Frage an Delara Burkhardt von Anna S. bezüglich Europapolitik und Europäische Union
Sehr geehrte Frau Burkhardt,
Die wegen der aktuellen Coronapandemie getroffenen Maßnahmen der nationalen Regierungen bereiten mir Sorge, mehr noch als das Virus selbst.
Zum einen halte ich das Verhalten der ungarischen Regierung für inakzeptabel. Rechtsstaatlichkeit ist nicht verhandelbar. Welche Möglichkeiten stehen der EU offen, Ungarn zu einem Umlenken zu bewegen?
Zum anderen halte ich Grenzschließungen zwischen Regionen, in denen das Virus annähernd gleich weit verbreitet ist, für höchst fragwürdig. Davon sind nämlich insbesondere diejenigen betroffen, die in den unmittelbaren Grenzregionen leben und die in ihrem täglichen Alltag die offenen Grenzen bisher als selbstverständlich erleben durften. Manche Städte, beispielsweise Passau, liegen in zwei Ländern, da sie sich über die Grenze hinweg ausgedehnt haben. Mich trifft das ganz persönlich. Meine Wohnung dort ist sowohl von Supermärkten als auch von der Universität abgeschnitten. Würde der Universitätsbetrieb wieder vor Ort stattfinden, die Grenzen wären aber noch geschlossen, wäre ich nicht in der Lage, weiter zu studieren. Das liegt auch daran, dass der Grenzübergang so klein ist, dass er nicht kontrolliert wird, und damit auch keine Ausnahmen möglich sind.
Gerade die kleinen Grenzübergänge müssen also, sofern sie nicht kontrolliert werden können, geöffnet bleiben: Die sonst folgenden Eingriffe in die Freiheit der dort lebenden Menschen wären sonst in meinen Augen nicht mehr zu rechtfertigen.
Was halten Sie von den Grenzschließungen? Wie kann gerade im Hinblick auf die Binnengrenzen eine europäische Lösung gefunden werden?
Mit freundlichen Grüßen,
Anna Schmitt
Liebe Frau Schmitt,
danke für Ihre Fragen!
Die Lage in Ungarn, aber auch in Polen, ist alarmierend. Wir dürfen nicht wegschauen, wenn nationalkonservative Regierungen die Corona-Krise als Vorwand nehmen, um den Abbau von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie voranzutreiben. Diese Entwicklung ist jedoch schon länger zu beobachten, weshalb bereits das Verfahren nach Artikel 7 eingeleitet wurde, in dem geprüft wird, ob ein Mitgliedstaat die EU-Werte schwerwiegend verletzt. Dass dieses Verfahren nun mit Polen und Ungarn gleich gegen zwei Mitgliedstaaten läuft, erschwert den Verlauf beträchtlich. Denn jetzt stehen wir vor der Herausforderung, dass sich die Regierungen aus Ungarn und Polen gegenseitig im Rat verteidigen, sodass Sanktionen, wie zum Beispiel der Entzug des Stimmrechts im Rat blockiert werden. Als EU-Parlament müssen wir die Aushöhlung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verurteilen und nach weiteren Einflussmöglichkeiten suchen. Als Sozialdemokrat*innen fordern wir, dass Staaten, die gegen EU-Grundrechte vorgehen keine Zahlungen mehr von der EU erhalten dürfen. Außerdem braucht es ein klares Monitoring, das die Einhaltung der Grundrechte auch nach dem EU-Beitritt im Blick hat, sowie die finanzielle Unterstützung für oppositionelle NGOs, damit die wichtigen Gegenstimmen weiterhin gehört werden können.
Nun zu Ihrer zweiten Frage, die die Grenzschließungen betrifft. Als Schleswig-Holsteinerin kann ich ihre Unzufriedenheit gut nachvollziehen. Offene Grenzen sind ein hohes Gut, das Menschen ermöglicht sich über Grenzen hinweg auszutauschen, zu arbeiten und zu studieren. Für viele Menschen ist das Alltag, sei es im Norden zwischen Deutschland und Dänemark oder im Süden an der Grenze zu Österreich. Die nationalen Alleingänge als Reaktion auf Corona waren deshalb nicht der richtige Weg. Mir ist wichtig, dass sich die EU-Mitgliedstaaten untereinander absprechen und koordiniert vorgehen, bei der Einführung und Aufhebung von Maßnahmen gegen Corona. Die Grenzen müssen sobald wie möglich wieder geöffnet werden und keinesfalls dürfen die Beschränkungen, die aktuell gelten zu einer Dauerlösung werden.
Viele Grüße
Delara Burkhardt