Frage an Dietmar Bartsch von Roy R. bezüglich Wirtschaft
Bitte entschuldigen Sie, Herr Dietmar Bartsch, ich kenne Sie noch überhaupt nicht, sondern habe heute zum ersten mal wegen eines Textes auf web.de etwas über Sie recherchiert & gelesen.
In Bezug auf "Gemeinwohl-Ökonomie" und meiner Idee eines "Subventionsausgleichs für abwandernde Konzerne" bin ich aber nicht fündig geworden,...
Nun bewegen mich folgende Fragen:
Kennen Sie das Konzept der "Gemeinwohl-Ökonomie" vom Christian Felber (attac)?
und... Was halten Sie davon?
Welche Auswirkungen könnte die Realisierung eines solchen Konzeptes vielleicht auch gesellschaftlich, kulturell, ethisch, moralisch, pädagogisch haben?
Wo sehen Sie Schwachstellen?
Stimmt ihrer Meinung nach die Aussage, dass die "Gemeinwohl-Ökonomie" ein freundliche/re/s Wirtschaften ermöglicht?
...und noch einige fragen ergänzend zur Finanz-Transaktionssteuer:
Gibt es Möglichkeiten, die Abwanderung von Konzernen aufzuhalten, oder deren Abwandern unter Bedingungen zu stellen?
Ist es so, dass Konzerne (oder auch Betriebe), die jetzt aus Deutschland abwandern, ihre Subventionen oder andere Förderungen (die sie enst vom Staat erhalten haben) nicht zurück zahlen brauchen und auch keinen anderen Ausgleich (z.B. Maschinen) dafür hier lassen müssen?
Welche Auswirkungen könnte die Bedingung eines Ausgleichs für Subventionen oder andere Förderungen an Konzerne (oder auch Betriebe), die aus Deutschland abwandern wirtschaftlich, gesellschaftlich, kulturell, ethisch, moralisch, pädagogisch haben?
Über eine Antwort (meinetwegen auch öffentlich) würde ich mich sehr freuen.
* Aussagen über "Gemeinwohl-Ökonomie" im Netz:
"Gemeinwohl-Ökonomie - Ein freundliche/re/s Wirtschaften ist möglich":
> www.gemeinwohl-oekonomie.org
"Nie wieder soll jemand sagen können, dass es in Wirtschaft und Politik keine Alternative zum Kapitalismus und zu den realsozialistischen Irrwegen gäbe."
> www.gemeinwohl-oekonomie.org/das-buch
DANKE für ihre Initiative!!
Mit freundlichen Grüßen
Roy Rempt
Sehr geehrter Herr Rempt,
danke für Ihre Fragen und für Ihr Interesse an meinen und den Positionen der LINKEN zu den aufgeworfenen Themen.
Für die zeitliche Verzögerung bei der Beantwortung bitte ich Sie mit Blick auf den Göttinger Parteitag der LINKEN um Verständnis.
Was Ihre Fragen zum Konzept der „Gemeinwohl–Ökonomie“ von Christian Felber betrifft, sei mir eine Vorbemerkung erlaubt.
Es ist mir wichtig, dass ich die Fragen auf abgeordntenwatch.de beantworte. Einmal eingestellt, werden diese Fragen auch bis zu ihrer Beantwortung als „offen“ ausgewiesen.
Ihre Fragen erfordern jedoch eigentlich einen Umfang der Beantwortung, der m.E. den Rahmen der Plattform abgeordnetenwatch.de sprengt. Mein Rat und meine Bitte an Sie und an Nutzer von abgeordnetenwatch.de, bitte nutzen Sie für Anfragen, die einen größeren Umfang der Beantwortung erfordern, andere Möglichkeiten der Kontaktnahme.
Das Konzept der Gemeinwohlökonomie (GWÖ) von Christian Felber ist mir bekannt und ich verfolge seine Umsetzungsversuche meiner Partei und die Bemühungen, z.B. in Berlin eine Gemeinwohlökonomie zu etablieren.
Das Konzept ist attraktiv. Die Frage ist, welche gesellschaftlichen Wirkungen erzielt es? Dabei zeigt sich der Vorzug und das Problematische des Konzepts: Es setzt darauf, dass "die Idee die Massen ergreift", dass insbesondere kleine und mittlere Unternehmer sozial, ökologisch und solidarisch wirtschaften und eine Dynamik entwickeln, die Wirtschaft und Gesellschaft positiv verändert.
Das ist zweifellos faszinierend. Allerdings steht für mich die Frage, ob und wie die GWÖ in politische Strategien und Bewegungen integriert wird, die emanzipativen Bestrebungen machtpolitisch gesetzte Grenzen thematisiert und schrittweise überwindet. Diese Strategie und Bewegung kann ich teilweise erahnen, aber nicht deutlich sehen. So scheint mir die Grundüberlegung darin zu bestehen, dass sozialer Fortschritt vom guten Willen und vom guten Wirtschaften der Anhänger der GWÖ abhängt. Das stellt sich mir als sehr vereinfacht dar. Selbstverständlich können die Erfahrungen der GWÖ- Anhänger/innen beweisen, dass Alternativen denk- und machbar sind. Auch können sich in der GWÖ Akteure formieren, die unverzichtbar für tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel sind. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass dies ausreichend ist, um Konkurrenzzwänge und Profitdominanz zu brechen.
Das bedeutet nicht, dass ich die kulturelle Ressource der Gemeinwohlökonomie unterschätze. Im Gegenteil, aber ich sehe auch ihre Grenzen - sowohl die machtpolitisch gesetzten als auch die begrenzten Möglichkeiten, sich als Gesellschaftsmitglied hier gestaltend und verändernd engagieren zu können.
Ihre Fragen zur Finanztransaktionssteuer möchte ich wie folgt beantworten:
Gibt es Möglichkeiten, die Abwanderung von Konzernen aufzuhalten oder deren Abwandern unter Bedingungen zu stellen?
Nach den derzeitigen EU-Verträgen hat die Kapitalseite, also z.B. die Eigentümer von Konzernen, grundsätzlich das Recht, ihr Vermögen über Grenzen hinweg zu bewegen. Kurzfristig gibt es natürlich bindende Einschränkungen wie z.B. die laufenden Arbeitsverträge der Beschäftigten, Lieferbindungen mit Kunden und Zulieferungen, angemietete Immobilien etc.
Ist es so, dass Konzerne (oder auch Betriebe), die jetzt aus Deutschland abwandern, ihre Subventionen oder andere Förderungen (die sie einst vom Staat erhalten haben) nicht zurück zahlen brauchen und auch keinen anderen Ausgleich (z.B. Maschinen) dafür hier lassen müssen?
Das ist leider so. Wenn bestimmte Fristen eingehalten werden, dürfen die Firmen danach Werke verlagern und trotzdem die Subventionen behalten. Die derzeitigen Fristen sollten daher erheblich verlängert und schärfere Sanktionen bei Fristverletzungen eingeführt werden.
Welche Auswirkungen könnte die Bedingung eines Ausgleichs für Subventionen oder andere Förderungen an Konzerne (oder auch Betriebe), die aus Deutschland abwandern, wirtschaftlich, gesellschaftlich, kulturell, ethisch, moralisch, pädagogisch haben?
Das kommt auf die Bedingungen an, aber je nachdem kann das sehr positive Folgen haben. Unsere Fraktion im Bundestag hat vorgeschlagen, dass bei Staatshilfen für kriselnde Unternehmen oder Banken die vom Staat hineingesteckten Mittel nach erfolgreicher Sanierung als Unternehmensanteil beim Staat bzw. teilweise bei den Belegschaften als Eigentümer verbleiben sollen. Beide, Staat und Belegschaften, würden sicher als Eigentümer darauf dringen, dass viele Betriebsverlagerungen nicht stattfinden. Es kann aber auch durchaus gute Gründe für Verlagerungen geben, wenn z.B. ein deutscher Pharmakonzern bislang Medikamente für den lateinamerikanischen Markt produziert und dorthin exportiert. Warum sollen dieselben Medikamente für Lateinamerika nicht auch dort hergestellt werden und diese Produktion dort Arbeitsplätze schaffen?
Freundliche Grüße
Dr. Dietmar Bartsch