schüren von Vorurteilen, Ressentiments und Hass. Wie das funktioniert, sieht man aktuell bei der AfD. Wogegen die AfD ist, ist bekannt: gegen Geflüchtete, Menschen mit Migrations-Hintergrund und Muslime, gegen gleiche Rechte für Frauen und Homosexuelle, gegen die Erinnerung an die NS-Vergangenheit etc. Menschen, die darauf „anspringen“, haben – so sehe ich das – sehr verschiedene Motive: Da sind Unsicherheit und Unbehagen, gespeist aus der Sorge um Wohlstandsverluste, das Gefühl der subjektiven Benachteiligung, Zukunftspessimismus und kulturelle Entfremdungsgefühle. Aus der Wahlforschung ist bekannt, dass der typische AfD-Wähler über einen eher überdurchschnittlichen sozialen Status und kein geringes Einkommen verfügt. Er gehört oftmals zur gehobenen Mittelschicht und fühlt sich zwischen unten und oben zerrieben. Ich habe den Eindruck, dass nicht nur bei uns, sondern auch in anderen europäischen Ländern, in den USA etc. rechtes, nazistisches Gedankengut an Einfluss gewinnt. Daraus ziehe ich aber nicht den Schluss, dass wir auf demokratische Mitbestimmung und Ausbau der Volksgesetzgebung verzichten sollten. Denn was wäre die Alternative? Einschränkung der Mitbestimmungsrechte bis hin zur Diktatur? Meines Erachtens kommt es darauf an, möglichst viele Menschen dafür zu gewinnen, sich demokratisch zu engagieren und rechte Hetze im öffentlichen Diskurs zurückzudrängen.
Volksgesetzgebung heißt deshalb für mich und meine Partei: das Recht der Bürgerinnen und Bürger, sich an politischen Entscheidungen zu beteiligen. Wir wollen weg von einer Zuschauerdemokratie hin zu einer Kultur der Beteiligung und des Dialogs. Denn nur wo sich Bürgerinnen und Bürger einbringen, wo sie mitreden und mitentscheiden können, kann eine Demokratie auf Dauer funktionieren und können rechte Ideologien zurückgedrängt werden.
Wir wollen auch auf Bundesebene eine dreistufige Volksgesetzgebung – unsere Fraktion im Bundestag hat dazu schon mehrfach einen Gesetzesentwurf eingebracht:
• Gesetzesvorlagen und Gegenstände der politischen Willensbildung können
durch eine Volksinitiative von 100.000 Wahlberechtigten beim Deutschen
Bundestag eingereicht werden.
• Für den 2. Schritt - dem Volksbegehren - bedarf es einer Zustimmung
von 1 Million Wahlberechtigten innerhalb von 6 Monaten (2 Millionen bei
Grundgesetzänderung).
• Entspricht der Deutsche Bundestag nicht innerhalb einer Frist von drei Monaten dem Volksbegehren, so findet ein Volksentscheid statt, über den die Bürgerinnen und Bürger abstimmen und der bei Erfolg, das heißt Mehrheit der abgegebenen Stimmen, auch für den Bundestag bindend ist. Wie Sie sehen, wollen wir keinen voraussetzungslosen Volksentscheid, sondern er ist Ergebnis eines längeren demokratischen Prozesses. Ich denke, dass nur so die Chance besteht, rechtem Populismus erfolgreich etwas entgegenzusetzen.
Mit freundlichem Gruß
Erich Utz