Frage an Dagmar Freitag von Thomas S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Freitag,
Zitate aus Ihrer Antwort auf die von Herrn Ickert gestellte Frage bezüglich Freihandelsabkommen CETA:
"Die gegenseitige Öffnung des kanadischen und europäischen Marktes für Güter, Dienstleistungen und Investitionen bietet neue Marktchancen für Unternehmen auch in unserem ländlichen Bereich. Sie sichert Arbeitsplätze in den heimischen mittelständischen Unternehmen, von denen viele geprägt sind durch eine enge Anbindung an die exportorientierte Automobilindustrie.
http://www.abgeordnetenwatch.de/dagmar_freitag-778-78110--f458764.html#q458764
Im Eingang Ihrer Antwort erklären Sie Kanada zu einem unserer "engsten Partnerländer".
Lässt diese Aussage nicht auf eine vorhandenen offenen Markt schließen?
Können Sie eine wissenschaftlich gestützte Prognose für die als Folge von CETA behauoteten Wachstumsinpulse leisten?
Ist es angesichts versiegender Ölquellen und Klimawandel überhaupt sinnvoll
auf den Export von Autos zu setzen?
Sie schreinen weiter:
"Selbstverständlich kann ich nachvollziehen, wenn Bürgerinnen und Bürger bestimmte Entwicklungen in der Globalisierung kritisieren und ihren Unmut auch in Richtung Freihandel und CETA kanalisieren. Ich bin aber der Auffassung, dass eine Exportnation wie Deutschland es sich nicht leisten kann, dem Welthandel grundlegend ablehnend gegenüberzustehen."
Wollen Sie Kritik an CETA mit einer grundlegenden Ablehnung von Welthandel gleichsetzen?
Wenn ja, wie begründen Sie diese Gleichsetzung?
Wenn nein, warum führen Sie im Zusammenhang Kritik an CETA
den Gedanken einer grundlegenden Ablehnung des Welthandels ein?
CETA soll vor der Ratifizierung durch die Nationalparlamente "vorläufig" in Kraft treten.
Wäre es nicht lächerlich, wenn ein "vorläufig" in Kraft getretenes Handelsabkommen im Falle der Nichtratifizierung zurückgenommen werden müsste?
Oder sollen um eine solche Lächerlichkeit zu vermeiden die Nationalparlamente
quasi vollendete Tatsachen bestätigen?
Viele Grüße, Thomas Schüller
Sehr geehrter Herr Schüller,
vielen Dank für Ihre Nachfragen zu meiner o.s. Antwort.
Die enge Partnerschaft zwischen Deutschland und Kanada besteht nicht nur im handelspolitischen Bereich, sondern ist sehr vielfältig. Kanada und Deutschland vertreten gemeinsame Werte und Grundüberzeugungen. Kanada engagiert sich als NATO- und OSZE-Mitglied in Europa. Wir arbeiten mit Kanada in internationalen Gremien unter anderem in Fragen von Sicherheit und Abrüstung, im Bereich der Menschenrechte und der humanitären Hilfe zusammen. Die guten Beziehungen zeigen sich auch in der engen Abstimmung zwischen den Außenministerien und in der hohen Zahl der gegenseitigen offiziellen Besuche. Gemessen an den engen Verflechtungen in vielen politischen und gesellschaftlichen Bereichen sind die deutsch-kanadischen Handelsbeziehungen noch ausbaufähig. 2014 nahm Kanada als Empfängerland deutscher Exporte Platz 28 der deutschen Außenhandelsstatistik ein, als Lieferland für Deutschland Platz 38. Für Kanada ist Deutschland der fünftwichtigste Exporteur und achtwichtigste Importeur von Waren (Quelle: www.auswaertiges-amt.de).
CETA sieht den weitgehenden Abbau von Zöllen und technischen Handelshemmnissen vor. Zudem erhalten europäische Unternehmen Zugang zu den kanadischen Märkten, insbesondere erstmals auch den Beschaffungsmärkten. Von der Beseitigung der verbliebenen Zölle können positive Effekte auf Wachstum und Verbraucherpreise in Deutschland ausgehen. Eine wissenschaftliche Studie zu den wirtschaftlichen Auswirkungen von CETA findet sich online beispielsweise auf der Seite des ifo-Instituts.
Selbstverständlich braucht es mit Blick auf versiegende Ölquellen und Klimawandel neue Technologien, gerade in der Automobilindustrie. Dies ist meiner Meinung nach aber eine ganz andere Diskussion. Zu CETA bleibt zu sagen, dass Deutschland nach Kanada hauptsächlich Autos und Automobilteile liefert. Daher würde insbesondere die Automobilbranche von CETA profitieren, was sich wiederum positiv auf die Wirtschaft in unserer Heimatregion auswirken kann.
Es ist vollkommen klar: Nicht alle, die CETA kritisieren, sind prinzipiell gegen den Welthandel. Umgekehrt ist es aber wohl so, dass unter den CETA-Gegnern auch Komplettverweigerer des Welthandels sind. Daher meine Aussage: Kritische Diskussion ist wünschenswert, denn sie führt zu Verbesserungen, sei es bei CETA oder allgemein im Welthandel. Fundamentalkritik und Komplettverweigerung halte ich jedoch gerade aus deutscher Perspektive nicht für zielführend.
CETA wurde als gemischtes Abkommen eingestuft, d.h. die meisten Bereiche davon fallen in die Zuständigkeit der EU, einige aber auch in nationale bzw. geteilte Zuständigkeit. Vor der Ratifizierung durch die nationalen Parlamente werden nur diejenigen Teile von CETA vorläufig in Kraft treten, die vollständig vergemeinschaftet sind. Da die Handelspolitik Zuständigkeit der EU ist, ist es nur konsequent, dass die EU in diesem Bereich auch Abkommen abschließen kann. Durch die Zustimmung des Europäischen Parlaments zu CETA wird die vorläufige Anwendung von CETA demokratisch legitimiert. Das Europäische Parlament nimmt seine Verantwortung sehr ernst. Es hat bereits Abkommen abgelehnt, die seinen Ansprüchen nicht genügen.
Erst wenn das Europäische Parlament und alle nationalen Parlamente der EU-Mitgliedstaaten zugestimmt haben, tritt das Abkommen dann vollständig in Kraft. Wenn der Bundestag und der Bundesrat dem Abkommen nicht zustimmen, wird es als Ganzes nicht in Kraft treten.
Mit freundlichen Grüßen
Dagmar Freitag