Frage an Dirk Jehle von Peter H. bezüglich Bildung und Erziehung
Sehr geehrter Herr Jehle,
die Frage der Studienbeiträge macht mir, der ich selber an der Universität beschäftigt bin, doch erhebliche Kopfzerbrechen: Zum einen ist es zweifellos so, dass sich die Studienqualität durch die zusätzlichen Mittel erheblich verbessert hat z.B. durch Zusatz- und Entlastungsangebote in der grundständigen Lehre, bessere Service-Qualität der Bibliotheken und der Studienberatung, Angebot an Soft-Skill-Veranstaltungen, Fremdsprachenkursprogramme, E-Learning Möglichkeiten, um nur ein paar Punkte zu benennen.
Zudem gilt, dass eine Hochschulausbildung, den Absolvent/innen schon heutzutage - und in Zukunft wohl noch stärker - ein höheres Einkommen garantiert als dem Rest der Bevölkerung. Ist es dann nicht angemessen, dass sich dieses Privileg auch niederschlägt in einer angemessenen finanziellen Beteiligung an der Ausbildung? Warum sollte der zukünftige Manager, leitende Ingenieur oder Oberstufenlehrer nicht etwas zurückgeben von dem, in dessen Genuss er gekommen ist? Etwas polemischer formuliert: Wieso sollte der Postbote von heute dem zukünftigen Chefarzt die Eigentumswohnung in Oberkassel finanzieren?
Sozial benachteiligte Studierende haben ja jetzt schon die Möglichkeit der nachgelagerten Zahlung durch Studiendarlehen. Wie gesagt, ich bin im Zweifel. Das Argument, dass es keine Bildungshindernisse geben dürfe und dass sich Studienwillige abhalten ließen durch Studienbeiträge, scheint mir doch angesichts der realen Verhältnisse kaum zu greifen. Aber vielleicht können Sie mich vom Gegenteil überzeugen.
Mit freundlichen Grüßen
Peter Hachenberg
Sehr geehrter Herr Hachenberg,
vielen Dank für Ihre Frage und Ihr Interesse am Bildungskonzept der SPD. Wenn die SPD nach der Landtagswahl am 9. Mai Regierungsverantwortung in Nordrhein-Westfalen trägt, wird sie die Studiengebühren abschaffen. Ich persönlich fordere die sofortige Abschaffung der Studiengebühren.
Bildung ist für die NRWSPD ein zentrales Politikfeld, d. h. wir wollen die Studiengebühren abschaffen, die Universitäten in Ausstattung und Qualität der Lehre aber noch stärker fördern. Dafür wollen wir Umschichtungen im Haushalt vornehmen. Dass das möglich ist, haben wir in den letzten fünf Jahren der Landesregierung anhand des Haushaltsentwurfes dezidiert vorgerechnet, leider ohne Erfolg. Kostenfreie Bildung war augenscheinlich von der Landesregierung nicht gewünscht, die Schwerpunkte wurden anders gesetzt, z. B. wurde die Reiterstaffel bei der Polizei wieder eingeführt. Wir werden ein vernünftiges Haushaltskonzept vorlegen und sicherstellen, dass die bisher von den Universitäten über Studiengebühren eingenommenen Finanzmittel kompensiert werden. Dabei werden wir darauf achten, dass diese Kompensation nicht an eine Erhöhung der Studierendenzahlen für die einzelnen Hochschulen gekoppelt ist.
Es wäre schön für UniversitätsabgängerInnen, wenn ihnen ein Leben als SpitzenverdienerInnen garantiert wäre. Leider sieht die Realität für die meisten Uni-AbsolventInnen anders aus. Ein Universitätsabschluß ist schon lange keine Garantie für eine gesicherte finanzielle Existenz mehr. Viele AkademikerInnen sind, wie weite Teile der ArbeitnehmerInnen in Deutschland, von befristeten Arbeitsverträgen, unsicheren Arbeitsverhältnissen und zu geringer Entlohnung betroffen, z. B. im Medien- und Kreativbereich, aber auch im Gesundheitswesen.
Dass die Studierendenzahlen in NRW mit der Einführung der allgemeinen Studiengebühren nicht eklatant eingebrochen sind, liegt daran, dass jetzt die geburtenstarken Jahrgänge an die Universitäten drängen, also die absoluten Zahlen steigen. Auf einen gesamten Jahrgang von StudienanfängerInnen gerechnet, beginnen aber prozentual weniger junge Menschen ein Studium - das beweist, dass Studiengebühren abschrecken.
Und natürlich, Stichwort "nachgelagerte Studiendarlehen", schreckt es junge Menschen ab, ein Studium zu beginnen, wenn sie nicht sicher sein können, wie ihr Start ins Berufsleben verläuft, sich aber sehr sicher sein können, dass sie mit Schulden ins Berufsleben starten. Deshalb überlegen viele Familien sehr genau, ob und wie sie ihren Kindern, und wie vielen davon, ein Studium finanzieren können, ohne das die Kinder sich verschulden müssen - übrigens sind das auch schon Familien aus dem sogenannten "Mittelstand".
Ihr Vergleich zwischen Postbote und Chefarzt hinkt leider ein wenig. Ein Chefarzt zahlt in Deutschland eine entsprechende Einkommenssteuer, von der der Staat, in diesem Fall das Land, dann wiederum die Universitäten finanziert. Ein Postbote verdient in Deutschland, je nach Arbeitgeber, zwischen 5,50 und 13 Euro pro Stunde. Drei Viertel des Gesamtaufkommens der Einkommenssteuer stammen von nur einem Viertel aller Einkommensteuerpflichtigen. Ein Postbote gehört nicht zu diesem Viertel, würde es aber mit Sicherheit gerne und somit auch gerne indirekt Studienplätze finanzieren...
Da Sie an einer Universität beschäftigt sind, wird es sie freuen zu erfahren, dass wir SozialdemokratInnen in NRW die prekäre Beschäftigung an den Hochschulen bekämpfen. Das Hochschulpersonal gehört für uns grundsätzlich in den Landesdienst. Die jetzige Situation hat zu einer nicht hinnehmbaren Verschlechterung der Stellung des Hochschulpersonals geführt. Zusätzlich werden wir auch die studentischen Beschäftigten tariflich absichern, indem wir sie in den Tarifvertrag des Landes aufnehmen.
Mit freundlichen Grüßen
Dirk Jehle