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Frage von Wolfgang B. •

Frage an Doris Pack von Wolfgang B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Hallo

im Augenblick geht das ACTA Abkommen in eine heisse Phase auf EU und später wohl auch dann auf Bundesebene.

Dieses im Geheimen verhandelte Abkommen würde die Rechte des Bürgers in Bezug auf Informationsfreiheit weit übertrieben beschneiden. Ja es käme - nicht nur bei den Internetsperren an der Justiz vorbei - sogar zu Eingriffen in Grundrechte.

Was unternehmen Sie, daß hier ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Rechteinhabern und Nutzern zum Tragen kommt?

mfg wb

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Barth,

vielen Dank für Ihre Frage. Ziel des Handelsabkommens ACTA (Anti-Counterfeiting Trade Agreement) war und ist es, international gültige Standards für die Bekämpfung von Marken- bzw. Urheberrechtsverletzungen und Produktpiraterie zu implementieren. Da es sich, wie Sie wissen, um ein sehr komplexes und vielschichtiges Thema handelt, will ich meine Antwort in mehrere Teile gliedern, die sich auf einzelne Passagen Ihrer Frage beziehen.

1)
Mit dem ACTA-Abkommen soll versucht werden, Urheber-, Marken- und Patentrechte besser zu schützen. Der Vorwurf, es ginge dabei ausschließlich um die kommerziellen Interessen der Großindustrie, ist unzutreffend. Als Vorsitzende des Kulturausschusses im EU-Parlament kann ich Ihnen versichern, dass gerade Kunstschaffende aus dem Kultur- und Kreativsektor oftmals die Leidtragenden der Verletzung von Eigentumsrechten sind. Sie müssen besser geschützt werden, um ihnen ein auskömmliches Einkommen zu sichern und die kulturelle Vielfalt in Europa zu wahren. Ich kann mich daher ausdrücklich den aktuellen Stellungnahmen des Deutschen Kulturrats anschließen, in denen für eine Versachlichung der Debatte plädiert und auf die Notwendigkeit hingewiesen wird, das Urheberrecht als das zentrale Recht der Künstler zu stärken.

2)
Wie Sie bereits angedeutet haben, gilt es, das Spannungsverhältnis zwischen verbesserten Urheberrechts- und Markenschutz und den Grundrechten der Bürger sorgsam auszutarieren. So unterschiedlich die Sichtweisen diesbezüglich in der Öffentlichkeit und im Europäischen Parlament auch sind, in einem wichtigen Punkt bestand stets große Einigkeit: Transparenz und demokratische Informations- und Kontrollrechte müssen gegeben sein. Deshalb hat das Europäische Parlament sich hierfür bereits im März 2010 in einer fraktionsübergreifenden Entschließung eingesetzt und so die Offenlegung der Zwischenergebnisse erreicht (siehe unten).
Angewendet werden könnte das Abkommen ohnehin erst, wenn das EU-Parlament und die nationalen Volksvertretungen zugestimmt haben. Wir stehen aber erst am Beginn des parlamentarischen Verfahrens.
Dass einzelne Vertragsrunden vertraulich geführt wurden, entspricht der gängigen Praxis bei der Aushandlung internationaler Verträge, ist also keineswegs ein Einzelfall. Die EU-Kommission hat die Öffentlichkeit aber nach jeder der elf Verhandlungsrunden über den aktuellen Verhandlungsstand informiert; diese Berichte sind im Internet einsehbar ( http://ec.europa.eu/trade/creating-opportunities/trade-topics/intellectual-property/anti-counterfeiting ). Dies gilt auch für den endgültigen Vertragstext, der in allen Amtssprachen der EU abgerufen werden kann.
Die EU-Kommission hat ihr Verhandlungsmandat von den demokratisch gewählten Regierungen der EU-Mitgliedstaaten erhalten. Der zuständige Außenhandelsausschuss INTA hat den jeweiligen Verhandlungsstand fortwährend in öffentlichen Sitzungen diskutiert und gegenüber den Verhandlungsführern der EU-Kommission Forderungen eingebracht, die dann auch Berücksichtigung fanden.

3)
Inhaltlich wurden Einwände des EU-Parlaments berücksichtigt und z.B. das Internetkapitel deutlich abgeändert. Leider werden diese Verbesserungen in der öffentlichen Darstellung nicht immer sachgerecht dokumentiert.
Dies gilt v.a. für Sanktionsmaßnahmen und Strafrechtsbestimmungen. Mit ACTA sollen keine verpflichtenden Internetsperren eingeführt werden: ACTA wird für die Vertragsparteien also keine Verpflichtung enthalten, der Verletzung von Urheberrechten mit einer (abgestuften) Sperrung des Internetzugangs (Stichwort "Three Strikes") zu begegnen. Auch wird es mitnichten zu Personendurchsuchungen kommen, Reisende werden daher keineswegs - wie zuweilen kolportiert - an Landesgrenzen wegen einzelner Inhalte auf Mobiltelefonen oder Computern verhaftet werden.
ACTA steht nach Aussage der EU-Kommission im Einklang mit den europäischen Verträgen und ist mit dem geltenden EU-Recht voll vereinbar. Das Abkommen würde also nichts an den geltenden Gesetzen der EU ändern.
Dies alles hat der Rechtsdienst des Europäischen Parlaments in zwei vom Außenhandelsausschuss (INTA) und vom Rechtsausschuss (JURI) beauftragten Rechtsgutachten eindeutig bestätigt. Beide Gutachten sind mittlerweile auch im Internet verfügbar unter http://lists.act-on-acta.eu/pipermail/hub/attachments/20111219/59f3ebe6/attachment-0010.pdf (Rechtsgutachten des legal service für den JURI ab S.1 und für den INTA ab S. 9).
An den Beteuerungen des zuständigen Außenhandelskommissars Karel De Gucht werden wir die Kommission dennoch messen. Demnach "exportieren" wir durch ACTA europäische Standards und importieren nicht ausländisches Recht.

4)
Eingriffe in den Schutzbereich von Grundrechten sind nicht per definitionem rechtswidrig, sondern können notwendig sein, um den Grundrechtsschutz überhaupt zu gewährleisten („Schutz-durch-Eingriff“-Problematik"). Entscheidend ist, wieweit die staatliche Schutzpflicht dazu ermächtigt, in Grundrechte Beteiligter einzugreifen. Auch auf nationaler Ebene haben ja etwa Politik und Bundesverfassungsgericht immer wieder darüber zu entscheiden, wie Konflikte zwischen einzelnen Grundrechten aufzulösen sind. Entscheidend ist stets die verfassungsrechtliche Rechtfertigung: Dass z.B. im Falle der früher diskutierten Netzsperren die Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt wäre, hat dazu geführt, dass diese Pläne verworfen wurden.

Ich hoffe, dass Ihnen diese Informationen bei der Meinungsbildung weiterhelfen; bei Rückfragen können Sie sich natürlich gerne erneut an mich wenden.
Übrigens: Die EU-Kommission stellt ihre Sicht der Dinge unter folgendem Link dar: http://ec.europa.eu/trade/creating-opportunities/trade-topics/intellectual-property/anti-counterfeiting/

Mit freundlichen Grüßen
Doris Pack