Frage an Christian Schmidt von Wolfgang J. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Schmidt,
mit großem Interesse habe ich den Artikel zur Wehrgerechtigkeit im Spiegel gelesen. Ich bin Ausbilder und Vater von 2 Kindern.
Von 7 Elektronikern und 8 Mechatronikern des Jahrgangs 2007 wurden alle 15 jungen Männer tauglich T2 gemustert. Von unseren 15 kaufmännischen Auszubildenden des gleichen Jahrgangs wurden nur 1 junger Mann tauglich T2, die anderen 14 untauglich gemustert. Man hat mir auf dem KWEA Karlsruhe und Mannheim am Telefon gesagt, das das so sein könne, weil man nach Bedarf mustern würde. Meinem Sohn wurde einen Tag nach der Musterung der Einberufungsbescheid zugestellt. Er ist auch Elektroniker und man hat ihm bei der Musterung mehrfach gesagt, er habe einen sehr interessanten Beruf für die Bundeswehr. Er hat dann eine Einberufung zur Infanterie bekommen. Ich war auf dem KWEA und wollte eine Zurückstellung für 12 Monate, weil er in seiner Firma einen Zeitvertrag für 12 Monate bekommen hat. Finden die jungen Männer in diesen 12 Monaten eine ausgeschriebene Stelle, bekommen sie darauf einen festen Arbeitsplatz. Der Einberufungsbeamte sagte zu mir als Vater wörtlich: "Darauf kann ich keine Rücksicht nehmen, schließlich werden andere wegen der Wehrpflicht auch arbeitslos." Er hat dann auch eine Arbeitsstelle in einem Kernkraftwerk angeboten bekommen, als er aber sagte, dass er seine Einberufung hätte, bekam er die Stelle nicht. Er wurde dann auch arbeitslos.
Und wie können 24 von 25 europäischen NATO-Ländern auf die Wehrpflicht verzichten, nur Deutschland nicht?
Warum hat man das 8jährige Gymnasium eingeführt, wenn danach 2 Semester durch die Wehrpflicht wieder verloren gehen. Unsere europäischen Kollegen haben das verlorene Jahr ja nicht mehr. Und man könnte etwa 20.000 Beamte und Angestellte, die allein für die Wehrpflicht beschäftigt sind, einsparen oder anderstweilig einsetzen.
Wolfgang Jäger
Sehr geehrter Herr Jäger,
vielen Dank für Ihre E-Mail vom 31. März 2009 zum Thema Wehrgerechtigkeit.
Dass von 15 Gemusterten Ihres Betriebes nur einer wehrdienstfähig ist, verwundert, da dies nicht die Durchschnittsquote darstellt. Unter den 15 Gemusterten müssten statistisch 7-9 wehrdienstfähig sein. Eine Ursache liegt in der seit 1. Oktober 2004 in Kraft getretenen Änderung des Wehrpflichtgesetzes. Im Rahmen dieser Gesetzesänderung entfiel der Verwendungsgrad T3. Die zuvor T3-gemusterten Wehrpflichtigen werden seither als „nicht wehrdienstfähig“ eingestuft und stehen für einen Dienst aufgrund der Wehrpflicht nicht mehr zur Verfügung. Hierdurch kam es zu dem deutlichen Anstieg der „nicht wehrdienstfähig“ gemusterten Wehrpflichtigen.
Grund für den Wegfall des Verwendungsgrades war die konzeptionelle Neuausrichtung der Bundeswehr mit dem neu gewichteten Aufgabenprofil. Danach benötigen die Streitkräfte verstärkt sowohl schulisch als auch beruflich gut ausgebildete und technisch versierte Wehrpflichtige mit hohem körperlichen Leistungsvermögen. Eine weitere Ursache für den Anstieg der aus gesundheitlichen Gründen für den Wehrdienst nicht geeigneten Wehrpflichtigen liegt in der Gesellschaft inzwischen allgemein diskutierten Minderung der allgemeinen körperlichen Konstitution durch falsche Ernährung oder zu wenig sportliche Betätigung.
Aufgabe der Kreiswehrersatzämter ist es, den Personalbedarf der Streitkräfte in qualitativer und quantitativer Hinsicht möglichst gut zu decken. Dies geschieht, indem sie aus dem Kreise aller einberufbaren Wehrpflichtigen die nach ihren Kenntnissen und Fähigkeiten am besten geeigneten für eine zu besetzende Stelle auswählen. Zwar kann die Bundeswehr bei ihren Einberufungsplanungen Zeitarbeitsverträge, die Wehrpflichtigen nach Abschluss der Ausbildung von ihrem Ausbildungsbetrieb angeboten werden, im Rahmen ihrer Möglichkeiten bis zu einem Jahr berücksichtigen. Ein gesetzlicher Zurückstellungsanspruch besteht jedoch nicht. Unser Augenmerk gilt aber einer möglichst die Interessen der Wehrpflichtigen hinsichtlich ihrer Ausbildung berücksichtigenden Vorgehensweise.
Der Schutz Deutschlands und seiner Bürger ist ein Verfassungsauftrag. Unabhängig von aktuellen Entwicklungen hat der Staat eine langfristige und weit reichende Sicherheitsvorsorge für seine Bürger zu treffen. Ein wichtiges Kriterium für Wehrform und Umfang der Streitkräfte zur Erfüllung dieses Auftrages ist dieser sicherheitspolitische Bedarf.
Ich sehe deswegen gegenwärtig keine Veranlassung, die Wehrpflicht auszusetzen oder abzuschaffen. Dies gilt auch angesichts gegenteiliger Entscheidungen unserer europäischen Partner. Die negativen Erfahrungen, die man dort als Folge dieser Entscheidungen gemacht hat, sind vielmehr zusätzliche Argumente für die Beibehaltung der Wehrpflicht.
Mit freundlichen Grüßen
Christian Schmidt
Parlamentarischer Staatssekretär
beim Bundesminister der Verteidigung