Frage an Dirk Domicke von Mike F. bezüglich Bildung und Erziehung
Sehr geehrter Herr Domicke,
1 Was ist aus Ihrer Sicht die Ursache des demografischen Wandels in Sachsen-Anhalt und wie sollte man damit politisch umgehen (bitte eine kurze Antwort)?
2 Wie kann aus Ihrer Sicht die Bundespolitik zur Stärkung des ländlichen Raumes in Sachsen-Anhalt beitragen?
3 Wie wird sich der ländliche Raum entwickeln, wenn so viele Grundschulen geschlossen werden, wie dies die CDU/SPD-Landesregierung in Sachsen-Anhalt vorhat?
4 Kann bzw. soll aus Ihrer Sicht die SchulentwicklungsVO des Landes vom 30.5.2013 aufgehoben werden? Bitte begründen Sie Ihre Auffassung.
5 Welche Chancen sehen Sie, die Schließung vieler Grundschulen in Sachsen-Anhalt zu verhindern?
Werter Herr Fischer,
ich danke für Ihre Anfrage und gehe gern auf Ihre Fragen ein, da die Bildungspolitik im Land und bundesweit mir besonders am Herzen liegt.
Zu. 1. Der demografische Wandel ist kein Thema, welches besonders auf Sachsen-Anhalt zutrifft, sondern mit diesem Thema haben alle Bundesländer, hat Deutschland insgesamt ein Problem. Im Osten Deutschlands und damit natürlich auch in Sachsen-Anhalt stellen sich die Ursachen jedoch ein wenig anders dar.
Der Bruch im Land kam mit der Wende, der damit einhergehenden Unsicherheit der Bevölkerung, was die eigene Zukunft und die der Kinder anbelangt, der steigenden Arbeits- und damit auch Perspektivlosigkeit, sowie einer bundesweiten Politik, die gerade die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nur in unzureichendem Maß berücksichtigt hat.
Der demografische Wandel ist zweifelsfrei unumkehrbar, jedoch muss politisch insofern darauf reagiert werden, dass die Folgen für alle Bevölkerungsgruppen weitestgehend abgeschwächt werden.
Zu 2. Sowohl Bundes-, als auch Landespolitik müssen Maßnahmen zukünftig mehr auf Langfristigkeit verabschieden. Viele Entscheidungen der Politik betreffen nur den Zeitraum einer Legislaturperiode, was danach kommt, ist oftmals erst einmal unrelevant. Insofern erscheint eine Förderung der Infrastruktur im ländlichen Raum durchaus sinnvoll, so muss der Erhalt oder die Schaffung/Ansiedlung von Arztpraxen, Kindergärten, Schulen, aber auch von kleinen Verkaufs- und/oder Poststellen und von Firmen unterstützt werden und eine hohe Priorität haben. Kultur und Tourismus sollten unterstützt werden, wo es möglich ist und sinnvoll erscheint, also alles das, was das Leben auf dem Land erleichtert und den Bürger kürzere Wege verschafft.
Fraglich ist jedoch, ob dies von der aktuellen Politik überhaupt ansatzweise gewollt ist.
Zu 3. Es sind nicht nur geschlossene Schulen, die zu einem Rückgang der Bevölkerung im ländlichen Raum führen würden. All die, unter Punkt 2, bereits genannten Aspekte und noch einige mehr, sind für die Entwicklung des ländlichen Raumes maßgeblich. Aber natürlich wird auch die Schließung einer nahe gelegenen Grundschule für manche Eltern Grund genug sein, näher zu einer weiter bestehenden Schule zu ziehen oder aus den verschiedensten Gründen ziehen zu müssen.
Zu 4. Ob diese Verordnung aufgehoben werden könnte, ist eine eher rechtliche Frage, die zu beantworten ich nicht vermag. Eine Aufhebung sollte unterdessen sicher nicht passieren, stattdessen sollte sich die Politik über Änderungen dieser Verordnung Gedanken machen.
Den Bestand einer Schule allein von der Anzahl der Schüler abhängig zu machen, halte ich nicht für zielführend, hier müssen dringend andere Lösungen gefunden werden. Mehr dazu aber zu Pkt. 5
Zu 5. Ziel der aktuellen Politik ist es, die Kosten für Bildung im Land drastisch zu senken. Dies geht vor allem einher mit der Einsparung von Lehrern. Das mit weniger Lehrern der Unterricht an vielen Schulstandorten nicht mehr realisierbar ist, leuchtet ein, da schon jetzt viele Schulen am oder unter dem Limit arbeiten und Unterricht nicht mehr zu 100 % abgedeckt werden kann.
Fazit ist, in erster Linie muss der Lehrerbedarf gedeckt sein, dass heißt aber auch, an Bildung darf im Land nicht gespart werden, eher muss im Sinne unserer Kinder und somit im Sinne der Zukunft unseres Landes mehr in die Bildung investiert werden.
Wären erst einmal wieder mehr Lehrer da bzw. würden die Zahlen in den kommenden Jahren nicht unweigerlich weiter sinken, sei es durch eine angemessenen Zahl an Neueinstellungen, Abwerbungen aus anderen Bundesländern oder auch der vermehrten Möglichkeit, Lehrer außer Dienst oder Tutoren für den Unterricht einzusetzen, würde sich vielleicht die Frage nach notwendigen Schulschließungen eher weniger stellen.
Denkbar ist durchaus auch der Zusammenschluss mehrerer Schulen zu einer Schule mit verschiedenen Standorten. Damit könnte man zumindest am administrativen Aufwand einsparen, die Frage ob die Schulstandorte selbst zu halten und zu finanzieren sind, müssen sowieso die jeweiligen Gemeinden selbst klären.
Wichtig wäre hierbei natürlich die Bereitschaft der Lehrer, in erträglichem Ausmaß zwischen verschiedenen Standorten zu pendeln, wobei hier auch die entsprechenden Lehrergewerkschaften gefordert sind.
Vorstellbar wären durchaus verschiedenen Modelle für solche Schulen, die nicht unweigerlich mit jeweils 4 kleinen Klassen arbeiten müssten, sondern denkbar wäre auch klassenübergreifender Unterricht oder die Möglichkeit, eine Klasse durchweg über 4 Jahre an dem einen Standort zu unterrichten, die nächste Klasse 4 Jahre lang am zweiten Standort.
Entscheidend sind dabei die Gegebenheiten vor Ort, so und vor allem die Wegezeiten der betroffenen Kinder, die die gesetzlichen Maximalzeiten in keinem Fall überschreiten dürften. Die Entscheidung darüber müssten die Gemeinden und Schulen vor Ort treffen.
Wichtig wäre für mich auch die Aufweichung von Schuleinzugsbeeichen, so dass der Besuch einer Schule in einem anliegenden Kreis oder Gemeinde möglich ist, wenn die dortige Schule möglicherweise näher liegt oder günstiger zu erreichen ist.
Persönlich würde ich auch die allgemeine Verlängerung der Grundschulzeit auf 6 Jahre für eine mögliche Lösung halten. Durch die jeweils 2 Klassen mehr pro Schule dürfte mache Grundschule weit weniger gefährdet sein. Dabei wären dann zwar sicher vermehrt Sekundarschulen, vielleicht auch Gymnasien in Gefahr, aber im Sinne der kleineren Kinder halte ich es für weitaus weniger gefährlich, einem Schüler der 7. Klasse eine längeren Schulweg zuzumuten, als einem Erstklässler.
In der Hoffnung, Ihre Fragen zufriedenstellend beantwortet zu haben, kann ich Ihnen trotz allem anbieten, für weitere Fragen, gern auch persönlich, bereitzustehen.
Mit freundlichen Grüßen
Dirk Domicke