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Edith Sitzmann
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Frage von Lara M. •

Frage an Edith Sitzmann von Lara M. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrte Frau Sitzmann,

seitdem der Fall der Zwickauer Neonazis durch die Medien geht, wird wieder verstärkt über das Problem des Rechtsextremismus in Deutschland nachgedacht. Die Neonazis aus Zwickau waren Mitglieder der rechten Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“. Sie lebten wie ganz gewöhnliche Menschen haben dabei aber grausame Morde gegen ausländische Mitbürger geplant und auch durchgeführt.
Ich denke, dass dieser Fall zeigt, dass der Rechtsextremismus auch heute noch ein Problem in Deutschland darstellt. 2001 scheiterte der Versuch die Nationaldemokratische Partei Deutschland (NPD) zu verbieten. Jetzt ist ein NPD-Verbot , als eine Maßnahme den Rechtsextremismus zu stoppen, erneut im Gespräch.
Mich würde interessieren, wie sie, bzw. ihre Partei das Bündnis der Grünen, zu dem Problem des Rechtsextremismus in Deutschland stehen. Denken sie, dass ein Verbot der NPD möglich ist? Könnte man durch ein NPD-Verbot den Rechtsextremismus stoppen oder welche anderen Maßnahmen sollten bzw. könnten ihrer Meinung nach ergriffen werden?

Mit freundlichen Grüßen

Lara Müller

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Müller,

haben Sie besten Dank für Ihr Schreiben vom 26. November, in dem Sie auf das Problem des Rechtsextremismus in Deutschland eingehen.

Zehn Morde, wahrscheinlich mehrere Bombenanschläge und eine Reihe von Banküberfällen gehen auf das Konto der Gruppe Mundlos-Zschäpe-Böhnhardt. Menschen wurden verletzt und Menschen mussten sterben, weil sie dem Feindbild entsprachen, das Rechtsextreme von Menschen nicht-deutscher Herkunft entwerfen. Diese Verbrechen sind ein Anschlag auf das friedliche Zusammenleben in unserem Land. Den Familien der Opfer gilt meine ganze Solidarität. Ich spreche allen Opfern und deren Angehörigen mein tiefstes Mitgefühl aus.

Das Thema Rechtsextremismus treibt uns GRÜNE schon immer um, ganz aktuell auch auf der Bundesdelegiertenkonferenz letztes Wochenende (25.-27. November 2011) in Kiel. Dort haben wir uns intensiv mit dem Thema Rechtsextremismus auseinandergesetzt und eine neue Resolution verfasst (siehe unten).
Die Baden-Württembergische Landtagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verurteilt (in Zusammenschluss mit allen Landtagsfraktionen Baden-Württembergs) die Verbrechen der rechtsterroristischen Bande aufs schärfste. Der Landtag stellt in seiner Resolution auch unmissverständlich klar, dass diejenigen Mitmenschen, gegen die sich der gewaltbereite Extremismus richtet, ohne Vorbehalte die Solidarität und Unterstützung der Gesellschaft genießen.

Unsere Antwort auf diese abscheulichen Taten muss mehr Demokratie sein. Notwendiges Handeln darf nicht aus voreiligen Schlüssen und blindem Aktionismus bestehen und nichts anderes ist die Forderung nach neuen Dateien und Datensammlungen. Solche Forderungen lenken nur ab von der dringend notwendigen Aufklärung und ernst gemeinten Kampf gegen Rechts.

Wir GRÜNE fordern die rasche, rückhaltlose und transparente Aufklärung der Verbrechen und möglicher Ermittlungsfehler in den betroffenen Ländern. Vor allem die Rolle der Verfassungsschutzämter sowie des MAD muss genau aufgeklärt werden. Es gilt, die institutionellen Defizite zu beheben, die dazu geführt haben, dass der Terrorismus von Rechts so lange unerkannt blieb.

Auf Bundesebene fordern wir GRÜNE deshalb, neben der Berichterstattung in geheimen Gremien der Parlamente, auch eine regelmäßige öffentliche Information von Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz an den Bundestag. Darüber hinaus fordern wir eine Reform des Verfassungsschutzes, die dafür sorgt, dass ein institutionelles Versagen, wie wir es erlebt haben, sich nicht wiederholen kann. Tabus darf es bei dieser Reform nicht geben. Daher muss insgesamt die Arbeit der Nachrichtendienste hinsichtlich Beobachtung und Einschätzung gewaltbereiter Nazi-Kameradschaften auf den Prüfstand. Dazu gehört insbesondere der Einsatz von V-Leuten, die aktiv rechtsextrem und rassistisch agieren.

Mit besonderer Sorge betrachten wir die Entwicklung der NPD. Sie hat es geschafft, sich im parteipolitisch rechtsextremen Lager als zentrale Kraft zu behaupten. Durch die eingeleitete Fusion mit der DVU und der Marginalisierung der Republikaner ist die NPD der zentrale Ansprechpartner für rechte Strömungen und freie Kameradschaften in Deutschland geworden. Die jüngste Verhaftung von Ralf Wohlleben, bis Mitte 2008 stellvertretender Landesvorsitzender der NPD in Thüringen, dem vorgeworfen wird, die Zwickauer Terrorzelle unterstützt zu haben, ist ein weiterer Indiz für die radikale Ausrichtung der Partei. Dass es der NPD nun auch in Mecklenburg-Vorpommern gelungen ist, erneut in den Landtag einzuziehen und die Fraktion, wie schon 2009 in Sachsen, zu verteidigen, zeigt, dass die NPD eben nicht nur eine kurzzeitige Protestpartei ist, sondern sich gerade im ländlichen Raum verfestigt hat.

Auch wenn es die NPD dank des engagierten und erfolgreichen Kampfes der demokratischen Parteien, Kirchen, Religionsgemeinschaften, Gewerkschaften und Initiativen gegen Rechts in Thüringen mit 4,3 Prozent und in Sachsen-Anhalt mit 4,6 Prozent bei den letzten Wahlen jeweils knapp verfehlt hat, in die Landtage einzuziehen, ist eine Entwarnung nicht angemessen. Rechtsextreme Gruppierungen konnten in den letzten Jahren in den alten und neuen Bundesländern eine Reihe von kommunalen Mandaten erlangen. Ihr finanzielles und organisatorisches Rückgrat bildet dabei die parlamentarische Verankerung in den Landtagen von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Die NPD sucht immer wieder die Nähe zum Nationalsozialismus und sieht sich in direkter Nachfolge zur NSDAP. Die NPD steht bei allen bürgerlichen Imageversuchen ohne Wenn und Aber für die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie.

Es ist nicht länger hinnehmbar, dass sich rechtes Gedankengut hinter dem Parteienprivileg versteckt und die verfassungsfeindliche NPD mit öffentlichen Mitteln finanziert wird. Deshalb und wegen der zunehmenden Gewaltbereitschaft und des offenen, unverhohlen hetzerischen Auftretens der NPD setzen sich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dafür ein, dass ein Verbotsverfahren eingeleitet wird, wenn die Voraussetzungen dafür gegeben sind. Wir fordern die Bundesregierung auf zu prüfen, ob sich aus den Ermittlungsergebnissen Konsequenzen für ein NPD Verbot ergeben. Die Exekutive soll Beweise für ein Verfahren sammeln, Verfahrenshindernisse beseitigen und die Aussicht eines solchen Verfahrens prüfen. Die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichtes und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrecht sind dabei zu berücksichtigen.

Solange unklar ist, wie viele NPD-Kader im Sold des Verfassungsschutzes stehen und diese nicht abgeschaltet werden, sind die Erfolgsaussichten für ein erneutes Verbotsverfahren jedoch gering. Wir hegen jedoch große Zweifel daran, dass V-Leute innerhalb der NPD einen elementaren Beitrag dazu leisten, Gewalt zu verhindern. Im Gegensatz dazu ist zu fragen, ob sie nicht durch ihre Arbeit und ihr Engagement sogar zur Stabilisierung der NPD beitragen. Sollte sich herausstellen, dass Teile des Verfassungsschutzes statt einer aufklärenden eine eskalierende und unterstützende Funktion in rechten Kreisen einnehmen, ist der Einsatz von V-Leuten dort nicht weiter zu akzeptieren. Damit ließe sich auch diese Begründung, dass das Vorhandensein der V-Leute ein Verbot verunmögliche, gegen ein NPD-Verbotsverfahren nicht weiter aufrechterhalten. Es kann nicht sein, dass Nazis vom Staat als V-Leute dafür bezahlt werden, dass sie sich wegen ihrer menschenverachtenden Ideologie in Nazikreisen bewegen. Zumal dann, wenn die Gelder für eine V-Leute-Tätigkeit nachweislich immer wieder in den Aufbau der rechten Szene gesteckt werden.

Auch wenn Verbote im Kampf gegen rechte Ideologien kein Allheilmittel sein können, darf ein NPD-Verbot nicht grundsätzlich ausgeschlossen sein. Gerade die staatliche Finanzierung und das Auftreten als angeblich demokratische Partei erlauben es der NPD, handlungsfähig zu bleiben und ermöglichen ihr Podien im öffentlichen Raum, auf denen sie ungehemmt agitieren und ihre Propaganda verbreiten kann. Ein Verbot kann aber nur dann nachhaltig Wirkung entfalten, wenn es danach für die organisierten Neo-Nazis keine Ausweichmöglichkeiten in andere Strukturen gibt, gleichzeitig die Demokratiebildung ausgebaut wird und durch gezielte demokratische Jugendarbeit flächendeckend Angebote unterbreitet werden. Zudem braucht es neben EXIT offensive Ausstiegsangebote - insbesondere auch für Frauen, Kindern von Nazis und Mädchen aus der rechten Szene.

Das wirkungsvollste Mittel gegen Rechtsextremismus ist eine starke, demokratische Zivilgesellschaft. Wir müssen daher die Bekämpfung von neo-nazistischem Gedankengut als gesamtgesellschaftliche Aufgabe stärken. Denn nicht nur in einem radikalen Spektrum findet rechtsextremistisches, autoritäres, rassistisches, antisemitisches, homophobes und antimuslimisches Gedankengut Rückhalt, sondern in der gesamten Gesellschaft trifft dieses Gedankengut auf Resonanz. So verfügen laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung von 2010, 9,7 Prozent der Befragten über ein antisemitisches Weltbild, 24,7 Prozent sind ausländerfeindlich, 19,3 Prozent zeigen chauvinistische Einstellungen und 5,1 Prozent befürworten eine Diktatur als Staatsform. Wir müssen diesen Tendenzen eine Erinnerungskultur entgegensetzen, die über die Verbrechen der Nazizeit aufklärt und aus ihr Lehren zieht. Historische und politische Bildung an den Schulen muss durch Menschenrechtsbildung ergänzt werden, die demokratische Werte frühzeitig vermittelt.

Zivilgesellschaftliche Initiativen haben oft bessere Erkenntnisse und Analysen zur rechten Szene als die Behörden. Diese Initiativen müssen endlich auch von den Sicherheitsbehörden als positive Ergänzung wahrgenommen, ihre Arbeit und Erkenntnisse gewürdigt und einbezogen werden. Wir müssen viel mehr Prävention ermöglichen, um zu vermeiden, dass überhaupt ein Nährboden für rechtsextreme Gewalt entstehen kann. Deshalb fordern wir GRÜNE auf Bundesebene die Regierung auf, die Mittel gegen Rechtsextremismus deutlich zu erhöhen. Wir wollen mit einem 50-Millionen-Programm im Bundeshaushalt Initiativen für eine demokratische Kultur und gegen Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, wie Rechtextremismus, Rassismus, Antisemitismus, aber auch Sexismus und Homophobie fördern.

Doch Geld allein reicht nicht aus. Wir brauchen eine unbürokratische und nachhaltige Förderstruktur. Gute lokale Aktionspläne, mobile Beratungsteams und Opferberatungsstellen müssen langfristig gesichert und weiter ausgebaut werden. Jede Vermischung mit anderen "Extremismusformen" ist dabei inhaltlich nicht begründbar und verkennt die Gefahren von Rechts. Sehr wichtig ist, dass auch kleine Träger und alternative Projekte Förderchancen erhalten. Sie brauchen ein direktes Antragsrecht beim Bund, ohne den Umweg über die Kommune nehmen zu müssen. Denn leider nehmen gerade die Kommunen häufig nicht an der Auseinandersetzung mit Nazis teil, in deren Stadträten selbst welche sitzen oder die das Problem verleugnen.

Wir GRÜNE fordern auf Bundesebene die Streichung der "Extremismus-Klausel" in den Förderprogrammen gegen "Extremismus". Mit der Klausel werden zivilgesellschaftliche Initiativen gegen Rechtsextremismus unter Verdacht gestellt. Initiativen müssen inhaltlich weitgehend unabhängig von staatlichem Einfluss wirken können. In mehreren Bundesländern verzichteten Ehrenamtliche, Vereine und Verbände bereits auf Fördermittel, um sich den überwachungsstaatlichen Zwängen zu entziehen. Die Kürzungen im Haushalt 2012 bei der Demokratieförderung und der Antidiskriminierungsstelle müssen ebenso umgehend rückgängig gemacht werden.

Sehr geehrte Frau Müller, ich hoffe, Ihnen veranschaulicht zu haben, auf welchen Wegen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus, Islamophobie, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit kämpft. Wir wollen ein gesellschaftliches Klima der Anerkennung, Toleranz und Fairness, das dem Rechtsextremismus den Boden entzieht. Für uns GRÜNE ist dies eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, lassen Sie sie uns gemeinsam angehen!

Ich verbleibe mit freundlichen Grüßen

Edith Sitzmann
Fraktionsvorsitzende im Landtag von
Baden-Württemberg

Die Resolution des Landtags von Baden-Württemberg gegen rechtsextremistische Gewalt
können Sie hier einsehen: http://www.landtag-bw.de/WP15/Drucksachen/0000/15_0903_d.pdf

Den Beschluss der 33. Ordentlichen Bundesdelegiertenkonferenz können Sie hier einsehen:
http://www.gruene-partei.de/cms/default/dokbin/397/397733.entschieden_gegen_rechts.pdf