Frage an Dietmar Bartsch von Malte L. bezüglich Wirtschaft
Sehr Geehrter Herr Bartsch,
Da meine Freunde und ich ein Referat über das Thema "Wieviel Markt wieviel Staat" halten,
dachten wir es wäre von nutzen die Meinung von den linken einzubauen.
Liebe Grüße,
M. L..
Sehr geehrter Herr L.,
Ihre Frage - wieviel Staat, wieviel Markt - ist etwas ungenau, aber ich werde versuchen, in einigen groben Zügen meine Position wiederzugeben.
Ich würde zunächst immer fragen, wo sich "der Markt" überhaupt nicht bewährt hat. Das sind häufig jene Infrastrukturen, die für die gesellschaftliche Daseinsvorsorge zentrale Bedeutung haben. Wenn Energieerzeugung, öffentliche Verkehrsmittel, Krankenhäuser, die Bildungseinrichtungen, die Betriebe zur Müllentsorgung, der Straßenbau, die Wohnungen und dergleichen mehr zu Kapitalanlagen werden, hat das sowohl auf die Preisbildung als auch auf die Qualität der Leistungen vor allem die Wirkung, dass sie öffentlicher Einflussnahme weitgehend entzogen werden. Im Fall der so genannten Öffentlich-Privaten Partnerschaften (ÖPP) haben wir häufig sogar die seltsame Praxis einer öffentlichen Gewinngarantie für Private. Private Kapitalanlage dient nun einmal der Gewinnorientierung, was für sich genommen weder gut noch schlecht ist, sondern der eigentliche Zweck von privaten Investitionen. Eine Strategie zur Gewinnmaximierung ist aber die Kostensenkung. In den genannten Sektoren hat das jedoch desaströse Wirkungen. Es ist daher kein Zufall, dass in vielen Kommunen und Bundesländern ein Umdenken eingesetzt hat und Rekommunalisierungsstrategien entwickelt werden. Besonders entschieden scheinen hier die Berliner zu sein, wo es ein Volksbegehren "Deutsche Wohnen enteignen" gibt. Wenn man die Vermietungspraxis dieses Konzerns vor Augen hat, ist das Anliegen mehr als verständlich. Es ist selbst für mich überraschend, dass in Umfragen die Mehrheit der Berliner hinter dieser Forderung zu stehen scheint.
Aber das Entscheidende ist nicht die Alternative Markt oder Staat. Entscheidend ist, ob Märkte stärker oder weniger reguliert werden. Hier muss man zwischen unterschiedlichen Märkten stark unterscheiden. Es ist ein naives Bild, das die neoklassischen Ökonomen von Märkten zeichnen, das darin besteht, dass alle Märkte gleich seien, Angebot und Nachfrage zu einem Gleichgewichtspreis führten etc. Das abstrahiert einmal von Monopolisierungstendenzen, und Monopole können Preise diktieren, die alles andere als Gleichgewichtspreise sind; und es ignoriert die besondere Rolle von Arbeitsmärkten. Letztere haben eine wichtige Steuerungsfunktion inne. Wenn Löhne wachsen, zieht die Binnennachfrage an. Das kann zusätzliche positive Beschäftigungseffekte haben. Die von neoklassischen Panikmachern prognostizierten Einbrüche im Arbeitsmarkt infolge der Einführung des Mindestlohns sind auf jeden Fall ausgeblieben. Das hat bei denen aber nicht zu einem Hinterfragen des theoretischen Paradigmas geführt, sondern zu Ausreden. Zweitens führt eine Erhöhung der Löhne auch zu einer relativen Schwächung des Exports. Relativ deshalb, weil der deutsche Export aufgrund geringer Lohn-Stück-Kosten erfolgreich war, da die Löhne mit der Produktivitätsentwicklung nicht mithielten. Produktinnovation wäre ein anderer Weg zur Exportstärke, aber da können wir die deutsche Automobilbranche bewundern, deren Innovationspotenzial sich wie beim Dieselskandal in Täuschungsmanövern erschöpfte. Es gibt noch einen weiteren Marktsektor, der interessant ist, und das ist der Finanzmarkt. Hier gibt es ein Kerngeschäft, die Bereitstellung "flüssigen" Kapitals, also von Krediten. Infolge der Deregulierung der Finanzmärkte seit dem Zerfall von Bretton Woods gibt es Spekulationen gegen Währungen (berühmt ist eine Wette gegen das britische Pfund, die einen starken Wertverfall auslöste), gegen Staatshaushalte (die "Eurokrise" kann man so deuten), mächtige Ratingagenturen, Handel mit Derivaten; Hedgefonds und Private-Equity-Fonds gestalten die Märkte für Waren und Dienstleistungen in desaströser Weise um. Vermutlich kommen wir um eine erneute Regulierung von Finanzmärkten nicht umhin, wenn wir nicht ständig mit den durch diese Märkte auslösbaren Risiken leben wollen. Es ist beschämend, dass es die EU über einige symbolische Akte hinaus noch nicht zu effektiven Regulierungsschritten gebracht hat.
Nur was ist die Alternative zur Steuerung durch Märkte? Zunächst, wie hoffentlich deutlich geworden ist, geht es nur sehr bedingt um die Abschaffung von Märkten, auch wenn das - wie der einstige Sklavenhandel zeigt - manchmal sinnvoll sein kann. Wichtig ist die Regulierung von Märkten. Dort, wo man das Privateigentum aufheben möchte, ist Staatseigentum nicht immer die beste Alternative. Irgendetwas muss man auch dem Scheitern des Staatssozialismus lernen. Vor allem heißt das nicht, dass Staatsbetriebe alles richtig machen, nur weil das Management durch Staatsangestellte betrieben wird. Öffentliches Eigentum, das im Bankensektor vielleicht sinnvoll, in der öffentlichen Daseinsvorsorge auf jeden Fall sinnvoll ist, muss an öffentliche Kontrolle gebunden sein. Nicht Staatsmanager sind besser als kapitalistische, sondern demokratische Kontrolle ist richtig. Die Steuerungsfunktion muss an die Öffentlichkeit übergehen.
Freundliche Grüße,
Dr. Dietmar Bartsch