Frage an Dorothee Bär von Horst D. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrte Frau Bär,
Sie und Ihre Partei sind Befürworter des ESM-Vertrages. Ich setze deshalb voraus, dass Sie den Vertrag selbst gelesen und inhaltlich vollständig beurteilen können, nebst aller Folgen.
Wie bekannt, gibt es zum Inhalt des Vertrages und seiner möglichen Folgen sehr unterschiedliche Beurteilungen.
Trotz der möglicherweise erheblichen aktuellen und zukünftigen Auswirkungen auf die Bürger unseres Landes (und evtl. der nachfolgenden Generationen) ist eine Volksbefragung / Volksabstimmung nach meiner Kenntnis - zumindest in der BRD - nicht beabsichtigt.
Meine Fragen:
1. Warum werden die Bürger über den Inhalt und die möglichen Auswirkungen des ESM-Vertrages nicht ausdrücklich und umfassend informiert, zum Beispiel durch Sondersendungen im Fernsehen?
2. Sind Ihnen die Vorbehalte und Einwände gegen den ESM-Vertrag bekannt?
siehe zum Beispiel unter: www.stop-esm.org
3. Wie können sich die Bürger, die mit dem ESM-Vertrag nicht einverstanden sind gegen die Folgen schützen? Welche Rechtsmittel können diese Bürger einlegen?
4. Sind die zustimmenden deutschen Politiker gegenüber den Bürgern bzw. den nachfolgenden Generationen für die evtl. entstehenden Rechts-/Vermögensverluste schadenersatzpflichtig?
5. Sofern sich aus der Verabschiedung des ESM-Vertrages Nachteile zu Lasten unseres Landes und/bzw.der Bevölkerung ergeben, welche Folgen ergeben sich für die Regierungsmitglieder bzw. zustimmenden Abgeordneten aus einer eventuellen Nichteinhaltung/Nichtbeachtung geleisteter Amtseide?
Für Ihre Antworten bedanke ich mich im voraus.
Sehr geehrter Herr Dormann,
vielen Dank für Ihre Fragen zum ESM.
Die Stabilität unserer gemeinsamen Währung ist ein hohes Gut. Das gilt gerade für Deutschland als größte und - im weltweiten Wettbewerb - erfolgreichste europäische Volkswirtschaft. Die Stabilisierung des Euro liegt daher im ureigenen Interesse Deutschlands. Trotzdem darf die mit den Euro-Rettungsschirmen verbundene Solidarität mit den anderen Euro-Ländern nicht zu weit gehen. Vielmehr muss die Eigenverantwortung der in finanzielle Schieflage geratenen Staaten beachtet werden und es kann nur Hilfen zur Selbsthilfe geben. Die betroffenen Staaten müssen nachhaltig dazu gebracht werden, ihre Haushalts- und Strukturprobleme zügig anzugehen.
Wie von der christlich-liberalen Koalition immer angestrebt, haben Bundestag und Bundesrat den Fiskalvertrag und den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) als Gesamtpaket noch vor der Sommerpause zum Abschluss gebracht. Damit sind jedoch noch längst nicht alle Probleme in Europa überwunden und wir dürfen bei den Bemühungen zur Sicherung der Währungsunion und zur Stärkung der Wachstumskräfte in Europa keinesfalls nachlassen.
Die dauerhafte Stabilisierung der Eurozone kann nur gelingen, wenn die Eurostaaten zu solider Haushaltspolitik zurückkehren und ihre wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit gezielt stärken. Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union haben deshalb am 28. und 29. Juni eine Wachstumsstrategie für Europa beschlossen.
Da jedoch die Versäumnisse vieler Jahre nicht über Nacht beseitigt werden können, haben wir den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) auf den Weg gebracht, um den betroffenen Eurostaaten vorübergehend und unter strengen Auflagen mit einem maximalen Ausleihvolumen von 500 Mrd. Euro finanziell unter die Arme zu greifen. Bis zur vollen Funktionstüchtigkeit des ESM wird dieser für eine begrenzte Zeitdauer noch durch die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) ergänzt. Die EFSF wird dann – wie vorgesehen – im Juni 2013 auslaufen. Auch für diese Übergangszeit bleibt das Kreditvergabevolumen auf 500 Mrd. Euro begrenzt.
Leistungen aus dem ESM werden dabei grundsätzlich nur unter strikten Auflagen gewährt. Finanzhilfen werden nur vergeben, wenn ein Euro-Mitgliedstaat schwerwiegende Finanzierungsprobleme hat und eine Unterstützung für die Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt unabdingbar ist. Sämtliche Mittel aus den Rettungsschirmen werden nur befristet vergeben und auch nur an diejenigen Länder gewährt, die den Fiskalvertrag ratifiziert und eine verbindliche Schuldenbremse eingeführt haben. Damit wird dem Grundprinzip Rechnung getragen, dass Solidarität und Eigenverantwortung in der Eurozone Hand in Hand gehen müssen - denn durch den Rettungsschirm sollen keinesfalls dauerhafte Abhängigkeiten geschaffen werden.
Ihre Einschätzung, der ESM sei undemokratisch und intransparent, teile ich nicht, denn alle wesentlichen Entscheidungen des ESM müssen einstimmig durch den Gouverneursrat des ESM getroffen werden. Dies gilt auch für die Gewährung von Finanzhilfen oder Änderungen am gezeichneten Kapital. Deutschland verfügt über den Vertreter im Gouverneursrat somit bei allen wichtigen Entscheidungen über ein Vetorecht. Mit dem ESM-Finanzierungsgesetz haben wir dieses Vetorecht dem Deutschen Bundestag übertragen und einen umfassenden Parlamentsvorbehalt eingerichtet. Somit gilt: Hat der deutsche Vertreter im Gouverneursrat kein Votum des Bundestages, so muss er mit Nein stimmen. Der Deutsche Bundestag hat somit bei allen Maßnahmen, die seine Haushaltsverantwortung berühren, weiterhin das letzte Wort und das Budgetrecht des Bundestages in vollem Umfang gewahrt.
Aufgrund der von uns im Gesetzgebungsverfahren verankerten Regelung muss das Plenum des Deutschen Bundestages immer dann vorher zustimmen, wenn der ESM ein neues finanzielles Risiko eingeht. Das gilt insbesondere für Entscheidungen über neue Hilfsprogramme oder auch bei finanzwirksamen Änderungen von bestehenden Programmen. Gleichzeitig begleitet der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags die Umsetzung der Programme. Seine Zustimmung ist beispielsweise dann notwendig, wenn die Bedingungen von Hilfsprogrammen geändert werden sollen - auch wenn das Volumen des Hilfspaketes unverändert bleibt. Zudem ist der Haushaltsausschuss vor Auszahlungen einzelner Tranchen bereits genehmigter Programme zu beteiligen.
Der ESM darf jedoch nicht isoliert von den anderen, ebenso wichtigen Bausteinen für eine dauerhaft stabile Währungsunion betrachtet werden. Ein fundamentaler Baustein im neuen Regelungsgefüge Europas ist neben dem ESM auch der Fiskalvertrag. Die Einführung von verbindlichen Schuldenbremsen nach deutschem Vorbild in allen anderen Euro-Staaten ist eine entscheidende Weichenstellung für die Stabilisierung unserer Gemeinschaftswährung.
Die geringe wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit in einigen Staaten der Eurozone ist eine der Ursachen für die gegenwärtige Krise. Deshalb haben wir uns von Beginn an für eine wirksame europäische Wachstumspolitik und eine Finanzmarkttransaktionssteuer eingesetzt. Für Wachstumsimpulse in den Krisenstaaten ist in erster Linie die Europäische Kommission gefordert. Haushaltsmittel der Europäischen Union müssen zielgenauer als bisher für Beschäftigung, Wachstum, Innovation, Technologie, Ausbildung und Forschungeingesetzt werden.
Es entspricht dem von der christlich-liberalen Koalition eingeschlagenen Weg, dass das europäische Wachstumspaket nicht über neue Schulden finanziert wird – denn Konsolidierung und Wachstum gehören für uns zusammen und solide öffentliche Finanzen sind eine notwendige Grundlage für nachhaltiges Wachstum. Staatliche Aufgaben sollen nach unserer Überzeugung aus Einnahmen finanziert werden – und nicht auf Pump. Nur so können wir zu langfristig tragfähigen Haushalten zurück-zukehren.
Es ist deshalb ein gutes Signal in und für Europa, dass Bundestag und Bundesrat Ende Juni den Fiskalpakt und den Europäischen Stabilisierungsmechanismus mit großer Mehrheit verabschiedet haben. Das Signal Deutschlands an Europa lautet: Wir sind zu europäischer Verantwortung bereit und sorgen uns um die Realwirtschaft in den anderen Mitgliedstaaten. Aber Solidarität darf keine Einbahnstraße sein – wer Finanzhilfen will, muss seine öffentlichen Haushalte konsolidieren, Strukturreformen durchführen und Wachstum ermöglichen.
Vielen Dank und viele Grüße, Ihre Dorothee Bär