Frage an Daniel Bahr von Gisela S. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Bahr,
vor einigen Monaten las ich in einem Internet Forum, in dem es um soziale und gesundheitliche Fragen ging, folgenden Eintrag, dessen Glaubwuerdigkeit mir sehr unwahrscheinlich erschien!
ich zitiere:
"Das deutsch-tuerkische Abkommen ueber soziale Sicherheit bestimmt, dass aufgrund einer bei einer deutschen Krankenkasse bestehenden Versicherung auch die in der Tuerkei wohnenden Familienangehoerigen der Versicherten Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft erhalten. Dabei richtet sich der Kreis der anspruchsberechtigten Angehoerigen nach tuerkischen Rechtsvorschriften. Hierzu gehoeren auch die Eltern des unterhaltsverpflichteten Versicherten".
Da uns aber von Politik und Medien staendig gesagt wird wie gross die Finanznot im Gesundheitssystem ist und im Jahr 2011 bei den gesetzlichen Krankenkassen mit einem Milliarden Defizit zu rechnen ist, kann ich mich, gelinde gesagt, ueber dieses Abkommen nur wundern!!
Wie schon erwaehnt, habe ich an der Glaubwuerdigkeit gezweifelt, wurde aber nach Anfrage bei einer gesetzlichen Krankenkasse eines Besseren belehrt. Mir wurde bestaetigt, dass dieses Abkommen als Gesetzestext festgeschrieben ist und dass davon auch Gebrauch gemacht wird.
Vielleicht koennen Sie mich ueber die genauen Fakten aufklaeren.
Mit freundlichem Gruss
G.Schmidt
Sehr geehrte Frau Schmidt,
vielen Dank für Ihre Anfrage.
Mit der von Ihnen angesprochenen Thematik wird bereits seit Jahren von interessierter politischer Seite verfälschend Stimmung gegen unser Krankenversicherungssystem gemacht. Es ist dazu folgendes festzustellen:
Die Bundesrepublik Deutschland hat teilweise bereits in den 60er Jahren Sozialversicherungsabkommen u.a. mit der Türkei, Marokko, Tunesien und Jugoslawien (Abkommen gelten für die Nachfolgestaaten fort) geschlossen. Aufgrund dieser Sozialversicherungsabkommen können im Ausland wohnende Familienangehörige von Versicherten deutscher Krankenkassen in der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung familienversichert sein.
Regelmäßig ist eine solche Familienversicherung möglich, sofern die Familienangehörigen im anderen Vertragsstaat nicht aufgrund eigener Versicherung oder der Versicherung einer anderen Person bereits versichert und leistungsberechtigt sind oder von dort Rente beziehen. Die in der deutschen Krankenversicherung familienversicherten Personen erhalten im anderen Vertragsstaat grundsätzlich die Leistungen der Krankenversicherung, die dieser Vertragsstaat den dort krankenversicherten Personen gewährt (sog. Sachleistungsaushilfe). Die abkommensrechtlichen Regelungen entsprechen damit im Grundsatz den Bestimmungen, wie sie innerhalb der EU gelten. Sachleistungen der Krankenversicherung werden danach bei Aufenthalt im anderen Vertragsstaat vom Krankenversicherungsträger des Aufenthaltsstaates nach den für diesen Träger geltenden Vorschriften erbracht. So erhalten z.B. die in der Türkei lebenden Familienangehörigen der Versicherten der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung die gleichen Leistungen der türkischen Krankenversicherung wie in der Türkei krankenversicherte Personen. Die Leistungen werden von der türkischen Krankenversicherung erbracht und von der deutschen Krankenversicherung erstattet.
Um den Verwaltungsaufwand möglichst gering zu halten, erfolgt die Erstattung jedoch im Wege vereinbarter Pauschbeträge je Familie und Monat der Betreuungszeit. Diese Pauschbeträge basieren auf den Durchschnittskosten in der Türkei geschützter Personen nach türkischem Recht und berücksichtigen die durchschnittliche Zahl der in der Türkei wohnenden Familienangehörigen. Wegen des pauschalen Abrechnungsverfahrens ist es deshalb auch finanziell unerheblich, wenn der Kreis der anspruchsberechtigten Familienangehörigen in der Türkei im Einzelfall über den Kreis der nach deutschem Recht anspruchsberechtigten Familienangehörigen hinausgeht (z.B. Eltern des Mitglieds). Zum Beispiel wurde für die Türkei für das Jahr 2008 für die Abgeltung der von türkischer Seite erbrachten Aushilfeleistungen ein Monatspauschbetrag (Vorschuss in Höhe der erwarteten Kosten) in Höhe von 48,50 Euro je Familie zugrundegelegt. Zum Vergleich: 2008 wurden je Mitglied von den deutschen Krankenkassen für die medizinische Versorgung in Deutschland monatlich durchschnittlich ca. 246 Euro aufgewendet.
Genaue aktuelle Zahlen für die gesamten jährlichen Transferzahlungen an die Türkei für die Abgeltung der von türkischer Seite erbrachten Aushilfeleistungen für die dort wohnenden Familienangehörigen liegen hier nicht vor. Sie dürften aber nach Informationen der Deutschen Verbindungsstelle Krankenversicherung Ausland (DVKA) zwischen 10 und 12 Mio. Euro liegen. Für die übrigen oben genannten Länder gilt Entsprechendes.
Mit freundlichen Grüßen
Daniel Bahr