Frage an Christoph Lanzendörfer von Gregor N. bezüglich Bildung und Erziehung
Sehr geehrter Herr Dr. Lanzendörfer,
beim Kandidatencheck des abgeordnetenwacht stimmten Sie der These: "Kinder sollen grundsätzlich an einer gemeinsamen Schule unterrichtet werden - unabhängig von ihrer Herkunft und ihren Fähigkeiten." mit der Begründung "Kindertagesstätten und Grundchulen[kein Tippfehler von mir] beweisen doch die Richtigkeit der These." zu.
Aus meiner eigenen Erfahrung aus der Grundschule kann ich berichten, dass ich mich persönlich oft unterfordert gefühlt und gelangweilt habe. Der Grund: Da Teile der Klasse Unterrichtsinhalte deutlich langsamer verstanden als andere Teile, wurde für die Lernschwächeren öfter erklärt, während die Lernstärkeren schon weiter im Stoff hätten sein können. Es kam also zu einer, ich nenne es, Lernunproduktivität, welche der unterschiedlichen Lernstärkenzusammensetzung der Klassen geschuldet war.
Demnach würden Grundschulen aber doch nicht die Richtigkeit der geschilderten These, sondern das Gegenteil beweisen.
Ich hoffe auf eine klärende Stellungnahme dazu Ihrerseits
Mit besten Grüßen
Gregor Nageler
Lieber Gregor Nageler,
Ihre Frage beschreibt einen Vorbehalt, der immer wieder gegen gemeinsames Lernen vorgebracht wird: Lernschwächere hemmen Lernstärkere und drücken damit deren Leistung.
In letzter Konsequenz gilt das natürlich auch für Klassengemeinschaften an allen Schulen auch in einem drei- oder vielleicht sogar (warum denn dann auch nicht?) mehrgliedrigem Schulsystem: Auch dort gibt es unterschiedliche Lernstärken. Und vielleicht haben sich meine Klassenkameraden gelangweilt, während ich bestimmte Probleme in Mathematik zu hinterfragen mich abmühte, dafür hatte ich mehr Spaß in Latein oder Deutsch.
Ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern, mich in der Grundschule gelangweilt zu haben, weil anderen es möglicherweise schwerer fiel als mir, ein "r" in richtiger Schrift zu malen. Wenn wir aber schon in der Grundschule eine Selektion beginnen wollen, nach welchen Kriterien soll sich diese vollziehen? Und erst in den Kindertagesstätten? In Krippen? Und wie sehen einseitige Begabungen in diesem Zusammenhang aus (Das Universal-Genie dürfte eine große Ausnahme sein), bei der also jemand sehr schnell zu lesen lernt, aber Schwierigkeiten im Rechnen hat?
Ein wichtiges Argument bleibt aber bei der implizit erhobenen Forderung nach frühestmöglicher Selektion in unterschiedliche "Leistungsbereiche" unberücksichtigt: Es ist das, was wir soziales Lernen nennen, nämlich in einer Gemeinschaft miteinander und für einander Probleme zu lösen und daraus Konsequenzen für das Zusammenleben zu ziehen. Warum sind uns Länder, in denen möglichst lange gemeinsam gelernt wird, leistungsbezogen eigentlich so weit voraus? Mir scheint auch nicht, dass das Individuum darunter leidet.
Deswegen halte ich eine differenzierte Pädagogik mit möglichst langfristigem Beisammensein der Schülerinnen und Schüler für sinnvoll. Und bitte sehen Sie es mir nach, wenn ich "Grundchule" statt korrekt "Grundschule" geschrieben habe. Ich bekomme - alles neben meinem Beruf - dermaßen viele Anfragen und Briefe, dass so etwas sicherlich häufiger vorgekommen ist - gerade, wenn ich am von mir nicht sonderlich geliebten Tablet arbeiten muss!
Mit herzlichen Grüßen nach Barnstorf!
Ihr Christoph Lanzendörfer