Frage an Dorothee Bär von Michael S. bezüglich Familie
EGMR-Urteil zum § 1626a BGB, Ihre Antwort auf die Frage von Herrn Kaltenhöfer:
Sehr geehrte Frau Abgeordnete,
seit langer Zeit verfolge ich als betroffener Vater (die Mutter, wir beide waren nie verheiratet, ist sorgerechtlich ausgefallen) das "Nichtehelichen"-Thema und kann die geschlechtsspezifische, teils vom Trauschein abhängige Ungleichbehandlung nicht nachvollziehen.
Was genau macht Ihres Erachtens einseitig "nichteheliche" Mütter geeigneter als Väter, wenn sie ohne Trauschein automatisch das Sorgerecht haben, "nichteheliche" Väter es mühsam unter Beweis stellen sollen? Warum haben es dann verheiratete Väter auch, und wo liegen die "unterschiedlichen Lebensverhältnisse" begründet, die so tiefgreifend in die Grundrechte aus Art. 6 GG hineininterpretiert werden?
Wofür soll bis Ende 2010 eine Studie abgewartet werden, wenn diese biologischen und damit grundrechtlich geschützten Tatsachen klar und nicht zerredbar sind und es in anderen Ländern (Frankreich etc.) auch keine derartige Mütterbevorzugung gibt? Inwiefern ist das Kindeswohl so symbiotisch-einseitig an den Willen der Mutter zu koppeln? Ist "Kindeswohl" nicht ein autonomer Begriff, der das Kind als eigenständigen Grundrechtsträger und rechtsfähige Person, nicht den gesetzlichen Vertreter, betrifft?
Mit freundlichen Grüßen,
Michael Siebel
Sehr geehrter Herr Siebel,
vielen Dank für Ihre Nachricht vom 22.1.2010 zum Thema Sorgerecht.
Seit der Kindschaftsrechtsreform von 1998 haben nicht miteinander verheiratete Eltern die Möglichkeit, die gemeinsame elterliche Sorge auszuüben, wenn sie übereinstimmende Sorgeerklärungen abgeben (§ 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB). Lehnt einer der Elternteile die gemeinsame Sorge ab, hat die Mutter die Alleinsorge (§ 1626a Abs. 2 BGB). Der Gesetzgeber hat die gemeinsame elterliche Sorge von der Zustimmung beider Elternteile abhängig gemacht, da die Lebenssituationen, in die nichteheliche Kinder hineingeboren werden, häufig weniger homogen und weniger stabil sind als die Lebenssituationen ehelicher Kinder. Es kann daher nicht in jedem Fall davon ausgegangen werden, dass die Eltern bereit und in der Lage sind, zum Wohl des Kindes zu kooperieren. Das Gesetz knüpft daher die gemeinsame Sorge daran, dass die Eltern ihre Übereinstimmung und Kooperationsbereitschaft durch die Abgabe von Sorgeerklärungen dokumentieren.
Ich vertrete die Auffassung, dass grundsätzlich beide Eltern sehr wichtig für das Kind sind. Wenn Eltern sich nicht darauf einigen können, dass und wie sie beide die Verantwortung für ihr Kind übernehmen und für es sorgen, muss – wie im EGMR-Urteil gefordert - im Einzelfall geprüft werden, welche Regelung für das betroffene Kind die beste ist. Dabei spielt neben der allgemeinen Erziehungs- und Förderungskompetenz der Elternteile, die Kontinuität der Beziehung und Bindung, sowie die Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit eine Rolle. Es spielt auch eine Rolle, inwieweit der jeweilige Elternteil in der Lage ist, die Beziehung zwischen dem Kind und dem anderen Elternteil nicht nur zu tolerieren, sondern auch zu fördern. Ein gemeinsames Sorgerecht unter allen Umständen zu erzwingen, halte ich für problematisch, da dadurch ggf. mehr Schaden entstehen kann. Ob und inwieweit Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit – im Normalfall - eine enge Bindung zwischen Mutter und Kind begründen und dies ggf. bei Sorgerechtsstreitigkeiten berücksichtigt wird, kann ich nicht profunde beurteilen.
Mit freundlichen Grüßen
Dorothee Bär